Klausurtagung:Die Freien Wähler üben schon mal die Koalition mit der CSU

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Vom Widersacher zum potenziellen Koalitionspartner der CSU. Hubert Aiwangers Freie Wähler haben eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. (Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • Bei der jüngsten BR-Umfrage sagten sieben Prozent der Teilnehmer, dass sie bei der Landtagswahl für die Freien Wähler abstimmen würden.
  • Schafft die CSU bei der nächsten Wahl 2018 nicht die absolute Mehrheit, könnten die Freien Wähler Koalitionspartner werden.
  • Das Verhältnis der beiden Parteien war nicht immer einfach. Parteivertreter betonen nun aber die Gemeinsamkeiten.

Von Andreas Glas, Cham

Die Lokalzeitung hat neulich geschrieben, dass Cham "das Wildbad Kreuth der Freien Wähler" sei. Am Mittwoch, 13 Uhr, reicht ein Blick in die Lobby des Chamer Tagungshotels, um festzustellen, dass der Vergleich mit der jährlichen CSU-Klausur gewaltig hinkt. Vor der Tür parkt das Auto eines Fernsehteams, aber drin: keine Reporter zu sehen, keine Mikrofone, keine Kameras.

Um kurz nach 13 Uhr erscheint Hubert Aiwanger im Tagungshotel. Es ärgert ihn, dass zurzeit alle über Flüchtlinge und Terrorismus reden. Es ärgert ihn, weil seine Partei in dieser Debatte kaum wahrgenommen wird. Vielleicht hat der Parteichef auch deswegen "nicht mit sieben Prozent gerechnet", die bei der jüngsten Umfrage sagten, ihr Kreuz bei den Freien Wählern zu machen, wenn jetzt schon Landtagswahl wäre. Angesichts der Umstände, sagt Aiwanger, seien die Umfragewerte eine gute Nachricht gewesen.

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Zur Klausur ihrer Landtagsfraktion haben die Freien Wähler ein Problem mit nach Cham gebracht: In den kommenden gut eineinhalb Jahren muss sich die Partei in der Debatte halten, um im Landtagswahlkampf 2018 nicht zwischen der CSU und der AfD zerrieben zu werden. Mit braven Statements zu Stromtrassen und Internetausbau wird das kaum zu schaffen sein - trotzdem will die Partei künftig der Versuchung widerstehen, populistische Töne anzuschlagen. "Wir wollen sachliche Politik machen, aber auch gehört werden. Das ist ein Drahtseilakt", sagt der Landtagsabgeordnete Michael Piazolo.

Die Freien Wähler wollen seriöser auftreten, weniger effekthascherisch. Sie haben ja einiges versucht, um beim Thema Flüchtlinge zu punkten. Man muss nur an den Landshuter Landrat Peter Dreier denken, der im Januar 2016 einen Bus mit 31 Flüchtlingen zum Berliner Kanzleramt karren ließ, um gegen die Zuwanderungspolitik der Bundesregierung zu protestieren. Aber nicht mal das hat geholfen, dazu kamen die Turbulenzen um die beiden Freie-Wähler-Abgeordneten Bernhard Pohl und Günther Felbinger.

Der eine, Pohl, wurde nach einer Alkoholfahrt zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der andere, Felbinger, hat ein Verfahren um fingierte Werkverträge am Hals. Dass die beiden trotzdem noch im Landtag sitzen, sorgt für Unmut bei einigen Parteimitgliedern - und für Negativschlagzeilen. In den Umfragen rutschten die Freien Wähler zwischenzeitlich auf die Fünf-Prozent-Marke ab.

Nun plant die Partei eine Kehrtwende: Sie will bei den Wählern punkten, indem sie sich bewusst zurückhält in der aufgeheizten Flüchtlingsdebatte - und zurückkehren zu ihrem Markenkern: die Stärkung des ländlichen Raums und der regionalen Wirtschaft. Die Themen Zuwanderung und Sicherheit sind besetzt, also vertreten wir umso vehementer die Themen, die in der Zuwanderungs- und Sicherheitsdebatte zu kurz kommen - das scheint die neue Strategie der Freien Wähler zu sein.

