Nürnberg:Große Kultur in der NS-Ödnis

Lesezeit: 4 Min.

Seit baulichen Eingriffen durch die Nazis gilt auch das inzwischen schwer renovierungsbedürftige Opernhaus Nürnberg als akustisch heikel. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Nürnbergs Oper muss brandschutzbedingt umziehen. Doch wohin? In den Hof eines gigantischen NS-Torsos? Die einen fänden das fatal - andere wollen sogar einen zweiten Großbau dort

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Wahrscheinlich war das Thema lange einfach zu groß, um sich da ranzutrauen. Und streng genommen sind es ja sogar zwei sehr große und sehr komplexe Themen. Das Opernhaus am Nürnberger Richard-Wagner-Platz, ein Prachtbau aus dem frühen 20. Jahrhundert, muss dringend kernsaniert werden, noch bis zur Spielzeit 2024/25 darf da gespielt werden, danach droht - laut Brandschutzgutachten - solider Ärger mit der Feuerpolizei. 650 Mitarbeiter des Staatstheaters Nürnberg sind beschäftigt dort. Und die wüssten gerne, wo sie demnächst zur Arbeit gehen.

Also muss ein Interimsbau her - und zunächst mal ein passendes Areal. Dafür wiederum zeichnet sich in den letzten Monaten ein Favorit ab, der in Nürnberg lange nahezu undenkbar war. Warum nicht im Innenhof der Torso gebliebenen NS-Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände einen Interimsbau errichten, auf dessen Bühne Verdi gegeben wird, während sämtliche anderen Funktionsräume der Oper in den hufeisenförmigen NS-Koloss integriert werden? Man wird ohne Übertreibung sagen dürfen, dass das mal ein gewaltiges Thema wäre, für dessen Diskussion man sich ausreichend Zeit nehmen sollte. Das Problem ist nur: Die gibt's nun kaum noch, sollen die 650 Opernhäusler nicht in überschaubarer Zeit ohne Dach überm Kopf - und Nordbayerns Publikum ohne ein überregional ausstrahlendes Opernhaus dastehen.

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Wie so etwas kommen kann, dieser plötzliche Zeitdruck? Siehe oben, wahrscheinlich war das Thema für viele einfach zu wuchtig. Und dann hatte man in Nürnberg ja noch allerlei Kulturgroßthemen an der Backe: die millionenschwere Sanierung der NS-Zeppelintribüne, die nicht Sanierung heißen soll, sondern nur "Trittfestmachung" (kommt); endlich einen vorzeigbaren Konzertsaal für eine Halbmillionenstadt (auf Eis gelegt); und die Hoffnung, zur Europäischen Kulturhauptstadt erkoren zu werden (zerstoben).

Vor dem Nürnberger Opernhaus wollen sich am 14. Juli Menschen versammeln, um für eine Umbenennung des Richard-Wagner-Platzes zu demonstrieren. (Foto: Olaf Przybilla)

In der kommenden Woche sollte eine Kommission eigentlich eine Empfehlung aussprechen, wo das Operninterim denn nun hinsoll: Auf ein Firmenareal? In die Messe integriert? Aufs ehemalige Reichsparteitagsgelände? Ein paar Tage bleiben noch bis dahin, aber wer sich mit Eingeweihten unterhält, vernimmt überschaubar viel Optimismus. Jetzt bereits einen Weg vorgeben, wo doch die Debatte gerade erst am Anfang steht - angesichts der Dimension des Themas? Zumal Summen im Raum stehen, die mit schwindelerregend eher noch untertrieben beschrieben sind. Für die Sanierung des Opernhauses sollen womöglich 500 Millionen Euro vonnöten sein, andere taxieren die Kosten auf 700 Millionen. Und das Interim selbst, wo auch immer hingestellt, dürfte ohne dreistelligen Millionenbetrag - es geht immerhin um ein Opernhaus - ebenfalls schwer zu haben sein. Zusammengenommen, rechnet der Stadtrat Ernesto Buholzer Sepúlveda vor, spiele man da in etwa in der Liga der Hamburger Elbphilharmonie, finanziell. Keine idealen Voraussetzungen für ein Hopplahopp.

