Kramertunnel bei Garmisch-Partenkirchen:3609 Meter durchs Gebirge

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Diese Brückenkonstruktion wird benötigt, um die Decke des Kramertunnels mit Planen und Abdichtungen auszukleiden, um zu verhindern, dass Wasser aus dem Bergmassiv eindringt. (Foto: Sophie Linckersdorff)

Im Westen von Garmisch-Partenkirchen entsteht der längste Straßentunnel Bayerns. In drei Jahren soll er endlich fertig sein - doch dann warten schon die nächsten Großprojekte unterhalb der Zugspitze.

Von Matthias Köpf

Das dumpfe, rhythmische Wabern kommt tief aus dem Berg und scheint selbst den Fels zu durchdringen. Die Wucht der Detonation pflanzt sich als Welle in den kilometerlangen Röhren fort, es dauert etliche Sekunden, bis sich der Druck draußen im Freien verliert. Raphael Zuber nimmt all das kaum mehr war. Er sitzt am Steuer eines bis vor Kurzem noch deutlich weißeren Pick-up und muss schon wieder rückwärts rangieren.

Hier im engen Erkundungsstollen wird auch später kaum Gegenverkehr möglich sein, und was da gerade entgegenkommt, hat schon allein wegen seines Anblicks Vorfahrt. Drüben in der Hauptröhre, wo der Verkehr mal in beide Richtungen fließen soll, sind sie jetzt wieder eineinhalb Meter weiter, Alltagsgeschäft im harten Gestein: Sprengen, Schotter raus, Spritzbeton, Stahlgeflecht, Betonschale, ein paar Dutzend schlanker Bohrlöcher für die beiden Flüssigkeiten, die darin zu einem explosiven Gemisch aufschäumen, Kurbeln am Handgerät, Zündung.

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Seit eineinviertel Jahren geht das hier schon so, ganz am Anfang nur tagsüber, doch weiter drinnen längst rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche. Mehr als zwei Kilometer haben sich die Mineure inzwischen von Grainau Richtung Norden durch den Kramer gesprengt. Nach Norden will auch Raphael Zuber im Pick-up, und noch muss er dafür erst nach Süden ins Freie und dann mitten durch Garmisch - vorbei an den gelben Transparenten, die fordern, womit er doch längst beschäftigt ist: Kramertunnel jetzt!

Der Kramertunnel ist ein Teil der im Bau befindlichen westlichen Ortsumfahrung von Garmisch. (Foto: Sophie Linckersdorff)

An diesem verregneten Nachmittag ist nicht viel Verkehr im Ort, sonst ist das anders. An schönen Wochenenden etwa, wenn sich die Ausflügler auf den Weg machen und am Ende der A 95 in Eschenlohe im Stau stehen. Wer Richtung Fernpass will, quält sich später durch Garmisch, und die Garmischer selber stehen in ihren Autos auch mit drin. Pläne für eine Umfahrung, die hier gar nicht anders verlaufen kann als durch den Berg, gab es seit den Siebzigern. 2007 standen sie fest, 2009 wies der Verwaltungsgerichtshof die letzte Klage des Bund Naturschutzes ab, der eine andere Trasse wollte. Gebohrt und gesprengt wurde seit 2010, doch nach drei Jahren stand die Baustelle still. Im Erkundungsstollen war das eingetreten, was der BN vorhergesagt hatte - nämlich Wasser.

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"Es hat sich rausgestellt, dass es nicht funktioniert", sagt Raphael Zuber, der seit zwei Jahren Abteilungsleiter für den Tunnelbau im Staatlichen Bauamt Weilheim ist. Dass das Amt so eine Abteilung braucht, führen die einen auf die Gebirgigkeit der Gegend zurück, andere auch auf den örtlichen CSU-Bundestagsabgeordneten. Alexander Dobrindt war von 2013 bis 2017 Bundesverkehrsminister; er gab fünf Tage vor der Wahl den Bau des Kramertunnels frei und wurde von der Lokalzeitung auch schon als "Tunnelgott" bezeichnet. Die nahen Oberauer haben ihm nach eigener Ansicht den 4,3 Kilometer langen Umfahrungstunnel zu verdanken, der seit 2015 durch den Mühlberg getrieben wird. Ein weiterer Tunnel vom Ende der A 95 bis Oberau ist in Planung, der Tunnel Farchant ist seit 2000 in Betrieb. Weil am Südende dieser teuren Tunnelkette das große Garmisch-Partenkirchen zum alleinigen Flaschenhals würde, führt am ebenfalls gerade geplanten Wanktunnel um Partenkirchen und am Kramertunnel rund um Garmisch eben auch kein Weg mehr vorbei.

