Kempten:Bürgerliches Palais wird zum Stadtmuseum

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Schubfächer aus der alten Hof- und Residenz-Apotheke Kemptens veranschaulichen die Arbeit der Apotheker in früheren Jahren. (Foto: Florian Fuchs)
  • Die Stadt Kempten hat für 6,7 Millionen Euro das Zumsteinhaus renoviert und zum Museum umbauen lassen.
  • Das Konzept dafür wurde zusammen mit den Bürgern entwickelt. Für sie soll dort ein Wohnzimmer entstehen.

Von Florian Fuchs, Kempten

Zwei Monate lang haben drei 3-D-Drucker 24 Stunden am Tag daran gearbeitet, und jetzt steht es da, im ersten Stock des neuen Stadtmuseums von Kempten: das mit neun Quadratmetern bayernweit größte 3-D-Stadtmodell. Es ist das Herzstück des neuen Museums, das an diesem Freitag eröffnet wird und die 2000-jährige Geschichte Kemptens erzählt - mit viel Interaktivität, mit multimedialen Elementen und auch immer mit Bezug zur Gegenwart.

Die Ausstellung selbst findet natürlich drinnen statt, wie das in Museen so üblich ist. Zu den Exponaten gehört das Museumsgebäude aber schon auch selbst: Für 6,7 Millionen Euro hat Kempten das sogenannte Zumsteinhaus mitten in der Stadt sanieren lassen. Das im Jahr 1802 erbaute Haus der überregional bekannten Textilgroßhändler Zumstein hat jetzt wieder seine original ockergelbe Farbe, Museumsleiterin Christine Müller Horn bezeichnet es als "Exponat Nummer eins". Es ist barrierefrei ausgebaut und soll für die Kemptener zum "Wohnzimmer" werden - was wörtlich zu nehmen ist. Der Eintritt ist kostenlos, die Ausstellung soll in Details immer wieder verändert werden, um auch Besucher anzusprechen, die schon einmal dort waren. Und zusätzlich zum 3-D-Stadtmodell gibt es einen Raum für Bürgerbeteiligung und Projekte. "Wir wollen lebendig bleiben", sagt Müller Horn.

Der Textilhändler Johann Nicolaus Zumstein war einer der zwei Brüder, die das prächtige Zumsteinhaus mitten in Kempten im Jahr 1802 erbaut haben. (Foto: Stadtmuseum/Sienz)

Bereits die vergangenen Jahre waren ziemlich lebendig; 2016 starteten die Museumsleiterin und ihr Team in eine so von ihnen bezeichnete Bürgerexpedition. Die Kemptner sollten sagen, was ihnen bei einem Stadtmuseum wichtig ist. Die Rückmeldungen waren deutlich: Aktiv wollen sie sein, mitmachen, ein gastfreundliches Haus soll es werden. Die Besucher werden sich über die Umsetzung der Wünsche nicht beklagen können: Mithilfe des Büros Arge Gillmann Schnegg aus der Schweiz hat Müller Horn das Haus offen gestaltet, es gibt nur wenige Vitrinen, die Gäste kommen nah an Exponate ran. Über zahlreiche Bildschirme und Kopfhörer können Besucher tiefer in die Geschichten einzelner Ausstellungsstücke eintauchen. Auch das 3-D-Stadtmodell steht nicht einfach nur als Modell im Raum. Es ist mit den aktuellen Geodaten von 2019 gefertigt, Computer projizieren Luftbilder aus verschiedenen Epochen Kemptens auf das Modell. So sieht man, wie sich die Stadt immer wieder verändert hat. Künftig sollen auch für jedes kommende Jahr eigene Animationen erstellt werden, die man über das Modell aus dem Jahr 2019 legen und so die Veränderungen in Kempten besser begreifen kann. Es wird ein Ort, sagt Müller Horn, den "nicht nur Schulklassen, sondern bestimmt auch Stadträte immer wieder besuchen werden". Etwa um sich die Auswirkungen aktueller Bauvorhaben vor Augen zu führen.

