Kommunalwahl 2020:Wer regieren will, muss in die Gemeinderäte

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Einer der mit den Leuten kann: Harald Lenz, Bürgermeister-Kandidat der Grünen im schwäbischen Ebershausen. (Foto: Ingo Jensen)

Eine der spannendesten Fragen bei der bevorstehenden Wahl ist: Können die Grünen ihren Höhenflug fortsetzen? Harald Lenz, grüner Bürgermeisterkandidat im schwäbischen Ebershausen, hat es schon fast geschafft.

Von Lisa Schnell, Ebershausen

Da wäre zum Beispiel das Bushäuschen, sagt Harald Lenz. Er steht direkt davor, spitzes Dach, dunkles Holz. Ebershausen hat nur eines. Gleich daneben ist das Marterl vom Heiligen Franz Xaver, wo Fronleichnam der Altar errichtet wird. Dann das Feuerwehrhaus, ein paar Bauernhäuser und das war's dann. Sonst nur Wiesen, auf denen das Holz geschlichtet ist und ein paar Zottelrinder, von denen Lenz auch nicht genau weiß, wie sie heißen. Aber zurück zum Bushäuschen. Da müsse sich was ändern, sagt Lenz, weil die Autos von Babenhausen immer so runterbrausen. Lenz braust nicht, er surrt. Hoch den Hügel mit seinem Elektroauto zur Kirche, die Reifen knirschen auf dem Schotterplatz. Mit dem hat er auch was vor: "Ein Marktplatz der biologischen Vielfalt."

Lenz, 48 Jahre alt, ist einer, bei dem man nicht lange überlegen muss, für welche Partei er antritt. Seine langen Haare trägt er im Zopf und in Krumbach geht er gerne zum Veganer wegen der Linsensuppe. Kurz: Lenz ist bei den Grünen und damit schon eine kleine Sensation in einem Ort wie Ebershausen, 600 Einwohner und ein paar Schafe, der Kirchturm am höchsten Fleck. Fast 43 Prozent bekam die CSU hier im schwäbischen Landkreis Günzburg bei der letzten Landtagswahl, die Grünen knapp vierzehn.

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Eine fast schon große Sensation ist es deshalb, wen sich die Ebershausener als Bürgermeister wünschen: Harald Lenz. Fällt ihm nicht noch der weiß-blaue Himmel auf die langen Haare, wird er der erste grüne Bürgermeister von Ebershausen. 83 von 107 Stimmberechtigten wählten bei der Aufstellungsversammlung der Einheitsliste nicht die Frau des Zweiten Bürgermeisters, der seit 30 Jahren im Amt ist. Sondern ihn. Natürlich stimmten sie in erster Linie für seine Person. Aber trotzdem: 77 Prozent für einen Grünen im tiefschwarzen CSU-Land, das ist beachtlich.

Lenz hat damit praktisch schon geschafft, was die Grünen sich von der Kommunalwahl am 15. März erhoffen. Nicht mehr nur Großstadtpartei sein, sondern "ganzbayerische Partei", wie es Fraktionschef Ludwig Hartmann sagt. Grün, weiß-blau, sozusagen. In Großstädten wie München ist den Grünen ein großer Zuwachs fast gewiss. In Würzburg hoffen sie darauf, den Oberbürgermeister zu stellen, im Landkreis Starnberg vielleicht eine Landrätin. Die große Frage aber wird sein: Ergrünt Bayern auch auf dem Land? Wie bei jedem Wettbewerb gilt als erstes: Wer nicht antritt, kann nicht gewinnen. Bei all den Erfolgsmeldungen von immer mehr Mitgliedern und mehr Ortsvereinen, muss erwähnt werden: Die Grünen treten längst nicht flächendeckend an, auch wenn sie sich in weit mehr Orten zur Wahl stellen als 2014. Vor allem abseits der Städte fehlen oft Kandidaten. Der zweite Punkt ist: Sie müssen gewinnen. Nur, wie schafft man das als "Öko" auf dem Land? Oder anders: Herr Lenz, wie haben Sie das gemacht?

Große Fragen um elf Uhr in der Früh. Harald Lenz bestellt sich erst mal einen Cappuccino. Er ist übrigens kein Veganer. Fleisch isst er nicht oft, aber sehr gerne. Nicht wohl ist ihm dagegen dabei, den eigenen Erfolg erklären zu müssen. Er versucht es mal. "Mich haben viele gewählt, weil ich der Harry bin und nicht, weil ich bei den Grünen bin", sagt Lenz.

