Autoindustrie:"Das Öl der heutigen Zeit sind Daten"

Lesezeit: 3 min

Nach 50 Jahren hat Audi auf dem ehemaligen Raffineriegelände im Südosten Ingolstadts ein neues Crashtest-Zentrum gebaut. Der In-Campus gilt als Mammutprojekt mit Vorbildcharakter. (Foto: Graeme Fordham/Audi)

Auf dem ehemaligen Raffineriegelände in Ingolstadt ist ein zukunftsweisender Technologiepark entstanden. Nicht nur Audi setzt viel Hoffnung in das Projekt. Das fossile Zeitalter will nur einer nicht so ganz abschreiben.

Von Thomas Balbierer, Ingolstadt

Das giftige Erbe der Vergangenheit soll abgewickelt werden. Nichts auf dem riesigen Areal im Südosten Ingolstadts erinnert noch an die einstige Erdöl-Raffinerie, die den wirtschaftlichen Aufstieg Bayerns ab Mitte der 60er-Jahre befeuerte und Ingolstadt zum "Öldorado" machte. Die weithin sichtbaren Schornsteine verschwanden vor zehn Jahren aus dem Stadtbild, sie wurden gesprengt. Von der Raffinerie sollte nichts übrigbleiben, selbst im Boden, auf dem sie fast 50 Jahre Öl in Treibstoff und andere Produkte verwandelte, sollten sich keine Spuren mehr finden. Zu sehr war er verseucht: mit 900 Tonnen Schweröl, 200 Tonnen Leichtbenzin und krebserregenden Chemikalien. Fünf Jahre lang musste die Erde gereinigt werden - ein irres Unterfangen, das noch nicht abgeschlossen ist. Bis 2028 pumpen sie Grundwasser aus dem Boden, um es zu reinigen. Es handelt sich um eine der größten Bodensanierungen Deutschlands.

Doch der Fortschritt ist ungeduldig, und so versammelten sich am Freitagvormittag hochrangige Gäste um Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und den neuen Audi-Chef Gernot Döllner, um das schmutzigste Kapitel der Stadt zu schließen und ein neues zu öffnen. Denn auf dem alten Raffineriegelände ist ein Technologiepark entstanden, in den Politik und Wirtschaft große Hoffnungen setzen. Der In-Campus, eine gemeinschaftliche Unternehmung von Audi und der Stadt Ingolstadt, soll den Strukturwandel der Autoindustrie befördern.

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Ursprünglich hatten Ingolstädter Naturschützer darauf gedrängt, das 75 Hektar große Areal vollständig zu renaturieren. Schließlich war die Ölfabrik 1963 mitten in den Auwald gepflanzt worden. "Doch dann wurde klar, wie stark die Fläche verseucht war", sagt der örtliche BUND-Vorsitzende Michael Würflein. Nur ein finanzkräftiger Investor wie Audi habe diese Aufgabe stemmen können. Nun müsse man mit der industriellen Nutzung leben. Immerhin: 15 Hektar Fläche werden der Natur überlassen.

"Bayern war bis in die 50er-Jahre landwirtschaftlich geprägt", sagte Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD) zur Eröffnung. Erst die Ansiedlung mehrerer Raffinerien habe die Industrialisierung ermöglicht. Einen ähnlichen Impuls erhofft er sich nun vom In-Campus. Darauf hat Audi ein neues Rechenzentrum mit 2400 Quadratmetern Serverfläche sowie ein neues Fahrzeugsicherheitszentrum für Crashtests errichtet. Auch die VW-Softwareschmiede Cariad hat hier mit 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihren größten Sitz. Ein "erstklassiges Bekenntnis" des Autobauers zu Ingolstadt, sagte Scharpf. Was das Megaprojekt gekostet hat, will ein Audi-Sprecher nicht sagen. Man habe "Stillschweigen" vereinbart.

Die Autoindustrie steckt in einem tiefgreifenden Wandel. Cariad-Chef Peter Bosch brachte die Veränderungen in seiner Rede am besten auf den Punkt. Er zitierte den früheren bayerischen Wirtschaftsminister Otto Schedl, der in den 60ern gesagt hatte: "Wer heute und jetzt von Ingolstadt spricht, meint Öl." Das sei zum Glück vorbei, sagte Bosch. "Das Öl der heutigen Zeit sind Daten."

Wo seit Mitte der 60er-Jahre die Erdölraffinerie stand, ist heute ein riesiger Zukunftspark entstanden, eine gemeinschaftliche Unternehmung von Audi und der Stadt Ingolstadt. (Foto: Graeme Fordham/Audi)

Er wies darauf hin, dass die deutsche Autoindustrie Gefahr laufe, den Anschluss an China und die USA zu verlieren. Das wurde jüngst auf der IAA in München deutlich, wo die starke Präsenz aus China so manchen Automanager erschreckte. Der Wandel in den Bereichen Digitalisierung, Elektromobilität und autonomes Fahren "ist dort schon vollzogen", sagte Bosch - während die deutsche Industrie noch mitten drin ist. Audi-Chef Döllner sagte, jede einzelne dieser Entwicklungen sei "so disruptiv, dass sie die Branche grundlegend wandelt". Die Politik müsse die Branche unterstützen, zum Beispiel beim Ausbau der Ladesäulen für E-Autos.

Ministerpräsident Söder nutzte die Eröffnung des In-Campus für ein Bekenntnis zum Auto, es sei Deutschlands "wichtigstes Wirtschaftsgut". Angesichts der zunehmenden chinesischen Stärke in der Elektromobilität sprach er sich dafür aus, die deutschen Hersteller von E-Autos stärker zu fördern. In diesem Zuge kritisierte er die zum Jahresende geplante Kürzung der staatlichen E-Auto-Prämie durch die Bundesregierung als "kontraproduktiv".

Startschuss für die Zukunft? Ministerpräsident Markus Söder (Mitte) drückt den symbolischen Startknopf zur Eröffnung des In-Campus in Ingolstadt. (Foto: Thomas Balbierer)

Zugleich betonte Söder, dass er die Konzentration auf E-Mobilität für einen Fehler hält. Er wünsche sich mehr "Technologieoffenheit". Selbst den Verbrennungsmotor - eine "überragende Technik" - will Söder nicht abschreiben, schließlich gebe es inzwischen synthetische Treibstoffe. Außerdem würden weltweit neue Erdöl- und Gasvorkommen erschlossen. "Ob automatisch dieses fossile Zeitalter in zehn Jahren zu Ende ist?", fragte Söder und schob ein vages "Weiß ich nicht" hinterher.

Damit war Söder der einzige Redner, der sich nicht ganz vom Öl verabschiedete. Audi will von 2026 an keine Verbrenner mehr auf den Markt bringen. Doch tatsächlich ist es so, dass die alte Ölpumpe Ingolstadt weiterläuft. Zwar haben Audi und die Stadt die vergifteten Hinterlassenschaften der alten Eriag-Raffinerie beseitigt. Doch am Stadtrand befeuern drei andere Raffinerien, eine Pipeline aus Italien und ein Tanklager das Ölzeitalter weiter. Und damit auch den Klimawandel.

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Die Region Ingolstadt genießt dank Audi den Ruf eines fortschrittlichen Wirtschaftsstandortes. Doch bis heute ist die Gegend auch Zentrum eines fossilen Geschäfts mit Raffinerien, Tanklager und Pipelines - an dem ausgerechnet Russland beteiligt ist.

Von Thomas Balbierer (Text und digitale Umsetzung)

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