Nürnberg:Widerstand gegen ICE-Werk im Hafenbecken

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Am oberen Ende des Nürnberger Hafenbeckens, das wie ein umgedrehtes T aussieht, soll eine Fläche verfüllt werden, auf der das ICE-Instandsetzungswerk gebaut werden soll, so die Vorstellung des BN. (Foto: Bavaria Luftbild/Bayernhafen)

Der Bund Naturschutz stößt mit seiner Idee, das umstrittene ICE-Instandhaltungswerk im Nürnberger Hafen zu bauen, auf massiven Protest. Die Hafenbetreiber wehren sich, ebenso die Firmen, die weichen müssten.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

So hoch wie ein mehrstöckiges Haus stapeln sich die meterdicken Papierrollen, sortiert danach, welche Verwendung sie einmal finden werden. Früher, erzählt Jörg Zech, oberster Lagerist bei der Firma Sperber, habe er diese Unmengen für Kataloge wie jenen des Versandhauses Quelle angeliefert bekommen und an Druckereien ausgeliefert. "Solche Kataloge gibt es heutzutage nicht mehr", sagt Zech, "alles auf dem Bildschirm." Das meiste des in der 7000 Quadratmeter großen Halle im Nürnberger Hafen gelagerten Papiers wird zu Verpackungsmaterial weiterverarbeitet. Ein Teil geht an die IT-Firma Datev, die darauf die Lohn- und Gehaltsabrechnungen für Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer druckt. Und die Pappe-Säulen gleich daneben werden zu Kaffeebechern.

Das Lager, überhaupt die ganze Firma Sperber, müsste weichen, so der Bund Naturschutz (BN) seinen Willen erfüllt bekommt. Ebenso die benachbarte Baustoffrecyclingfirma Durmin und die Schrottverarbeitungsanlage der Firma Derichebourg. Joachim Zimmermann und Peter Stäblein, Chef der staatlichen Bayernhafen AG der eine und Geschäftsführer des Nürnberger Hafens der andere, haben zum Besuch der drei Unternehmen eingeladen. Um zu zeigen, dass sie eine seit Wochen in und um Nürnberg heiß diskutierte Idee des BN für realitätsfremd halten, diplomatisch ausgedrückt.

Bayernhafen-Geschäftsführer Peter Stäblein kann der Idee der Naturschützer wenig abgewinnen. (Foto: Bayernhafen)

Der Naturschutzverband will durchsetzen, dass das ICE-Instandhaltungswerk, das die Deutsche Bahn für 400 Millionen Euro bauen will, nicht an einem der drei favorisierten Standorte bei Feucht oder Allersberg entsteht, weil dort viel Wald gerodet werden müsste. Sondern im Nürnberger Hafen, wo ein Wasserbecken im Umgriff von Sperber, Derichebourg und Durmin ohnehin verfüllt werden soll. Drei Hektar Land werden so gewonnen und mit ein paar weiteren, aktuell freien Grundstücken ließe sich ein verkleinertes ICE-Werk dort realisieren. So hat es der BN über Google Maps ausgemessen und bei einem Ortstermin ausgeschaut. Für Hafenchef Stäblein eine Milchmädchenrechnung. "Das ICE-Werk braucht bis zu 40 Hektar Fläche", sagt er. Wie da die vom BN angeführten elf Hektar Platz im Hafen reichen sollen, sei "eine mathematische Herausforderung, die ich nicht nachvollziehen kann".

Im Übrigen würden die freien Grundstücke und das Hafenbecken gebraucht, um die bereits hinterlegte Nachfrage von Unternehmen zu decken. "Es ist völlig unmöglich, die notwendige Fläche zur Verfügung zu stellen, ohne den Organismus des Hafens zu zerstören", warnt Bayernhafen-Chef Zimmermann. Das 470 Fußballfelder große Areal im Süden Nürnbergs sei voll mit Be- und Entladungsanlagen für die Verkehrsträger Schiene, Wasser und Straße sowie mehr als 200 Firmen. Sie schlagen in einem über Jahrzehnte austarierten und ausgeklügelten Zusammenspiel Güter um. Ihre Erbpachtverträge laufen noch Jahrzehnte, eine Zwangsumsiedelung würde eine Prozesslawine auslösen. "Wir werden uns vehement dagegen wehren, dass der Hafen für das ICE-Werk in Anspruch genommen wird", kündigt Zimmermann an.

