Rosenheim:Kathrein soll schwedisch werden - und so überleben

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Die Kathrein-Zentrale überragt vieles in Rosenheim, zum Aufschauen gibt es aber nicht mehr viele Gründe. (Foto: Matthias Köpf)
  • Das Technologieunternehmen Kathrein wird im 100. Jahr seines Bestehens aufgespalten.
  • Ein Großteil soll an den schwedischen Ericsson-Konzern gehen - zur Freude der Mitarbeiter.
  • Derzeit wird die Rosenheimer Traditionsfirma umstrukturiert, betroffen sind etwa 4000 Beschäftigte weltweit.

Von Maximilian Gerl und Matthias Köpf, Rosenheim

Die Zentrale in der Nähe des Bahnhofs ist angemessen dicht mit Antennentechnik bestückt, sie stammt noch aus den guten Zeiten Ende der Achtzigerjahre. Erst vor ein paar Jahren hat die Firma Kathrein ihr Montagehochhaus im Werk III zum Verwaltungssitz umgebaut, der oberste Stock wurde zur Panoramaetage, die weite Blicke über die Rosenheimer Innenstadt erlaubt. Die Glasfassade ziert der Slogan "passion to connect", doch dahinter wird gerade auseinandergenommen. Kathrein, für viele das Rosenheimer Unternehmen schlechthin, wird im hundertsten Jahr seines Bestehens aufgespalten. Ein Großteil soll an den schwedischen Ericsson-Konzern gehen. Für alle Menschen unterhalb der Panoramaetage könnten die Aussichten dadurch endlich wieder besser werden.

Betroffen sind rund 4000 Mitarbeiter weltweit. Demonstrationen der Belegschaft wie sie bei anderen Übernahmen üblich sind, gibt es bei Kathrein nicht, und auch keine Auftritte von Politikern, die sich um Arbeitsplätze sorgen oder einen Ausverkauf von Spitzentechnologie anprangern. In Rosenheim herrscht stattdessen eine ungewöhnliche Stimmung: Wenig Freude, aber auch wenig Angst. Dafür etwas Wehmut und viel Verständnis.

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"Turbulente Zeiten", sagt Markus Unterleitner. Ein echter "Kathreiner", wie sich die Mitarbeiter stolz nennen. Als Betriebsratsvorsitzender hat Unterleitner die turbulenten Zeiten begleitet. Nun sieht er Licht am Horizont. Für die Belegschaft könne sich das Engagement Ericssons auszahlen, sofern es wirklich zustande kommt. Bislang haben beide Seiten nur eine Art Absichtserklärung geschlossen, der Vollzug des Geschäfts ist für den Sommer geplant. Zuvor werden die Bücher gewälzt. Die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns bewertet Unterleitner als "nicht besonders massiv". Einen Schwedischkurs hat er trotzdem nicht belegt, die neue Amtssprache sei Englisch. "Das kriegen wir hin."

In den vergangenen Jahren war Kathrein vor allem mit dem eigenen Überleben beschäftigt. Dabei war es einst eine Firma von absolutem Weltrang. Kleiner als Siemens oder Bosch, aber aus der Telekommunikation nicht wegzudenken. Die Menschen stellten sich Kathrein-Antennen für den Fernsehempfang aufs Dach und einen Kathrein-Receiver ins Wohnzimmer. 2012 allerdings war ein Wendejahr. Der Firmenpatriarch starb. Sein damals 28-jähriger Sohn, der wie der Vater und der Großvater den Vornamen Anton trägt und intern der Klarheit halber "AK3" genannt wird, musste von heute auf morgen übernehmen. Die Firma stellte sich bald als aufgebläht heraus. Von 2015 an folgten Stellenabbau, Werkschließungen, zuletzt der Verkauf einer Sparte und einer Tochterfirma. Rund 1400 Mitarbeiter sind es noch in Rosenheim. Und jetzt kommen die Schweden.