Fast 300 Millionen Euro sind für den Tunnelbau veranschlagt - ein nicht geringer Teil davon ist bereits verbraucht

Nach der Fahrt durch den Ort ist Raphael Zuber mit dem Pick-up inzwischen im Norden angekommen. Hier arbeiten sich die Mineure schon ein paar Monate länger in den Berg, aber so weit wie im Süden sind sie noch längst nicht. An der "Ortsbrust", dem vorläufigen Ende der Röhre, zwickt Andreas Granig die geröteten Augen zusammen und schaut zweifelnd auf den kleinen Wasserfall, der aus dem Loch für einen Stahlanker dringt. Granig hat zehn Tage im Tunnel hinter sich, immer zwölf Stunden Arbeit, zwölf Stunden frei. Am Abend geht es für fünf Tage heim nach Kärnten. Dann beginnt alles von vorn. Es wird noch einige dieser Zyklen brauchen, denn hier kommen Granig und seine Kollegen nur mühsam voran. Granig steht mit seiner umgehängten Steuerung mitten im Staub und Lärm der Betonspritze, deren Düse gerade an einem stählernen Bogen entlang die Tunnelwand auf und ab führt.

Der Bau des Tunnels folgt nach ganz klaren Konstruktionsplänen. (Foto: Sophie Linckersdorff)

Bald wird wieder ein halber Meter Röhre befestigt sein, dann kommt der Bagger und reißt den Spritzbeton an der Ortsbrust wieder auf - Stück für Stück, damit ihm nicht das ganze Gestein auf einmal entgegenkommt. Denn hier im Norden ist der Abschnitt, den Raphael Zuber das "Bergsturzgebiet" nennt. Der Bergsturz ist mehr als 10 000 Jahre her, damals war ein größerer Teil des Kramermassivs abgerutscht und hat sich hier als lockeres Gestein abgelagert. Das Wasser im Bergmassiv wäre auch drüben im harten, dunklen Dolomit ein Problem gewesen, doch hier brachte es 2013 das ganze Vorhaben zum Stehen. 349 Meter fehlten noch im Erkundungsstollen, der über Querschläge mit der Hauptröhre verbunden wird und später als Rettungsweg dienen wird.

Die 349 Meter fehlen bis heute, am nördlichen Ende ragen die Enden langer Entwässerungslanzen aus dem Gestein. Sie sollten das Grundwasser im ganzen Bergmassiv so weit absenken, dass im Trockenen gegraben werden kann, doch das funktionierte dann erst mit einer Reihe von Brunnen, die von oben hundert Meter tief in den Fels getrieben wurden. All das musste neu genehmigt werden, zunächst wieder gegen den Widerstand des BN, der an die Hangquellmoore am Kramer erinnerte, aber auf eine weitere Klage wegen mutmaßlicher Aussichtslosigkeit verzichtete. Oben am Kramer dringt das Wasser jetzt einstweilen nicht aus dem Hang, sondern aus blauen Schläuchen, durch die es die Moore speist.

Drunten in der Hauptröhre saugt gleich eine ganze Batterie von Pumpen unentwegt vor sich hin. Wirklich Sorgen macht sich Raphael Zuber wegen des kleinen Wasserfalls an der Ortsbrust nicht. Er muss ohnehin das große Ganze im Auge behalten, den Kostenrahmen von 264 Millionen Euro zum Beispiel, von denen schon 110 Millionen verbaut sind. In der Hauptröhre fehlen noch 560 Meter bis zum Durchstich, Zuber will noch heuer die 3609 Meter durch den dann längsten Straßentunnel Bayerns fahren. Für Garmisch wäre das ein Pick-up weniger. Bis der normale Verkehr durch den Tunnel fließt, wird es noch mindestens drei Jahre dauern.

© SZ vom 17.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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