Gleich im Erdgeschoss haben die Museumsmacher einen Raum mit einer Chronologie der Stadtgeschichte Kemptens eingerichtet. Die 100 wichtigsten Ereignisse schlagen den Bogen von der Römerzeit bis in die Gegenwart. Es ist die einzige Chronologie im Museum, das nicht einfach den Verlauf von früher bis heute erzählt. Dazu wäre das renovierte Zumsteinhaus gar nicht geeignet mit seinen Eckzimmern. Stattdessen gibt es elf Themenräume über Glaube, Verkehr, Migration - und eben alles, was eine Rolle spielt in einer Stadt. So lernen Besucher den generalstabsmäßig geplanten römischen Straßenbau - im damaligen Verkehrsnetz führten tatsächlich alle Wege nach Rom - genauso kennen wie die Geschichte der öffentlichen Beleuchtung: Kempten führte bereits im Jahr 1857 Gaslaternen ein und war damit einer der Vorreiter in Bayern. Heute ist die Stadt auf dem Weg zur vernetzten "Smart City".

Nach der Sanierung beherbergt das Gebäude von nun an das neue Stadtmuseum Kempten, in dem nicht nur eine Chronologie der Stadtgeschichte gezeigt wird. Die Besucher sollen sich dort Themenkomplexe erschließen - und in der Ausstellung am besten ganz viel selbst ausprobieren. (Foto: Florian Fuchs)

Im Raum "Gesundheit" zeigen Exponate der Hof- und Residenz-Apotheke, deren heutige Räume aus dem Fenster heraus zu sehen sind, wie Apotheker einst gearbeitet und welche Mittelchen sie hergestellt haben. Im Glaubensraum stehen nicht nur wertvolle Exponate aus der Kirchengeschichte, Besucher können die Glocken von St. Mang und St. Lorenz mit den Originaltönen verschiedener Uhrzeiten und Anlässe erklingen lassen. In dem Raum, der die Historie des Handels in Kempten nachzeichnet, sind neben Amphoren auch versteinerte Austernschalen zu sehen, die sich reiche Römer einst aus Italien nach Kempten liefern ließen - lebend in Behältern mit Salzwasser, damit sie den Transport genießbar überstehen.

Experten aus dem Stadtarchiv, Historiker, Archäologen waren beteiligt, die Ausstellung zu konzipieren. Müller Horn war dabei aber immer auch ein niedrigschwelliger Zugang wichtig. "Wir haben hier unsere wissbegierigen Bildungsbürger, die man mit so einem Museum glücklich machen kann. Aber wir wollen auch andere Bürger und Kinder ansprechen. Deshalb haben wir in jedem Raum einen Bezug zur Gegenwart." Im Raum über den Handel in Augsburg verdeutlichen etwa Ketchupflaschen, was damals die Fischsauce für die Römer bedeutete. Die Allgäuhalle in Kempten wird als Traditionsort vorgestellt, in dem noch heute rund alle zwei Wochen Versteigerungen von Zuchtstieren, Milchkühen und Kälbern stattfinden. Und im Raum "Produktion", der von der Papier- und Textilherstellung erzählt, verdeutlicht der ausgestellte Käse "Cambozola", dass der Allgäuer Käse nicht erst seit Kurzem berühmt ist, sondern bereits im römischen Cambodunum vor knapp 2000 Jahren eine bedeutende Rolle spielte.

Die Sanierung kostete 6,7 Millionen Euro. (Foto: Stadtmuseum/Rupp)

Das neue Kemptener Stadtmuseum spricht verschiedene Zielgruppen an, Historiker und Kinder, Kemptener und Auswärtige, aber auch Architekturfans sind gut bedient. Die Textilhändler nutzten das Erdgeschoss des Zumsteinhauses früher als eine Art Showroom, um ihre Waren zu präsentieren. Müller Horn legte Wert darauf, möglichst viel von dem reich ausgestatteten Gebäude zu erhalten. So gibt es auch einen Zumsteinpfad, der vom Filmsaal im Keller bis zum Dach führt und die alten architektonischen Details verdeutlicht - etwa den fein geschwungenen Baluster mit Schlangenkopf an der Treppe.

© SZ vom 06.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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