Verkehrswende:Das Tal der Tunnel

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Der Tunnel Farchant bei der Einweihung im Mai 2000. Die beiden 2370 Meter langen Röhren kosteten 240 Millionen Mark. (Foto: Frank Leonhardt/dpa)

Fünf Röhren, eine Milliarde Euro: Im Loisachtal wird ein gigantischer Aufwand betrieben, um die Gemeinden vom Autoverkehr zu entlasten. Für den Ausbau der veralteten Bahnstrecke interessiert sich die Politik aber nicht.

Von Sebastian Beck, Garmisch-Partenkirchen

Es war ein großer Auftritt der CSU-Prominenz und ein Klassiker noch dazu: Spatenstich für ein neues Straßenprojekt, 170 Millionen Euro Baukosten, Entlastung für die geplagte Region. Wer eine so frohe Botschaft überbringt, weicht keiner Kamera aus. Gleich neun Beamte und Politiker ließen sich am vergangenen Donnerstag mit dem Spaten am eigens aufgeschütteten Sandhaufen in Oberau fotografieren. Allen voran Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, dazu sein Vorgänger, der CSU-Wahlkreisabgeordnete Alexander Dobrindt.

Das Loisachtal bei Garmisch-Partenkirchen hat sich in die wahrscheinlich größte Tunnelbaustelle Deutschlands verwandelt. Dieses Mal ging es um den Auerbergtunnel, eine vierspurige Röhre zwischen Eschenlohe und Oberau von 1,9 Kilometer Länge, geplante Einweihung 2028. Wenn alles fertig ist, soll ein ganzes System von Bypässen den Autoverkehr rund um die Olympiagemeinde leiten - insgesamt fünf Tunnel mit Gesamtkosten von einer Milliarde Euro. "Verkehrswende hat nichts mit maximalem Stau zu tun", sagte Scheuer laut Münchner Merkur bei der Gelegenheit, ein Satz, in dem schon mitschwingt, dass angesichts von Klimadebatten eine derart große Investition in den Straßenbau nicht überall auf Begeisterung stößt. Zumal auch Ministerpräsident Markus Söder neuerdings den Ausbau der Schienenwege propagiert.

Der Blick aus dem Südportal des 3,6 Kilometer langen Kramertunnels, der Garmisch vom Verkehr in Richtung Fernpass entlasten soll. (Foto: Sophie Linckersdorff)

Sigrid Meierhofer, die frühere SPD-Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen, hat Zweifel an solchen Ankündigungen. Sie ist nicht grundsätzlich gegen Tunnel, die Umgehung durch den Wank unterstützt sie, das Projekt durch den Auerberg hält sie aber für falsch. Ein Unding sei das, weil er nur noch mehr Verkehr anziehe und den Stau bloß verlagere. Der Tunnel werde keine Verbesserungen bringen, sondern im Gegenteil den Kollaps, außerdem konterkariere man damit jegliches Bemühen um mehr Klimaschutz.

Aber was ist mit der Bahn? Während der Staat in Autotunnel eine Milliarde Euro steckt und Umgehungsstraßen für Murnau und Weilheim plant, zockeln die Züge zwischen Tutzing und Garmisch-Partenkirchen auf meist einspurigen Trassen. Seit etlichen Jahren wird immer wieder der Ausbau diskutiert. Als sich München um die Winterspiele 2018 bewarb, versuchte der Freistaat die skeptischen Garmisch-Partenkirchner mit dem Bahnausbau zu ködern: In weniger als einer Stunde sollten die Züge von Garmisch nach München fahren. Doch weder aus den Winterspielen noch aus den Ausbauplänen wurde etwas. Dobrindt, Scheuers Vorgänger als Verkehrsminister, verkündete 2017, dass ein Ausbau der Strecke nicht notwendig sei.

So schleicht die Bahn immer noch in 1:21 Stunden nach München, theoretisch jedenfalls. Denn Pendler wie Sigrid Meierhofer kennen den berüchtigten Halt in Huglfing, wenn es heißt: "Wir warten noch auf den Gegenzug." Die Werdenfelsbahn ist anfällig für Störungen aller Art - Schneefall, Unwetter oder langsame S-Bahnen bringen den Fahrplan immer wieder aus dem Takt, das weiß auch Norbert Moy. Der oberbayerische Bezirksvorsitzende des Vereins Pro Bahn wohnt in Weilheim und pendelt mit dem Zug aus Garmisch nach München.

