NS-Geschichte:Ein Koffer voller Erinnerungen

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Die Kaufmannsfamilie Brandis aus Regensburg wurde von den Nazis enteignet und deportiert. Auf einem Speicher in Hauzenberg entdeckte der Journalist Thomas Muggenthaler einen Koffer voller Erinnerungen. (Foto: Thomas Muggenthaler)

Auf einem Speicher in Niederbayern kommen durch Zufall berührende Dokumente zum Vorschein. Sie stammen von der Regensburger Familie Brandis, die 1942 nach Osten deportiert wurde und nicht mehr zurückkehrte.

Von Hans Kratzer, Regensburg

Maximilianstraße 16, das war früher die erste Adresse der Stadt Regensburg. Dort residierte die Textilgroßhandlung Weiß & Holzinger, in die im Jahre 1890 der Unternehmer Karl Brandis eingeheiratet hatte. Er ehelichte eine Tochter der Inhaber Emil und Gisela Holzinger. So angesehen die jüdische Familie auch war, sie geriet trotzdem in die Fänge der Nazis und wurde alsbald enteignet.

Am 4. April 1942 wurde die sechsköpfige Familie Brandis zusammen mit mehr als 200 Jüdinnen und Juden aus Regensburg deportiert, die Betroffenen stammten allesamt aus Niederbayern und aus der Oberpfalz. Bis heute ist die Geschichte dieser Deportation eng mit dem Namen Brandis verknüpft. Das Schicksal dieser Familie hat sich vielen Zeitgenossen ins Gedächtnis eingebrannt. Der Name Brandis steht stellvertretend für viele Opfer des NS-Terrors.

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Seit Langem recherchiert der Regensburger Journalist Thomas Muggenthaler über die Familie Brandis, von der niemand überlebt hat. Es ist bekannt, dass die Mutter aus dem Ghetto noch Briefe zurückgeschrieben hat. Manche sind veröffentlicht. "Aber ich wollte wissen, wo die Originale sind", sagt Muggenthaler. Durch Zufall stieß er in Hauzenberg auf einen Koffer, den die Familie einer früheren Mitarbeiterin anvertraut hatte.

Der braune Lederkoffer lag im Speicher von Jutta Koller, deren Tante Fanny Hartl bei der Familie Brandis angestellt war. Seit mehr als 70 Jahren ist der Koffer jetzt in der Obhut der Familie Koller. Für die Forschung ist das ein Glücksfall. Denn er enthält Stammbäume der Familien Brandis und Holzinger, Fotos, Postkarten der "Omama" an ihre Enkel und eine Postkarte aus dem Ghetto Piaski bei Lublin, wohin die Familie Brandis zur Zwangsarbeit deportiert worden war.

Die im Koffer versammelten Dokumente sollten in guten Händen verwahrt werden. Auf der bereits erwähnten Postkarte richtete Alice Brandis am 13. April 1942 einen Hilferuf an Fanny Hartl: "Liebes Fannerl, wenn Du uns öfters ein eingeschriebenes Päckchen mit Esswaren senden würdest, wären wir Dir sehr dankbar. Stets Deine Alice Brandis." Auch ein Brief kündet von der Not und vom Mangel der Deportierten: "Sehr erwünscht wären Zahnkrem, Seife, Unterwäsche, Hemden, dünne Kleider für mich und Lotte (...) Brot legt keines mehr ein, es ist völlig verschimmelt (...) Vergiss bitte nicht Seife, Tee, Stopfgarn, Strümpfe möglichst fest." Fanny Hartl half, so gut sie konnte. Sie schickte mehrmals Pakete in das Ghetto Piaski, bis schließlich der Kontakt abriss.

Ernst Holzinger, ein Neffe der Familie Brandis, der noch emigrieren konnte, hat Fanny Hartl nach dem Krieg mehrmals besucht, aber den Koffer habe er nie mitgenommen, sagt Muggenthaler. Nun soll das Stück mitsamt dem kostbaren Inhalt nach Regensburg zurückkehren. Jutta Koller will den Koffer und die Dokumente dem Stadtarchiv übergeben. "Mit diesen historischen Originalzeugnissen kann man Geschichte anschaulich und eindrucksvoll erzählen", sagt Archivleiter Lorenz Baibl. Gerade auch den Schulen sollen die Erinnerungsstücke präsentiert werden - "als ein wichtiges Stück Zeitgeschichte, das nicht in Vergessenheit geraten darf", wie Muggenthaler resümiert.

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