Am Nürnberger Hafen wurden im vergangenen Jahr mehr Güter umgeschlagen als im Jahr zuvor. Verladen wird auf Schiffe, aber auch auf Züge und Lastwagen. (Foto: Bayernhafen)

Sperber, Durmin und Derichebourg sind nur drei von vielen durch die BN-Idee bedrohten Firmen, die allein aufgrund ihrer Emissionen nicht leicht umzusiedeln sind. Sie verknüpfen Anlieferung und Weitertransport per Eisenbahn, Schiff und Lastwagen. Sperber etwa transportiert Altpapier via Schiff und Schiene an ausländische Fabriken, die wiederum im Gegenzug die Papierrollen liefern. Derichebourg liefert in Nürnberg vorsortiertes Altmetall an Stahlwerke, "die alle am Wasser liegen", wie Niederlassungsleiter Günther Lutz sagt.

Was den Güterumschlag per Bahn und Schiff angeht, war der Nürnberger Hafen 2021 mit einem Zuwachs von 12,1, beziehungsweise 17,5 Prozent deutlich erfolgreicher als die Bayernhafen AG insgesamt (plus 4,6 Prozent), zu der auch die Häfen in Aschaffenburg, Bamberg, Roth, Regensburg und Passau gehören. Das Becken in Nürnberg werde auch nicht aufgefüllt, weil der Gütertransport auf dem Wasser rückläufig sei, sondern weil die Schiffe dank modernerer Krananlagen schneller be- und entladen werden und damit kürzer im Hafen liegen, sagt Peter Stäblein. So dürfte der BN-Vorschlag an der Realität scheitern, auch wenn Bahn und Stadt versichern, ihn ernsthaft zu prüfen.

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Die Debatte um das ICE-Werk steht überdies unter keinem guten Stern mehr, seit die Politik sich in die Standortsuche einmischt. Dies habe "die Akzeptanz des Projektes und die Glaubwürdigkeit des so wichtigen Vorhabens in der Öffentlichkeit unnötig untergraben", kritisiert Sebastian Körber, Verkehrsausschussvorsitzender im Landtag. Der Vorwurf des FDP-Politikers zielt auf Ministerpräsident Markus Söder, der "das Vorhaben mit vorschnellen Äußerungen und Festlegungen torpediert" habe. Körber wirft ihm vor, sich "bereits zum zweiten Mal in das Auswahlverfahren eingemischt" zu haben. Ursprünglich favorisierte die Bahn einen Standort am Rande der Nürnberger Stadtteile Altenfurt und Fischbach, die zum Teil zu Söders Stimmkreis gehören. Als dort Bürgerprotest entflammte, kündigte die Staatsregierung an, den notwendigen Wald dort unter keinen Umständen zur Verfügung zu stellen, weil er zu wertvoll sei. Damit war der Standort vom Tisch.

Inzwischen habe Söder ein zweites Mal eingegriffen, sagt Körber und zitierte im Landtag aus einem Brief an den CSU-Ortsvorsitzenden von Feucht. Darin schrieb Söder, die Staatsregierung sei bereits in Altenfurt/Fischbach "zu dem Ergebnis gekommen, dass unter den gegebenen Umständen keine Staatswaldflächen für den Bau des ICE-Instandhaltungswerks zur Verfügung gestellt werden können". In Feucht seien "die Umstände auf den Blick ähnlich gelagert".

Söder schrieb dies nicht als CSU-Parteivorsitzender, sondern mit dem Briefkopf des Ministerpräsidenten und mit Abschrift an die zuständigen Ministerien für Verkehr und Umwelt. "Das ist ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl, den die Ministerien als Anweisung von ganz oben empfinden müssen", sagt Körber. Folglich mische sich der Ministerpräsident in das laufende Raumordnungsverfahren ein, bei dem eben diese beiden Standorte bei Feucht geprüft werden. "Er torpediert politisch die Standortsuche", so Körbers Vorwurf. "Das ist unerhört und inakzeptabel."

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