Minus 10,4 Prozentpunkte. Die CSU ist monatelang in Zeitlupe abgestürzt, man konnte der Partei beim Fallen zusehen. Aufgeschlagen ist sie nun trotzdem mit einem ziemlichen Knall. 37,3 Prozent, es ist das schlechteste Landtagswahlergebnis für die CSU seit mehr als 60 Jahren. Wo sind ihre Wähler hin? Was hat die Partei falsch gemacht? Gründe für den Absturz der selbsternannten Staatspartei.
Die CSU hat sich selbst zerlegt: Machtkämpfe gab es in der Partei schon immer, an eine gewisse Brutalität ist man gewohnt. Die Schlacht aber, die sich Markus Söder und Horst Seehofer nun schon seit Jahren liefern, kostete die CSU Kraft - und Ansehen. Als Seehofer im Frühjahr ins Bundesinnenministerium nach Berlin wechselte, schien Söder am Ziel: endlich bayerischer Ministerpräsident. Seinen ewigen Rivalen wurde er dadurch aber nicht los, Seehofer blieb CSU-Chef - und das Gerangel ging weiter. Das machte die Partei mürbe und potentielle Wähler müde.
Machtkämpfe:Der brutalste Gegner der CSU ist die CSU
Die Geschichte der Streitereien zwischen den Unionsparteien ist lang. Doch nirgends werden Kämpfe erbitterter geführt als innerhalb der CSU. Das nächste Opfer scheint schon ausgemacht.
Der irrlichternde Innenminister: Seehofer und Söder haben der CSU als Duo geschadet, aber auch jeder für sich hat seinen ganz individuellen Anteil am Niedergang. Im Streit um die Asylpolitik hat der Parteichef und Innenminister erst fast die große Koalition in Berlin gesprengt und dann mit dem Rücktritt vom Rücktritt seine Glaubwürdigkeit verspielt. Kurz darauf folgten seine Bemerkung zu den 69 abgeschobenen Flüchtlingen an seinem 69. Geburtstag und die Aussage, die Migrationsfrage, sei die "Mutter aller Probleme". Auch der Bamf-Skandal und zuletzt der Fall um den damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen führten dazu, dass selbst langjährige CSU-Anhänger in bayerischen Bierzelten nur noch ein Kopfschütteln übrighatten. Das Bild vom unberechenbaren Seehofer, es wandelte sich zum Schlechten - und ging nicht mehr weg.
Der gehetzte Landesvater: Dass die andere Hälfte der Doppelspitze Markus Söder heißt, machte es für die Wähler nicht leichter. Endlich im Amt seiner Träume legte der 51-Jährige ein hohes Tempo vor. Im April präsentierte er seinen milliardenschweren 100-Punkte-Plan. Bei vielen Bürgern entstand dabei der Eindruck, der neue Ministerpräsident werfe mit Geld um sich, statt es zielgerichtet auszugeben. Kreuzerlass, Grenzpolizei, Polizeiaufgabengesetz, Gerangel mit Seehofer, erst populistische Aussagen zur Asylpolitik und dann, sehr spät, gemäßigtere. Söder ist von Termin zu Termin gehetzt, Untätigkeit kann man ihm nicht vorwerfen. Was er aber nicht geschafft hat: bei den Menschen ankommen.
Die Flüchtlingskrise ist zur CSU-Krise geworden: Dem Diktum Franz Josef Strauß' folgend, wonach rechts von der CSU kein Platz sein dürfe, wollte Söder rechter sein als die AfD - und verprellte dabei christliche und liberale Anhänger der Partei. In einer Umfrage Mitte August wurden die CSU und Ministerpräsident Söder als "größte Probleme auf Landesebene" bezeichnet - die Migration folgte erst an zweiter Stelle. Da jagte Söder der AfD aber rhetorisch schon monatelang hinterher. Erst Anfang September, nach den fremdenfeindlichen Übergriffen und den Ausschreitungen in Chemnitz, distanzierte er sich deutlich von den Rechtspopulisten. Das kam sogar für viele in der CSU zu spät. Söders Parteifeind Seehofer machte ihm die Sache zu keiner Zeit einfacher - er provozierte in Berlin praktisch ständig Kanzlerin Angela Merkel, strapazierte das Verhältnis zur Schwesterpartei CDU und torpedierte auch damit Söders Wahlkampf in Bayern.
