Kommunalwahl:Ein niederbayerisches Urgestein tritt ab

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Heinrich Trapp war als Landrat für zahlreiche Spatenstiche verantwortlich. (Foto: Privat)

Nach 29 Jahren hört Heinrich Trapp als dienstältester Landrat Bayerns auf. Dabei hätte alles ganz anders kommen können - denn in den Siebzigerjahren bekam er ein verführerisches Angebot.

Von Andreas Glas, Dingolfing

Ein Donnerstag im Fasching, Unsinniger Donnerstag. Heinrich Trapp stemmt sich aus seiner Dienstlimousine, marschiert über den Hof der Dingolfinger Berufsschule. Er ist spät dran. Drinnen läuft schon die Abschlussfeier, Trapp soll eine Rede halten. Er marschiert also, erst schnell, dann immer langsamer, immer schiefer, der Rücken zickt. "Ich weiß gar nicht, was es genau ist", sagt Trapp, "aber weh tut's." Ob er nicht doch mal zum Arzt gehen sollte? Er lacht. "Das werde ich dann gleich machen, wenn ich... " Dann bricht er ab, mitten im Satz. Wenn Schluss ist? "Ja", sagt Trapp.

Schluss. Heinrich Trapp, 68, ist zu lange dabei, dass ihm dieses Wort leicht über die Lippen geht. Kein Landrat in Bayern ist länger im Amt. 29 Jahre. Als Trapp anfing, war Deutschland frisch wiedervereinigt, in den Charts pfiffen die Scorpions ihr "Wind of Change" und der ICE hatte gerade seine Jungfernfahrt hinter sich gebracht. Man muss sich das alles bewusst machen, um zu verstehen, dass es keine Übertreibung ist, wenn jetzt alle sagen, dass im Landkreis Dingolfing-Landau eine Ära zu Ende geht.

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Dabei hätte alles ganz anders laufen können im Leben des Heinrich Trapp. Ende der Siebzigerjahre trat Trapp, Mitte Zwanzig, in der ZDF-Quizsendung "Der Große Preis" auf. Sechs Mal ging er als Sieger aus dem Studio. Trapp hat damals viel Fanpost bekommen. Und ein verführerisches Angebot, ebenfalls per Brief. Eine alte Dame aus Bremen, verwitwet und kinderlos, war so angetan von Trapp, dass sie ihn zum Chef ihrer Stahlfirma machen wollte - und zum Erben ihres Vermögens. Es ging um fast 20 Millionen Mark. "Mein Vater hat gesagt: Bub, das ist so viel Geld, nimm's! Und meine Mutter hat gefragt: Bist du dann noch mein Bub?"

Zwei Jahre hat er überlegt. Dann hat er Nein gesagt. Ein Kaufmannsleben im Norden? Dafür hätte er seine "Identität preisgeben" müssen, sagt Trapp, der damals Lehrer war und Chef des Kreisjugendrings. "Ein Hype" sei das gewesen, als er immer wieder diese Quizshow gewann. Es gab ja nur drei Fernsehsender, alle schauten zu. "Einfach stolz" seien die Leute hier gewesen, "da kommt ein Niederbayer, der es auch noch allen zeigt". Die Leute seien "auf der Straße neben meinem Auto hergelaufen und haben applaudiert". Und alle fingen an, um Fernsehheld Trapp zu werben: SPD, CSU, Freie Wähler. Nach einem Ausflug zu den Freien Wählern entschied er sich für die SPD. Willy Brandt, die Ostpolitik, "das liberale Gedankengut", das habe ihm gefallen, sagt Trapp. Heute spricht Trapp nicht mehr so freundlich über seine Partei: "Ob ich wieder eintreten würde? Eher nicht."

Wie alles begann: Landrat Heinrich Trapp bei seiner Vereidigung. (Foto: Privat)

In der Dingolfinger Berufsschule ist es gleich zehn Uhr. Applaus, der Landrat tritt hinters Rednerpult. Er beglückwünscht die Absolventen und kommt schnell zu dem Thema, das oft kommt, wenn Trapp anfängt zu plaudern: Zuwanderung. Er bittet die Schüler, sich "für diese Gesellschaft zu engagieren" und denen zu helfen, "die sich integrieren wollen". Es brauche aber keiner "vor Migranten zu kuschen, die ein anderes Frauenbild haben. Denen müssen wir in klarer Deutlichkeit sagen: Was suchst du denn bei uns?" Zwei Stunden später sitzt Trapp in einem italienischen Restaurant, sägt an einem Steak und wird noch deutlicher. Es gebe "einen Haufen Flüchtlinge, die einen Scheiß erzählen, wo sie herkommen". Man habe es da "mit Egoisten zu tun, mit Tricksern und Täuschern". Dann sagt er, "wie schwer" es manche Flüchtlinge hätten und dass es auch positive Beispiele gebe. Aber es klingt schon oft sehr pauschal, wenn Trapp über Zuwanderer spricht.

Die Kellnerin kommt an den Tisch, sie fragt: "Schmeckt es Ihnen?" Ja, "aber es wäre noch schöner, wenn Sie hier sitzen würden". Sagt der Mann, der sich gerade noch über das Frauenbild von Flüchtlingen beschwert hat. Ob es ihn störe, wenn manche sagen, dass er bei der AfD besser aufgehoben wäre? "Ich kann mich ja nicht dafür entschuldigen, dass andere Menschen zu den gleichen Erkenntnissen kommen, die ich habe", sagt Trapp. Er sei "nicht diskriminierend", aber "Politik fängt für mich da an, wo man die Wirklichkeit so betrachtet, wie sie ist. Und nicht so, wie ich sie mir denken möchte".