Vereinfacht sieht der Plan so aus: Drei miteinander verflochtene Firmenteile werden geteilt, die Produktion von Satellitenschüsseln und die Sparte Rundfunktechnik mit zusammen rund 350 Mitarbeitern verbleiben bei Kathrein. Der Bereich Products geht an Ericsson. Die Schweden dürften sich in den bestehenden Gebäuden einmieten. Wo genau, ist offen. Der Standort Rosenheim besteht eigentlich aus vier Werken, die schon rein äußerlich die Geschichte eines fast hundertjährigen Wachstums vom Hersteller schlichter Blitzableiter bis zum Hightech-Unternehmen widerspiegeln. Die Kosten spielten lange eine untergeordnete Rolle, gebaut wurde da, wo Platz war. Die Wege sind weit vom Werk I in der Rosenheimer Anton-Kathrein-Straße bis ins Werk IV, das in der Ing.-Anton-Kathrein-Straße gerade schon auf dem Gebiet der Nachbargemeinde Rohrdorf liegt. Zwischen den Werken pendeln kathreinrote Autos aus dem firmeneigenen Fahrzeugpool, darunter bis vor ein paar Jahren ein alter VW Käfer.

Die Rosenheimer werden bald nicht mehr nur diesen Käfer vermissen. Obwohl auch er inzwischen ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt, ist der Kathrein-Schriftzug noch immer fast omnipräsent in der Stadt. Er prangt nicht nur auf den Werken und den Autos, sondern auf allerlei Werbeflächen und Sponsorenlisten. Das Stadion der Rosenheimer Starbulls, im Eishockey früher mal ebenfalls ganz oben dabei, hieß bis Ende 2015 Kathrein-Stadion. AK2, der Patriarch, wirkte auch als dritter Bürgermeister, als Vorstand zahlreicher Unternehmerverbände sowie als Ehrenpräsident der Faschingsgilde und als Träger unzähliger weiterer Titel und Ämter. Als größter Arbeitgeber hatte Kathrein Rosenheim ohnehin über Jahrzehnte geprägt. Von der Gewerbesteuer des Unternehmens ist die Stadt schon seit ein paar Jahren unabhängig - zuerst notgedrungen mangels nennenswerter Zahlungen, aber längst auch zur Erleichterung im Rathaus. Dort nimmt man nun auch den Verkauf an Ericsson mit großer Zuversicht zur Kenntnis.

Auch die meisten Kathreiner seien vielleicht nicht unbedingt froh, sagt Markus Unterleitner. Aber sie seien erleichtert, dass die Krisenjahre nun zu Ende gehen könnten. Dass sie es nicht mit einem chinesischen Investor zu tun haben, sondern mit Ericsson. Die Schweden bringen einen guten Ruf als Arbeitgeber mit - und als größter Kunde von Kathrein. Seit Langem kooperieren beide Firmen eng miteinander, etwa bei der neuen Mobilfunkgeneration 5 G, die bald Anwendungen wie das autonome Fahren ermöglichen soll. In Rosenheim gehen sie davon aus, dass 5 G es nötig machen wird, Antenne und Funktechnik stärker als Einheit zu denken. Wer da 5 G-Lösungen aus einer Hand anbieten kann, hat bessere Chancen. Alleine hätte es dagegen vor allem Kathrein schwer, gegen Giganten wie Huawei aus China zu bestehen.

Theoretisch wären also auch andere Formen der Kooperationen in Frage gekommen, etwa ein Joint Venture. Dass es trotzdem zum Verkauf der Zukunftssparte kam, sagt viel über den Zustand der Firma. AK3 wird jedenfalls allgemein nicht beneidet um die Suppe, die er auslöffeln muss. Medienberichte befeuerten die Gerüchte über eine bevorstehende Pleite. "Wir hatten in den vergangenen Jahren viel investiert und aufgeholt", sagt ein Unternehmenssprecher. Doch dann habe sich der Start von 5 G verzögert. Der Verkauf des Antennengeschäfts biete langfristig die besten Aussichten, auch für die Beschäftigten.

Damit es zum Verkauf kommt, muss die 2018 beschlossene Reorganisation vollendet werden. "Die wäre so oder so passiert", sagt Unterleitner. Dafür müssen 250 Mitarbeiter Kathrein verlassen. Bis Donnerstag konnten sich Freiwillige melden. Wer umschulen will, kann in eine Transfergesellschaft wechseln. Sollte das noch nicht ausreichen, folgt Option Nummer drei: betriebsbedingte Kündigungen. Die habe man bisher weitgehend vermeiden können, sagt Betriebsratschef Unterleitner. Kathrein ließ sich auch selten lumpen, was Abfindungen und Ähnliches anging. Die meisten Spezialisten sind bisher an Bord geblieben, und wer wirklich gehen muss und sich nicht in die Rente retten kann, hat gute Chancen auf einen neuen Job, denn in Rosenheim boomt die Wirtschaft. Von Kathrein alleine hängt das schon länger nicht mehr ab.

© SZ vom 08.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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