Die Zeit der Volksparteien ist vorbei: In Europa spürt man das schon längst und bei der Bundestagswahl hat es sich auch in Deutschland gezeigt. Die Gesellschaft ist zersplittert, die einstigen Stammwähler-Milieus gibt es nicht mehr, Interessen werden individueller. Entsprechend ändert sich auch das Engagement der Menschen - um etwas zu erreichen, tritt niemand mehr einer Partei bei, sondern macht zum Beispiel lieber bei einer Bürgerinitiative mit. Und eine gewisse Politikverdrossenheit lässt sich auch nicht abstreiten. Bislang konnte sich die CSU noch gegen den Niedergang stemmen, als bayerische Volkspartei sozusagen, aber auch damit ist nun Schluss.
Die bayerische Bevölkerung ändert sich: Tradition, Heimat, Brauchtum - Begriffe, mit denen die CSU gerne hantiert. Doch an wen richtet sie sich dabei eigentlich? Der Zuzug nach Bayern ist enorm, aus anderen Bundesländern wie aus dem Ausland. Heute leben viel mehr Menschen in Städten als noch vor ein paar Jahrzehnten, das Familienbild wandelt sich, es gibt weniger Kirchgänger und alte politische Glaubenssätze gelten nicht mehr. Im Wahlkampf hat Ministerpräsident Söder immer und immer wieder betont, wie gut es dem Freistaat und vielen Einwohnern hier geht - womit er durchaus recht hat - und dass die Menschen doch bitte bemerken und würdigen sollen, wessen Verdienst das alles sei. Doch der erhoffte Automatismus trat nicht ein: Aus dem Bewusstsein formte sich kein Kreuzchen für die CSU.
Der Erfolg der Grünen hat sich seit Monaten angebahnt. Immer besser wurden die Werte in den Umfragen, immer breiter das Grinsen in den Gesichtern der Kandidaten. Noch nie zuvor haben die Grünen bei einer bayerischen Landtagswahl ein zweistelliges Ergebnis erzielt - und nun 17,8 Prozent! Zweitstärkste Kraft im Parlament. Wie haben die Grünen das geschafft?
Ein hyperaktives Spitzenduo: Katharina Schulze und Ludwig Hartmann waren in den vergangenen Monaten überall. In Städten und auf dem Land, in Fernsehsendungen und im Bierzelt, auf Podiumsdiskussionen und im Bierzelt. Die beiden haben sich klar und effektiv aufgeteilt: die 33-jährige Schulze bedient das städtische Klientel, Hartmann, 40, kommt auf dem Land besser an. Auch wenn die Grünen bundesweit inzwischen durchaus als etablierte Partei bezeichnet werden dürfen, haben die beiden in Bayern einen schlichten Vorteil: Sie sind frisch und unverbraucht, haben nichts von dem jahrzehntealten Filz, den man mit der CSU in Verbindung bringt, und sie kommen bei den Menschen mit ihrer direkten Art gut an.
Spitzenkandidat Hartmann:Das ist Söders grüner Albtraum
Die Grünen sind in Bayern zur zweitstärksten Kraft geworden. Ihr Spitzenkandidat Ludwig Hartmann fordert den CSU-Ministerpräsidenten im TV-Duell heraus.
Bayern wird urbaner: Die Wähler in den Städten haben heute deutlich mehr Gewicht als noch vor ein paar Jahrzehnten. 2017 waren es 6,9 Millionen, auf dem Land hingegen 6,1 Millionen.Hinzu kommt, dass die alten Volksparteien bröckeln, eine breite mobilisierbare Mitte gibt es praktisch nicht mehr. Menschen entscheiden häufiger nach Interessen oder Lebensgefühl - und davon profitieren die Grünen.