Zumal nun, wo die Debatte endlich entbrannt ist, immer mehr Ideen die Runde machen, die auf den ersten Blick bizarr wirken - aber mindestens mal einen zweiten Blick verdienen würden. Eine davon stammt von der Nürnberger "Politbande", die sich die "Förderung soziokultureller Freiräume, Partizipation und Nachhaltigkeit" auf die Fahne schreibt, kulturell bestens vernetzt ist und einen Vertreter in den Stadtrat schickt. Für die einen sind die Bandenmitglieder intellektuelle Traumtänzer, andere schätzen sie als jungcoole Polit-Kids mit diskursivem Anspruch. Eine Oper auf NS-kontaminiertem Gebiet? Da hätte Stadtrat Buholzer Sepúlveda aber mal gar kein Problem mit. Im Gegenteil: Er und seine Bande plädieren dafür, dort nicht nur ein Interim hinzustellen, sondern das Staatstheater auf dem Ex-NS-Areal Wurzeln schlagen zu lassen.

Grüne und CSU sprechen sich für die Nutzung des NS-Torsos aus, die SPD zögert noch

Klingt verwegen - andere sagen: durchgeknallt -, hat aber einen ernstzunehmenden Hintergrund. Ungeklärt sei nämlich bislang noch, was da genau kernsaniert werden solle im Opernhaus. Immerhin "ließ das NS-Regime die gesamte originale Jugendstilornamentik des Innenraums brutal entfernen", erinnert Buholzer Sepúlveda. Es stelle sich mithin die Frage, "welcher Innenraum bei einer Restaurierung da eigentlich wiederhergestellt werden" solle. Zumal jetzt schon abzusehen sei, dass die Kosten einer Kernsanierung aus dem Ruder laufen könnten. Würde man den Prachtbau anders nutzen - etwa als "Klima- und Kulturhaus" - und das Staatstheater im Stadtsüden neu bauen, so könnte dort zusammen mit der freien Szene etwas wirklich Großes entstehen. Nürnberg könnte sich "als moderne Großstadt beweisen" - und womöglich sogar Geld sparen. Glaubt jedenfalls die Politbande.

Totalumzug? Der Sozialdemokrat Ulrich Blaschke gilt nicht als debattenfeindlich, das aber hält er nun doch für abwegig. Und das schon deshalb, weil sich dergleichen doch arg nach "Fertigbau des NS-Torsos" anhören würde, findet Blaschke, selbst Mitglied der Opernhauskommission. Der "Eindruck der räumlichen Leere" im Innenhof des NS-Torsos, das unfertig Gigantomanische, das steingewordene Scheitern einer Ideologie müsse aber mindestens im Ansatz erhalten bleiben, fordert er. Wäre das denn mit einem Interimsbau inmitten des NS-Hufeisenbaus machbar? Die SPD zögert da noch, während Grüne und CSU - darunter Oberbürgermeister Marcus König und Kulturreferentin Julia Lehner - sich bereits klar dafür ausgesprochen haben. "Wir wollen nicht nerven, bremsen, verhindern", beteuert Blaschke, aber alle Alternativen, Zahlen und Fakten - einen Kostenrahmen etwa - hätte man eben schon gern auf dem Tisch, wenn's ums wohl größte Kulturbauvorhaben mindestens der jüngeren Stadthistorie geht.

Zumal es längst ernst zu nehmende Stimmen gibt, die einen Opernhausbau - ob Interim oder nicht - auf dem Ex-NS-Areal grundsätzlich ablehnen. Beim Verein "Geschichte für alle" etwa, einem umtriebigen Institut für Regionalgeschichte, hätten sie zwar nichts dagegen, Künstler und Kulturschaffende in die Innengebäude des NS-Torsos einziehen zu lassen. Schließlich würde dadurch das äußere Antlitz des unter Denkmalschutz stehenden Propagandabaus nicht entscheidend verändert. Den bewusst leergeräumten Innenhof des Torsos aber, der wie kein anderes Bauwerk auf dem Areal für den Bankrott eines Systems steht, mit einem Kulturort anreichern? Dass etwa OB König den Hof des Torsos als "öde und vernachlässigt" etikettiert und einer "gebäudlichen wie inhaltlichen Befüllung" zuführen will, halten die Institutshistoriker für mindestens fragwürdig. Der verstellte Raum, heißt es in einer Stellungnahme, "würde den erinnerungskulturellen Denkmalwert ein für allemal zerstören".

Auf erhebliche Resonanz stoßen solche Argumente momentan freilich kaum. Im Gegenteil: In der Nürnberger Zeitung haben Freunde eines Konzertsaals soeben eine neue Idee ins Spiel gebracht. Sie wünschen sich nicht nur ein Operninterim im Innenhof des NS-Baus, sondern darüber hinaus auch noch einen der zweitgrößten Kommune Bayerns angemessenen Konzertsaal, an dem es der Stadt seit Jahrzehnten mangelt. Das wären dann schon zwei Kulturgroßbauten in der bisherigen NS-Ödnis. Wie gesagt: Es bräuchte jetzt viel Zeit zur Debatte in Nürnberg.

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