Unwetter:Im Reallabor der Hagelabwehr

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Einer der Hagelflieger im Unwetter über dem Tegernsee. (Foto: Hagelabwehr Rosenheim/oh)

Im Raum Rosenheim steigen Flugzeuge auf, um Gewitterzellen mit Silberjodid zu impfen. Das soll die Bildung von Eisklumpen reduzieren und damit schwere Schäden am Boden vermeiden. Ein Einsatz wäre auch im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen möglich. Der vollständige wissenschaftliche Nachweis zum Nutzen fehlt.

Von Benjamin Engel, Bad Tölz-Wolfratshausen

Im Raum Rosenheim steigt Georg Vogl schon seit mehr als vier Jahrzehnten immer wieder mal ins Flugzeug, um Gewitterwolken zu impfen. Vom "Impfen" sprechen die Piloten der Hagelabwehr, wenn sie die an ihren Propellermaschinen befestigten Generatoren zünden, die mit einem Gemisch aus Silberjodid und Aceton gefüllt sind. So bilden sich zahlreiche Kondensationspartikel, an die sich Wassermoleküle binden. Das soll verhindern, dass Hagelkörner groß werden, so dass nur Graupel oder Regen auf den Boden fällt. Damit wollen Vogl und seine Pilotenkollegen verhindern, dass Unwetter schwere Schäden anrichten. "Im Raum Rosenheim gibt es auch immer wieder Hagel, aber nicht so viel wie in anderen Bereichen", sagt ere.

4800 Quadratkilometer umfasst das Einsatzgebiet der Hagelabwehr Rosenheim. Es erstreckt sich über die Landkreise Rosenheim, Traunstein und Miesbach sowie Gemeinden in den angrenzenden österreichischen Bezirken von Kufstein und Kitzbühel. Am Flugplatz Vogtareuth bei Rosenheim sind zwei Propellermaschinen stationiert. Laut Vogl könnten er und sein Piloten-Team grundsätzlich auch im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen aktiv sein. "Allerdings nur als erweitertes Schutzgebiet", so der Geschäftsführer des 1994 gegründeten Vereins zur Erforschung der Wirksamkeit der Hagelbekämpfung im Raum Rosenheim. Das bedeutet, dass die Piloten nur dann dort tätig werden können, wenn keine weiteren bedrohlichen Gewitterzellen im Kerngebiet zu erwarten sind.

Der Geschäftsführer des Hagelforschungsvereins und Pilot Georg Vogl, 65, vor einer der beiden Propellermaschinen. (Foto: Johanna Weber/Hagelabwehr Rosenheim/oh)

Wie erfolgreich die Methode der Hagelabwehr mittels Silberjodid ist, lässt sich nur schwer vollständig belegen. Vogl sagt: "Es gibt keinen wissenschaftlich hundertprozentigen Nachweis, dass es wirkt." Genau damit hatte das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen begründet, warum es die Hagelabwehr nicht einsetzt. Damit hatte sich der Ausschuss für Umwelt, Infrastruktur und Tourismus im Dezember 2021 befasst. Die Frage war nach dem schweren Hagelunwetter vom 26./27. August rund um Benediktbeuern, Bichl und Kochel am See wieder aktuell geworden.

Problematisch für einen wissenschaftlich zweifelsfreien Nachweis der Hagelabwehr ist der Umstand, dass es dafür eigentlich ein- und dieselbe Gewitterzelle doppelt bräuchte. Nur so ließe sich prüfen, was mit und ohne Impfen mit Silberjodid passiert. Trotzdem sieht Vogl genügend Belege, dass das Ausbringen von Silberjodid erfolgreich sei. Es habe sich gezeigt, dass sich damit Gewitterwolken mit Kondensationskernen sättigen ließen. Gleichzeitig habe sich herausgestellt, dass sich Hagelwolken zurückbildeten, während die Flugzeuge in der Luft seien.

Zur Hagelabwehr läuft an der Rosenheimer Hochschule das Projekt RO-BERTA

Für das Forschungsprojekt RO-BERTA arbeitet der Hagelforschungsverein mit der Technischen Hochschule Rosenheim zusammen. Zentraler Bestandteil davon ist es, die Flugzeuge der Hagelabwehr mit einer Art Hagel-Navigationssystem auszustatten. Das erlaubt es, Messdaten des Deutschen Wetterdienstes mittels Funkverbindung ins Flugzeugcockpit zu übertragen. "Über eine App können Nutzer die Flüge verfolgen und Wettermeldungen absenden, mit deren Hilfe Wettervorhersage-Modelle überprüft und verbessert werden können", so Peter Zentgraf, der das Projekt leitet. Im Jahr 2014 gewann das Konzept die European Satellite Navigation Competition.