Baustellentermine gehören zum Alltag eines Landrats. (Foto: Privat)

Heinrich Trapp sei populär bis zum Populismus, hat Sepp Steinberger mal gesagt, der frühere Bürgermeister in Reisbach, der Heimatgemeinde des Landrats. Trapp streitet das ab. Was unstrittig ist: Sein Stil kommt an bei den Leuten. Erst wählten sie ihn in den Landtag (1986), dann starb CSU-Landrat Fritz Ettengruber (1991) - und Trapp kandidierte für dessen Nachfolge. Das Ergebnis war eine Sensation für SPD-Verhältnisse in Niederbayern: Fast 57 Prozent holte Trapp gleich im ersten Wahlgang. Für den späteren CSU-Chef Erwin Huber, ebenfalls aus Reisbach, sei es natürlich "eine Schlappe" gewesen, "dass in seinem Wahlkreis ein Sozi Landrat wird", sagt Trapp.

Und es wurde ja noch schlimmer für die CSU. Seine erste Wiederwahl gelang Trapp mit 75,6 Prozent. Danach wagte es die CSU nicht mal mehr, einen Gegenkandidatenaufzustellen. Trapp holte 95 Prozent. Später 70,3 Prozent (mit Gegenkandidat) und zuletzt, vor vier Jahren: 91,7 Prozent. Wieder hatte die CSU auf einen Herausforderer verzichtet. Und es gibt noch mehr Zahlen, die Trapps Erfolg illustrieren. Als er anfing, hatte der Kreis rund 36 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Und heute? Etwa 52 000. Bis in die Nullerjahre hinein lagen die Gewerbesteuereinnahmen bei höchstens 21 Millionen Euro - dann explodierten sie. Rekord im Jahr 2014: mehr als 184 Millionen. Ein Landrat, der solche Zahlen vorlegen kann, muss viel richtig gemacht haben. Oder?

Wer frech ist, sagt: Ein Landrat, der das weltgrößte BMW-Werk im Kreis hat, kann nichts falsch machen. Aber ganz fair ist das nicht. Ein Landrat muss Steuereinnahmen klug investieren. In Trapps Amtszeit wurden alle Schulen im Landkreis saniert. Es ist gelungen, beide Krankenhäuser zu erhalten. Und Trapp hat schon auch dazu geholfen, dass immer mehr BMW-Millionen in die Landkreiskasse flossen. Vor 15 Jahren soll BMW weitere Investitionen an eine Autobahnausfahrt für das Werk geknüpft haben. Der Haken: Eine Ausfahrt wird eigentlich nur gebaut, wenn es überregional Bedarf gibt. Also, sagt Trapp, habe er den Bau "ertrickst und erschlichen" - zusammen mit Erwin Huber, seinem ewigen Widersacher. In München überredete Huber den Ministerpräsidenten Günther Beckstein (CSU), in Berlin bearbeitete Trapp den Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Die Ausfahrt kam. Und BMW investierte eine weitere Milliardensumme in Dingolfing.

In den fast 30 Jahren traf Trapp fünf verschiedene Ministerpräsidenten, zuletzt Markus Söder. (Foto: Privat)

Dort war Trapp die Zuneigung immer gewiss. Anders in Landau, wo seine Wahlergebnisse niedriger waren. "Landau hatte immer das Gefühl, zu kurz zu kommen", sagt der Landrat. Er fühle sich wie "ein Vater, der zwei Töchter hat und die eine sagt immer: Du magst die Susi lieber als mich." Über den Finanzausgleich habe aber keine Kommune im Landkreis mehr profitiert als Landau. Dass das in Landau nicht alle erkannt hätten, "das ärgert mich gscheit", sagt Trapp.

Dann betritt ein Ehepaar das Restaurant. Udo Egleder, Ex-Landtagsabgeordneter (SPD), und seine Frau Irene. Die wundert sich, dass noch niemand an der Landratskrawatte geschnipselt hat. Die Frauen seien "nicht mehr das, was sie mal waren", nicht mal an Weiberfasching, sagt Udo Egleder. Trapp schaut in seinen Schritt und sagt: "Solange sie nicht woanders da unten rumschneiden." Er merkt einfach nicht, dass die Tage für Altherrensprüche gezählt sind. Mit Verlaub: Die Altersgrenze für Landräte hat schon was Gutes.

Was wird er tun, wenn am 1. Mai Schluss ist? Eine "illustrierte Geschichte des Landkreises" wolle er schreiben. Und all seine Fotos sortieren und verschenken, die er in 29 Jahren gemacht hat. Hunderttausende, sagt Trapp, "ich sammle Augenblicke". Bei Straßeneröffnungen, Fahnenweihen, Absolventenfeiern. Seine Kamera hat er immer dabei. Ob er manchmal noch an das Angebot der Bremer Witwe denkt? Daran, dass er jetzt in einer Villa sitzen könnte, als steinreicher Rentner? "Ja", sagt Trapp. Und? "Ich wäre nie so glücklich geworden wie ich es jetzt bin."

© SZ vom 16.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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