Themen für Stadt und Land: Schulze ist bei allen Demonstrationen in München weit vorne mitgelaufen, gegen die dritte Startbahn, gegen das Polizeiaufgabengesetz, gegen zu hohe Mieten und auch gegen die CSU. Ministerpräsident Söder nannte die Grünen deshalb auch gerne "die Verbotspartei" und wollte sie Wählern damit vergällen. Hat aber nicht geklappt. Schulze hat sich als Innenpolitikerin profiliert und auch intensiv mit der Polizei befasst. Hartmann hat sich für das Volksbegehren gegen den Flächenfraß stark gemacht, sein Slogan: Es braucht eine "Politik, die denkt, bevor der Bagger kommt". Den Leuten auf dem Land gefällt das offenbar. Die beiden haben es geschafft, das Label "Bürgerschreck" loszuwerden.
Rückenwind aus Berlin: Was CSU und SPD gelähmt hat, war für die Grünen ein Segen: Die Partei hat derzeit mit Annalena Baerbock und Robert Habeck auch im Bund ziemlich beliebte Köpfe an der Spitze - und ist nicht Teil der Bundesregierung. Das macht es im Wahlkampf erheblich leichter. Während sich also Söder und SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen schon gefreut hätten, wenn ihnen aus Berlin wenigstens niemand Knüppel zwischen die Beine wirft, so durften sich Hartmann und Schulze über jeden Besuch freuen, ohne im Hintergrund ein Krisentreffen organisieren zu müssen.
12,4 Prozent hat die AfD bei der Bundestagswahl in Bayern erreicht - das beste Ergebnis in Westdeutschland. Bei der Landtagswahl sind es nun 10,7 Prozent. Man muss wohl sagen: die Rechtspopulisten sind in Bayern angekommen. Besonders stark ist die AfD wieder in Niederbayern - warum ausgerechnet da? Und wieso schneidet die Partei im wohlhabenden Bayern überhaupt so gut ab?
Rechts zu sein, scheint kein Tabu mehr: Das zeigt sich anschaulich an der Wählerschaft der AfD: Ihre Anhänger und Mitglieder stammen aus allen Schichten der Bevölkerung: Abgehängte, Arbeiter, Akademiker, Adlige. Und sie finden nichts daran, wenn die Parteioberen haarsträubende Sätze von sich geben, mit denen sie ihre Verachtung für Demokratie und Menschenrechte ausdrücken. Ein Stück weit hat es die AfD - und an dieser Stelle muss man auch Pegida hinzuzählen - geschafft, die Bevölkerung mit ständiger Krawall-Rhetorik abzustumpfen. Die "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"-Rufe haben verfangen, sie trauen sich öffentlich mehr zu sagen und mit größerer Selbstverständlichkeit, als das Republikaner und auch die NPD je gemacht haben.
Landtagswahl:Gehört die AfD in Bayern inzwischen dazu?
Bei der Bundestagswahl erreichte die Partei in Deggendorf fast 20 Prozent. Ein kurzer Protest, dachten viele. Doch der Wind hat sich gedreht. Eine Spurensuche.
Die AfD ist stark und an manchen Orten stärker: Im niederbayerischen Landkreis Deggendorf hat bei der Bundestagswahl fast jeder Fünfte die AfD gewählt. Das lässt sich zumindest teilweise mit den Ereignissen aus dem Jahr 2015 erklären, die Flüchtlingskrise beschäftige die Menschen dort viel stärker als im restlichen Bayern. Von der Politik fühlten sie sich damals im Stich gelassen, also machten sie ihr Kreuz bei der AfD. Nicht ganz unwichtig ist wohl auch die Spitzenkandidatin in Deggendorf. Katrin Ebner-Steiner kommt bei den Menschen gut an - und wirkt dabei nahbarer als eine Beatrix von Storch.