Kann diese Strategie funktionieren? Stromtrassen, G 9, dritte Startbahn, alles wichtige Themen, klar. Aber wirkt das alles nicht nebensächlich in einer Zeit der Großkrisen in Europa und der Welt? Nein, sagt Michael Piazolo, "wenn die Leute den Fernseher ausmachen, dann sind da wieder ihr normales Leben, ihre normalen Probleme, und da sind die Freien Wähler diejenigen, die sich auch darum kümmern". Eine Partei, die selbst um Aufmerksamkeit ringt, will das Megafon derer sein, die sich von der Politik nicht beachtet fühlen. "Es gibt viele, die sagen: Die Politik beschäftigt sich nur noch mit Flüchtlingen, und wo bleibe ich?", sagt Piazolo.

Ausgerechnet in der Flüchtlingsdebatte glaubt Parteichef Aiwanger also eine Nische entdeckt zu haben, eine Chance. Die CSU, sagt er, kümmere sich "nur noch um die großen Themen". Seine Partei dagegen kümmere sich "auch um die Landstraße, um die Dorfschule, das bringt die CSU nicht mehr mit". Doch was nach Kampfansage an die CSU klingt, ist gar keine. Die Freien Wähler gehen neuerdings auf Annäherungskurs zu ihrem Lieblingsfeind. Aiwanger spricht offen von einer "bürgerlichen Koalition" und davon, dass die Freien Wähler als CSU-Koalitionspartner dafür sorgen würden, "dass die kleinen Themen auch noch Gehör finden".

Jahrelang haben sich die Freien Wähler als bürgerliche Alternative zu den Christsozialen inszeniert - und jetzt wollen sie nur noch eine Ergänzung, nur noch ein Korrektiv der CSU sein? Der neue Kurs ist der Einsicht geschuldet, dass die Freien Wähler auf absehbare Zeit ja doch keine Mehrheit jenseits der CSU finden werden. Die neuesten Umfragen dürften die Partei in dieser Einsicht bestätigen. Sollte es für die CSU am Ende nicht für eine absolute Mehrheit reichen, wollen die Freien Wähler als Koalitionspartner bereit stehen. Die Partei macht sich kleiner, um groß rauszukommen, das ist der Plan.

Bei der Bundespräsidentenwahl können sie schon mal üben

Es gebe "Berührungspunkte in vielen Bereichen", sagt Michael Piazolo, etwa in der Bildungspolitik, beim Thema Gymnasium sei die CSU ja auf den Kurs der Freien Wähler eingeschwenkt. Auch in der Sicherheitspolitik, sagt Aiwanger, vertrete die CSU Positionen, für die er seit Jahren werbe: mehr Verwaltungsrichter, mehr Polizei, mehr Härte gegen kriminelle Asylbewerber. In einer Koalition wären die Freien Wähler der "Qualitätssicherer" dafür, dass die CSU Lösungen nicht nur ankündige, sondern auch umsetze, sagt Aiwanger.

In diesem Herbst können die Freien Wähler schon mal üben für den Landtagswahlkampf 2018. Obwohl praktisch chancenlos, wird die Partei auch diesmal zur Bundestagswahl antreten. "Wenn populistische Parteien bei der Bundestagswahl antreten und wir schauen nur zu, dann wäre das fahrlässig", sagt Michael Piazolo.

Und zu klein wollen sich die Freien Wähler ja auch wieder nicht machen. Dass sie auf der großen Bühne mitspielen wollen, zeigt sich schon daran, dass die Partei den Fernsehrichter Alexander Hold als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt ins Rennen schickt. Dass Hold keine Chance hat, ist Nebensache. Für eine Partei, die um Aufmerksamkeit ringt, zählt allein die Botschaft: Wir sind auch noch da.

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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