Der "Harry" sagt "noi" statt "nein" und kommt aus Burgau, unweit von Ebershausen. Als Kind fuhr er mit dem Rad zum Baggersee, war Pfadfinder und Ministrant. Der Pfarrer lehrte ihn Schafkopfen. Seit 25 Jahren arbeitet Lenz im Krankenhaus als Pfleger. In die Stadt hat es ihn nie gezogen, dafür nach Ebershausen. Da war er erst der "Zuagroaste", dann "der Harry". Er ist im Kulturverein und spielte in der Musikkapelle die große Trommel und zwar in Lederhosen. Man kann sich gut vorstellen, wie er mit seinen breiten Händen einen Maibaum hochwuchtet. Überall, wo Lenz an diesem Tag auftaucht, trifft er Bekannte. "Ich bin halt dabei", so würde er seinen Erfolg erklären, wenn er unbedingt muss. Bei allem, was er vorhabe, gelte: "Es muss immer mit den Leuten passieren." Lenz sitzt seit zwölf Jahren im Kreistag, er ist für Transgender-Toiletten und mehr Umweltschutz, nur: "Ich kann nicht einfach sagen: Packt alle die Photovoltaik-Anlagen aufs Dach." Er möchte sich jetzt auf keinen Fall vergleichen, sagt Lenz, aber ihm fällt bei dem Thema ein anderer Grüner vom Land ein: Sepp Daxenberger. "Des war auch einer, der mit die Leut' gekonnt hat".

Sepp Daxenberger, der urige Bio-Bauer von Waging am See, war lange die große Hoffnung der Grünen, auch die Welt der Trachtenvereine erobern zu können. Bis 2008 war Daxenberger Landeschef, 2010 starb er und mit ihm ein wenig die Hoffnung der Grünen, eine "ganzbayerische" Partei und irgendwann regierungsfähig zu werden. Darum nämlich geht es auch bei dieser Kommunalwahl. Wer regieren wolle, der müsse in die Gemeinderäte, in die Vereine. So der Rat aus Baden-Württemberg, wo ein Grüner Ministerpräsident ist. Um der CSU wirklich gefährlich zu werden in Gegenden wie Ebershausen, bräuchte es also mehr kleine Daxenbergers wie Lenz.

Dass es die gibt, glaubt Alfred Sauter offenbar nicht. Sauter gehört zu den Parteigranden der CSU und ist außerdem Kreisvorsitzender im Landkreis Günzburg. Die Sache mit Lenz? Für Sauter sicher kein Zeichen, dass die Grünen auf dem Land angekommen sind. "Die Grünen sind eine Stadtpartei der Studenten und Akademiker", sagt Sauter. Erfolgsaussichten der Grünen auf dem Land aus seiner Sicht: eher Null.

Dann sitzt man zusammen mit vier Ebershausenern beim Griechen und kommt ins Grübeln. Unter dem Dreizack einer weißen Poseidonstatue aus Gips herrscht Einigkeit: Ebershausen ist konservativ, genau wie fast alle, die am Tisch sitzen. "Der Harald" aber sei der beste, den sie kriegen könnten, sagen sie. Dass er bei den Grünen ist? Nicht so schlimm. Die Grünen, die seien doch "bürgerliche Mitte", sagt Sonja Rittler, 43, eine Frau mit Perlenohrringen. Für die nächste Regierung wünscht sie sich Schwarz-Grün. Vieles, was die Grünen wollen, findet sie gut. Rittler hat sich extra das Parteiprogramm angeschaut. Vieles sei auch nicht gut. So sagen das die meisten beim Griechen. So hört man es beim Schreiner in Ebershausen, wo es nach Sägespänen riecht und der Meisterbrief neben der Tür hängt. Angst, dass ein Grüner nicht gut ist für den Betrieb? Stefan Finkele schüttelt den Kopf. In Baden-Württemberg gehe es der Wirtschaft ja auch nicht schlecht.

Harald Lenz wartet derweil draußen in seinem E-Auto. Es ist inzwischen Nachmittag geworden und vielleicht die richtige Zeit für große Fragen. Wie ist das also mit den Grünen und der Landbevölkerung? Müssen die Grünen konservativer werden oder sind die Konservativen schon grün genug geworden? Lenz überlegt. Der Klimaschutz sei den Leuten natürlich wichtiger als früher, auch in Ebershausen. Und apropos konservativ. Lenz möchte da noch was sagen zu den Transgender-Toiletten. Die findet er zwar gut, aber natürlich werde es erst mal einen Aufschrei geben. Und nein, in Ebershausen brauche es so etwas nicht, sagt Lenz dann. Da brauche es jetzt vor allem eines: Eine Lösung für das Bushäuschen.

© SZ vom 24.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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