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"Verkehrsplanerisch ist es offenkundig, dass wir hier einen Mangel haben", sagt Moy. Zwar seien in den vergangenen Jahren elektronische Stellwerke und neue Bahnsteige entstanden, das Hauptproblem der Strecke ist aber nach wie vor ungelöst: Zwischen Garmisch-Partenkirchen und Tutzing verkehren die Züge bis auf ein paar kurze Abschnitte eingleisig. Nicht nur, dass die Kapazität am Limit ist, Verspätungen schaukeln sich auf, wenn Züge im Bahnhof den Gegenverkehr abwarten müssen. Hinter Eschenlohe umkurvt die Bahn im Schneckentempo einen Berg, während nur ein paar Hundert Meter weiter bald der Auerbergtunnel in den Fels gesprengt wird, damit es schneller vorwärts geht - zumindest für die Autofahrer. Moy schlägt vor, wenigstens einen Teil der Strecke zweigleisig auszubauen, damit schnelle Expressverbindungen möglich werden - ein Wunsch, der aber kaum in Erfüllung gehen wird. Denn der Freistaat Bayern hat auf die Anmeldung der Werdenfelsbahn für den Verkehrswegeplan 2030 verzichtet. Es wird alles so bleiben, wie es ist.

Derweil nimmt der Transit- und Ausflugsverkehr durchs Loisachtal immer größere Ausmaße an. Kaum ein Wochenende vergeht ohne die Meldung: "Stau am Autobahnende bei Eschenlohe und weiter nach Oberau". Wenn abends die Karawane wieder nach München zieht, stockt der Verkehr bei schönem Wetter auf fast der gesamten Strecke - 90 Kilometer.

"Es ist unerträglich", sagt die Garmisch-Partenkirchner Bürgermeisterin Elisabeth Koch (CSU), "wir müssen den Verkehr rauskriegen, schnellstens." Und dazu brauche man eben auch den Auerbergtunnel als Glied in der Kette von Umgehungen. Erst nach deren Fertigstellung könne man die Verkehrsberuhigung innerorts richtig angehen. Von der Bahn erwartet sie sich nicht allzu viel: "Da ist die Seuche drauf", sagt die Bürgermeisterin und erinnert an die endlosen Ausbaudebatten. Die Deutsche Bahn habe Grundstücke verhökert, die man für den Ausbau benötigt hätte - das sei das Einzige, was das Unternehmen bisher zustande gebracht habe. Doch ihrer Meinung nach wäre auch ein Ausbau der Schiene "kein Allheilmittel", Verkehrswende hin oder her: "Auch ein Elektroauto braucht Straßenraum."

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Der wird im Loisachtal nun geschaffen - ebenso im knapp 60 Kilometer entfernten Bad Tölz. Auch dort betätigte sich Verkehrsminister Scheuer am Donnerstag als Spatenstecher für die 2,7 Kilometer lange und 48 Millionen Euro teure Nordumgehung durch sensible Landschaft. Seine Rede glich der von Oberau ("Wir müssten uns nur eine halbe Stunde an die Kreuzung auf der Flinthöhe stellen ..."), inklusive Zusatz: "Wir haben noch nie so viel in die Schiene investiert wie jetzt." Auch in Teilen von Bad Tölz leiden die Menschen unter dem Autoverkehr - und warten auf die Elektrifizierung der Oberlandbahn, die mit Dieseltriebwagen fährt. Irgendwann nach dem Jahr 2030 soll sie endlich fertig sein. Die vage Idee für eine Stadtbahn zwischen Tölz und Penzberg, die den Verkehr auf der Bundesstraße 472 entlasten könnte, blieb eine vage Idee.

Wann genau die Bauarbeiten für den Auerbergtunnel im Loisachtal starten werden, ist noch unklar - trotz des feierlichen Spatenstichs vom Donnerstag. Es könne sich bis Ende 2023 hinziehen, heißt es, wegen der vielen Vorarbeiten. Bis dahin wollten Dobrindt und Scheuer nicht warten, schließlich ist am 26. September Bundestagswahl.

© SZ vom 25.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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