Explodierende Inzidenz-Zahlen:Soldaten an der Corona-Front

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Ungewöhnlicher Einsatzort: So wie im Landkreis Miesbach unterstützen derzeit Soldaten mehrere Landratsämter bei der Kontaktnachverfolgung von Corona-Infizierten. (Foto: Landratsamt Miesbach)

Landratsämter schaffen es längst nicht mehr, Kontakte von Infizierten abzuklappern. Dabei helfen vielerorts bereits Angehörige der Bundeswehr beim Telefonieren mit.

Von Matthias Köpf und Johann Osel, Traunstein/München

Im Landratsamt in Traunstein sitzen schon seit einigen Wochen wieder Soldaten der Bundeswehr und kämpfen dort an den Computern und Telefonen einen Kampf, der kaum mehr zu gewinnen ist. Traunstein liegt mitten in der Hotspot-Region in Bayerns Südosten, das RKI gibt die Sieben-Tage-Inzidenz für den Landkreis am Dienstag mit 1002,9 an - an diesem Tag ist das der achthöchste Wert in Deutschland. Mehr als tausend Menschen haben sich dort also innerhalb der vergangen sieben Tage neu mit Corona angesteckt, und all diese Menschen anzurufen, nach ihren Kontaktpersonen zu fragen und wiederum diese zu benachrichtigen, ist inzwischen einfach nicht mehr zu leisten - schon deshalb, weil die Kontakte anders als im Frühjahr nun nicht mehr beschränkt sind.

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So wie in Traunstein ist die Lage gerade in vielen Landratsämtern. Die Contact-Tracing-Teams (CTT) der Gesundheitsämter wurden teils schon vor Wochen mit Kollegen aus anderen Abteilungen aufgestockt, sie arbeiten sieben Tage die Woche durch, mancherorts hilft die Bundeswehr in Flecktarn-Montur beim Telefonieren. Und doch reichen die Kapazitäten nicht mehr aus, um noch alle Infektionsketten nachzuvollziehen. Bereits Mitte September, als die Pandemiesituation noch entspannter war, hatte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) mitgeteilt, dass man die Nachverfolgung "schärft". Gemeint war damit, dass die CTT "stärker priorisieren. Dazu gehört eine Risikobewertung". Situationen mit hohem Übertragungsrisiko, zum Beispiel Feiern, werden mit höchster Priorität bearbeitet; ebenso Fälle, bei denen Menschen mit erhöhtem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf involviert sind, vor allem Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Mit den Änderungen reagiere der Freistaat auch auf den Fortschritt bei den Impfungen. "In Situationen mit geringem Übertragungsrisiko und ohne Gefährdung von Risikogruppen können die Gesundheitsämter die Kontaktpersonen-Nachverfolgung nachrangig behandeln."

Inzwischen aber ist der formale Strategiewechsel schon rein angesichts der Masse der Fälle wohl angebracht. Die Sieben-Tage-Inzidenz bayernweit lag am Dienstag bei 555. Wie der BR kürzlich meldete, informiere etwa das Amt in Würzburg auch keine Club- und Discobesucher mehr. "Wer einen Club, eine Disco oder ähnliche Lokalität besucht, muss damit rechnen, dass er sich infizieren kann", so die Argumentation. In der Vergangenheit habe man hier teilweise bis zu 4000 SMS verschicken müssen. Andernorts ist demnach zu hören, dass es längst "absolut utopisch" sei, an eine Komplettabdeckung durch CTT auch nur zu denken. Jeder positiv bestätigte Fall, mit Ausnahme von priorisierten Gruppen, müsse deshalb seine Kontaktpersonen erst mal selbst informieren, das Amt melde sich dann gegebenenfalls später. Ganz neu ist das nicht: Im Lauf der Pandemie kamen die Ämter öfters nicht hinterher - trotz Aufstockung durch Bundeswehr, Polizei oder andere Verwaltungen.

In Traunstein hat das Landratsamt wieder eigene neue Stellen für das Contact Tracing ausgeschrieben und für den Hausgebrauch bei den Bürgern eine Art Flussdiagramm veröffentlicht. Auf dem können sich die vielen verunsicherten Menschen, die sich in diesen Tagen am Telefon oder per E-Mail in der Behörde melden, selbst über die nötigen Schritte informieren. Enger Kontakt zu einem Infizierten und selbst geimpft? Ja: "Keine Quarantäne!" auf grünem Grund. Nein: "Begeben Sie sich sofort in Quarantäne (verpflichtend)", diesmal rot hinterlegt.

Jüngst im Landtag kritisierte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze, Ministerpräsident Markus Söder habe es "nach anderthalb Jahren immer noch nicht geschafft, die Basics der Pandemiebekämpfung bereitzustellen". Beleg in ihren Augen: "Wir haben eine chaotische Kontaktnachverfolgung", zudem komme die Digitalisierung nicht voran. Die Grünen fordern eine "sofortige und konzentrierte Ausbauoffensive" der Gesundheitsämter als "Dreh- und Angelpunkt" der Pandemiebekämpfung. Wie die Fraktion über eine Anfrage erfuhr, ist an den 71 staatlichen Ämtern jede zehnte Leitungsstelle unbesetzt. Das Ministerium betont, allein beim Stammpersonal wurden 1500 zusätzliche Stellen geschaffen, man habe die Bezahlung attraktiver gemacht und Nachwuchsförderung verbessert - der öffentliche Gesundheitsdienst werde "gestärkt aus der Krise hervorgehen".

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