Das soll es den Piloten erleichtern, genau ins Zentrum hagelträchtiger Gewitterwolken zu steuern, um in der Aufwindzone die Silberiodid-Ladung zu platzieren. Am effektivsten ließe sich ein Hagelunwetter im Bildungsstadium verhindern. Ohne das technische Hilfsmittel müsste sich der Pilot allein auf seine Sicht aus dem Cockpit verlassen. "Das Problem ist, zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu sein", erklärt Vogl.

Damit ist die Kernfrage für die wissenschaftliche Forschung angesprochen. "In Laborversuchen konnte das Abregnen bei Wolkenimpfung recht gut nachgewiesen werden, aber wie so oft ist das Problem der Unterschied zwischen Realbedingungen und Laborversuchen", schreibt Gudrun Mühlbacher, Leiterin der Münchner Niederlassung des Deutschen Wetterdiensts (DWD). Werde mit Silberjodid geimpft, komme es sehr wahrscheinlich auf den richtigen Zeitpunkt an. Dieser sei unter Realbedingungen schwer identifizierbar.

In meteorologischen Fachkreisen wird das Thema kontrovers diskutiert

Die Vorgänge in einer Großhagel bringenden Gewitterwolke (Superzelle) seien höchst dynamisch, so Mühlbacher. "In wissenschaftlichen Untersuchungen konnte daher bisher kein Nachweis erbracht werden, dass tatsächlich durch das menschliche Eingreifen Hagelschläge immer wirksam verhindert wurden." In Fachkreisen werde das Thema kontrovers diskutiert. Laut Mühlbacher setzt sich bei der Weltorganisation für Meteorologie eine Arbeitsgruppe damit auseinander, wie sich Wetterelemente modifizieren lassen.

Wie wirksam die Hagelabwehr ist, hat Andreas Bernatzky in seiner 2019 veröffentlichten Masterarbeit untersucht. Der Student an der Technischen Hochschule Rosenheim griff dafür auf Daten aus der Radarstation des DWD in Isen zurück. Die von dort über Südostbayern ausgestrahlten Radarwellen werfen ein Echo zurück. Je größer dies ist, desto mehr Regen- beziehungsweise Eispartikel sind in den jeweiligen Wolken enthalten. Das Ergebnis für zehn untersuchte Flüge der Hagelabwehr zu drei verschiedenen Zeiträumen: Während die Propellermaschinen in der Luft waren, nahm die Echoklasse ab. Nun will die Technische Hochschule Rosenheim diesen Forschungsansatz mit größeren Datenmengen vertiefen.

Erste Experimente gab es schon in den Dreißigern

Erste Experimente mit Silberjodid-Raketen, die vom Boden aus abgefeuert wurden, gab es im Raum Rosenheim bereits in den 1930er-Jahren. 1958 ließ der damalige Landrat Georg Knott einen zehnjährigen Feldversuch beginnen. Währenddessen sollen die Hagelschläge um etwa 30 Prozent zurückgegangen sein. Laut Vogl änderten sich Mitte der 1970er-Jahre die Vorgaben des Sprengstoffgesetzes. "Es hätten Bunker gebaut werden müssen, um den Sprengstoff für die Bodenraketen zu lagern." Damit war diese Methode obsolet. So startete die Hagelabwehr mittels Flugzeugen.

Der Anfang der Hagelabwehr hängt mit der Landwirtschaft zusammen. Denn vor allem Obstplantagen und Weinberge sind durch Hagel gefährdet. Schäden beeinträchtigen die Ernte jahrelang. Womöglich hängt es damit zusammen, dass im Baden-Württembergischen Großraum Stuttgart Hagelflieger zum Einsatz kommen. Im Rems-Murr-Kreis finanziert sogar die Württembergische Gemeindeversicherung (WGV) Flüge.

Jährliche Kosten: um die 200 000 Euro

Warum die Hagelabwehr nicht weiter verbreitet ist? "Weil es immer ums Geld geht", sagt Vogl. In Rosenheim koste das jährlich um die 200 000 Euro. Angesichts von Millionenschäden infolge von Hagelunwettern hält er dies allerdings für einen kleinen Betrag. Vogl hielte es für sinnvoll, im gefährdeten Alpenrandgebiet noch ein drittes oder viertes Hagelabwehrflugzeug zu stationieren. Er ist überzeugt, dass sich damit Hagelunwetter zwar nicht komplett verhindern, aber doch deren Auswirkungen minimieren ließen.

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