Merkel-Übersättigung: Daran leidet nicht nur die AfD, aber keiner geht so damit um wie die Rechtspopulisten. AfD-Spitzenpolitiker formulieren offen als Ziel, die Bundeskanzlerin loswerden zu wollen, im Internet drücken sich manche Anhänger sogar noch drastischer aus - und die Partei lässt sie gewähren. Jedem möglichen Anstandsgefühl zum Trotz. Nach 13 Jahren Kanzlerschaft und dem aufwühlenden Jahr 2015 mit der alles beherrschenden Flüchtlingskrise haben auch viele Bürger keine allzu große Lust mehr auf Angela Merkel. Die AfD kann es sich leisten, diesen Überdruss auszudrücken. Der CSU ließ man das Opponieren im Wahlkampf dagegen nicht durchgehen - der ständige Streit mit Berlin hat Söder geschadet.
Schlichte Parolen und Lautstärke: Ein primitives Rezept, das verfängt. Politik besticht selten durch Verständlichkeit, die AfD schafft es mit ihrem monothematischen Fokus - Migration und Flüchtlinge - Menschen zu erreichen. Inhalte werden eingedampft auf Anklagen und Forderungen, auf deren Rechtsstaatlichkeit wird kein besonderer Wert gelegt. Es ist einfacher, Dinge zu verlangen, wenn man nicht über deren Umsetzung nachdenken muss.
Vor fünf Jahren kam die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Christian Ude, der als Münchner Ex-Oberbürgermeister zumindest in den Städten populär war, noch auf 20,6 Prozent bei der Landtagswahl. Bei der Bundestagswahl haben es die Sozialdemokraten in Bayern nur noch auf 15,3 Prozent gebracht - ein klägliches Ergebnis, aus damaliger Sicht. Eigentlich muss man sagen: die SPD bleibt sich mit dem jetzigen Ergebnis treu, es geht stetig bergab.
Dauersiechtum in Bayern: Wofür steht die SPD eigentlich? Für die Arbeiter nicht mehr, darin sind sich die meisten noch einig. Für die "kleinen Leute"? Das sehen die kleinen Leute wohl nicht so. Die Sozialdemokraten tun sich schwer, ein Thema als das ihrige zu besetzen. Soziales? Vertreten auch Linke und Grüne. Wohnen, das Thema für das sich im Wahlkampf Spitzenkandidatin Natascha Kohnen stark gemacht hat, kam im Programm jeder Partei vor.
Blasse Spitzenkandidatin: Gegen Natascha Kohnen gibt es im Grunde nichts einzuwenden. Sie hat engagiert gekämpft, ist inhaltlich gut aufgestellt und kennt ihre Themen - nur: Niemand kennt sie. Im Vergleich zum Grünen-Spitzenduo mangelt es ihr an Charisma, Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hat zumindest eine klare Zielgruppe, die Landbevölkerung. Kombiniert man also unbekannte Kandidatin mit fehlendem Wahlkampfthemenschlager, ergeben sich die traurigen 9,5 Prozent.
Berliner Zerreißprobe: Nur an Kohnen lag es aber auch nicht. Ihre Berliner Genossen haben ihr den Wahlkampf in Bayern maximal schwer gemacht. Kohnen war in der verflixten Position, zu Hause gegen Themen wettern zu müssen, die ihre Partei in der Großen Koalition mitgetragen hat - und im Zweifelsfall sogar sie selbst als stellvertretende Bundesvorsitzende. Höhepunkt des Berlin-Gerangels war wohl der Fall Maaßen, als sich Kohnen gegen die Entscheidung der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles stellte.
Sterbende Volksparteien: Der SPD geht es schon lange schlecht, die CDU leidet auch und seit diesem Abend kann man wohl sagen, dass auch die CSU ihren Status als Volkspartei verloren hat. Woran das liegt? Die Gesellschaft wird pluraler, Interessen verschieben sich und werden kleinteiliger. Es geht nicht mehr um "Rechte für Arbeiter" oder "bessere Bedingungen für alle Unternehmer". Wer etwas erreichen will, engagiert sich lieber in kleinen zielgerichteten Initiativen, aber nicht in einem Tanker wie der SPD oder der CDU.