Bayerischer Landtag:"Hoffentlich bricht Zschäpe ihr Schweigen"

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Günther Beckstein war Innenminister, als der NSU in Bayern fünf Menschen ermordete. Das Versagen der Behörden bei der Aufklärung beschäftigt ihn bis heute. (Foto: Christoph Trost/dpa)

Der frühere Innenminister Günther Beckstein sagt im NSU-Untersuchungsausschuss aus. Er hält bislang unentdeckte Helfer des Terrornetzwerks für die Morde in Nürnberg für wahrscheinlich.

Von Johann Osel

Der frühere Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) sieht die Nicht-Aufklärung der NSU-Morde durch die Behörden als "die größte Niederlage des Rechtsstaats, die ich in meiner Zeit als Innenminister erleben musste". Das sagte der 79-Jährige am Donnerstag im Untersuchungsausschuss des Landtags, der die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds im Freistaat beleuchtet. Beckstein zeichnete, bevor er Ministerpräsident wurde, 14 Jahre lang als Innenminister für die Sicherheitspolitik verantwortlich, von 1993 bis 2007. Es ist jene Zeit, in der der NSU allein in Bayern fünf Männer türkischer beziehungsweise griechischer Herkunft ermordete, in Nürnberg und München. Und in der die Behörden, keineswegs nur in Bayern, von Milieu-Morden ausgingen. Die Sonderkommissionen trugen Titel wie "Halbmond" und "Bosporus".

Beckstein berichtete den Abgeordneten vom großen Aufwand der Polizei damals, "ermittelt wurde in alle Richtungen, aber man fand keine Spuren". Auf seine Veranlassung hin seien etwa 300 000 Euro, eine höhere Belohnung als je zuvor in Bayern, ausgesetzt worden. Es sei auch der erste Fall gewesen, bei dem man türkische Ermittler hinzugezogen habe. Bis heute erkenne er aber "nicht den einen Fehler, der, wenn er nicht passiert wäre, für den Erfolg der Ermittlungen gesorgt hätte".

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Mit dem Tod der Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und über den Versand von Bekenner-DVDs durch Beate Zschäpe war 2011 das mörderische Treiben der Terrorzelle publik geworden; der NSU hatte sich also selbst enttarnt. Mehr als ein Jahrzehnt lang konnte sie deutschlandweit unentdeckt zehn Menschen ermorden, Anschläge und Raubüberfälle verüben. Nach einem ersten NSU-U-Ausschuss im Landtag 2012/2013 kamen neue Erkenntnisse auf. Zum Beispiel zum ersten Anschlag 1999 in einer Nürnberger Kneipe, dem "Taschenlampen-Attentat". Der türkischstämmige Wirt war dabei verletzt worden. Die Rohrbombe war in einer Taschenlampe versteckt. Die Tat wurde erst spät dem NSU zugeordnet, im Prozess gegen Zschäpe und andere Neonazis. Ein damaliger Ermittlungserfolg hätte womöglich die späteren Morde verhindern können. Zudem prüft der U-Ausschuss das denkbare größere Helfer-Netzwerk des NSU in Bayern und mögliche Fehler von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz.

Beckstein hatte bereits 2012 im ersten U-Ausschuss ausgesagt. Als Einheimischer kenne er die Tatorte in Nürnberg, sagte er am Donnerstag, es seien keine, "wo man ohne Weiteres hinkommt", wenn man als Auswärtiger durch die Stadt fahre. Dies spreche - seine "feste Vermutung" - für weitere, bislang unbekannte Mittäter. "Hoffentlich bricht Zschäpe ihr Schweigen." Ende Mai, Anfang Juni will der Ausschuss in die JVA Chemnitz fahren, um dort die zu lebenslanger Haftstrafe verurteilte Rechtsterroristin zu befragen. Ob sie tatsächlich sprechen wird oder gar brisante Details schildert, ist indes völlig unklar.

Die unaufgeklärte Mordserie habe ihn "unheimlich geärgert"

"Vielleicht hätte man das beim Taschenlampen-Attentat völlig anders bewerten müssen", sagte Beckstein, wohl sei das "aus heutiger Sicht viel zu niedrig" gewesen. Die Staatsanwaltschaft in Nürnberg damals war zunächst von fahrlässiger Körperverletzung ausgegangen. Er selbst sei - das habe sich kürzlich über sein früheres Ministerium rekonstruieren lassen - am Tatabend per Telefon von dem Attentat in Kenntnis gesetzt worden. Dass er als Innenminister wegen größerer Straftaten angerufen wurde, sei aber nichts Außergewöhnliches gewesen. Es konnte aber eben keine Spur zur später als NSU bekannten Gruppe ermittelt werden, stellte Beckstein klar. Letztlich habe man seiner Einschätzung nach insgesamt versucht, "an allen Ecken und Enden zu ermitteln". Die unaufgeklärte Mordserie habe ihn "unheimlich geärgert", angesichts der sonstigen Bilanz Bayerns bei der Verbrechensbekämpfung.

Einem Vorhalt des Ausschusschefs Toni Schuberl (Grüne), dass die Ermittler bei deutschen Opfern vielleicht nicht "wie mit Scheuklappen" im Umfeld der Opfer ermittelt hätten, widersprach Beckstein. Und schon beim ersten Mord des NSU habe er in einem Vermerk gefragt, ob ein rechtsextremistisches Motiv denkbar sei. Allen Spuren in der Neonazi-Szene sei nachgegangen worden. Zudem habe er als Innenminister zwei Mal ein bundesweites NPD-Verbot betrieben, sei zwei Mal gescheitert. "Ich hatte die Gefahren immer auf dem Schirm." Bei den NSU-Ermittlungen seien sogar Alibis von allen Republikaner-Mitgliedern im Raum Nürnberg erfragt worden.

Das Gremium nähert sich bereits der Zielgeraden der Untersuchung. An wichtigen Zeugen werden, außer Zschäpe, noch Bayerns Verfassungsschutzchef Burkhard Körner erwartet sowie Joachim Herrmann, Becksteins Nachfolger als Innenminister.

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