Gaffer:"Die Menschen überschreiten hemmungslos Schamgrenzen"

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  • Der Polizist Stefan Pfeiffer ist mit seinem harschen Auftreten gegenüber Gaffern auf der Autobahn bekannt geworden.
  • Nun hat sich der Autobahnpolizist aus Mittelfranken erstmals öffentlich geäußert.
  • Pfeiffer möchte die Aufmerksamkeit, die sein Fall erhalten hat, auch nutzen, um politisch etwas zu verändern.

Von Kassian Stroh

Alltag, sagt Stefan Pfeiffer. Einfach Alltag auf Deutschlands Autobahnen sei das, was ihm nun ganz unerwartet mindestens nationale Bekanntheit verschafft hat. Dass Rettungskräfte versuchen, Gaffer von einer Unfallstelle fernzuhalten, "auch mit harter Ansprache, das ist nichts Neues für uns", sagt er, diese Situation lasse sich tagtäglich erleben. "Die Menschen überschreiten hemmungslos Schamgrenzen."

Stefan Pfeiffer, 54, ist seit 35 Jahren Polizist, seit mehr als elf Jahren arbeitet er bei der Autobahnpolizei Feucht in Mittelfranken. Am Dienstag vergangener Woche steht er auf der A 6, bei einem Unfall ist ein Lastwagen-Fahrer gestorben, und Pfeiffer erlebt wieder einmal, wie vorbeirollende Autofahrer die Szenerie filmen und fotografieren. Mindestens zwei stellt er zur Rede, fordert sie auf, auszusteigen und mit ihm zur Leiche zu gehen. "Sie wollen tote Menschen sehen? Fotos machen? Kommen Sie!", das ist einer seiner Sätze, die berühmt werden, weil ein Fernsehjournalist dabei ist und alles filmt. Binnen Stunden verbreitet sich das Video explosionsartig im Netz. Und Pfeiffer wird gefeiert.

Gaffer auf der Autobahn
:"Sie wollen tote Menschen sehen? Fotos machen? Kommen Sie!"

Ein Polizist stellt Schaulustige zur Rede und bietet ihnen nach einem Unfall einen Blick auf die Leiche an. Im Internet wird er gefeiert, Kollegen und sogar der Innenminister loben den Mann.

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Eine Woche später nun äußert er sich erstmals selbst öffentlich dazu, und wenig erweckt den Eindruck, dies sei ihm sonderlich angenehm. Aber wichtig ist es ihm. Nervös dreht er eine halbe Stunde lang ununterbrochen an einem Kugelschreiber herum. "Es hat mich fast ein bisschen verlegen gemacht, hier den Hype zu erleben und zum Helden gemacht zu werden", sagt er, "ich hatte das nicht geplant." Und ein Held sei er schon gar nicht, das seien vielmehr die, die tagtäglich zu Unfällen gerufen würden und dort ihren Dienst verrichteten.

Seinen Schocktherapie-Ansatz hält Pfeiffer für richtig. Denn die Reaktion der Gaffer darauf sei immer dieselbe. "Wenn man die Leute aus ihrem Schutzraum Auto herausholt und damit konfrontiert, dass da etwas Tragisches passiert ist, dann haben wir noch nie jemanden erlebt, dem das nicht hochgradig unangenehm war und der nicht gemerkt hätte, dass er eine Grenze überschritten hat", sagt der Polizist. Von einer gesellschaftlichen Verrohung will er nicht sprechen. Neugier habe es immer schon gegeben, Gaffer auch, aber dadurch, dass heute jeder ein Smartphone habe, werde diese Grenze nun viel leichter und öfter überschritten. "Was früher vereinzelt vorkam, ist heute Standard."

Unter den vielen positiven Reaktionen, die ihn in den vergangenen Tagen erreicht hätten, seien auch Briefe von Menschen, die selber schon einmal in dieser Lage gewesen seien, eingeklemmt im Auto oder verletzt auf der Straße liegend. Dabei fotografiert zu werden, "hat die Situation für sie massiv verschlimmert". Oder von Kollegen und Rettungskräften, denen es "sehr unangenehm" sei, bei ihrer Arbeit gefilmt zu werden. Pfeiffer selber habe es schon erlebt, dass die Polizei es nicht rechtzeitig geschafft habe, Angehörige von Unfallopfern zu informieren - als die Beamten sich meldete, wussten sie dank Bildern im Internet schon Bescheid.

Das Strafgesetzbuch müsse verschärft werden

Aber Pfeiffer ist nicht nur Autobahnpolizist, er ist auch ehrenamtlich aktiv in der Verkehrskommission der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Und deshalb sitzt er am Mittwoch mit deren Leiter Wolfgang Blindenbacher in der DPolG-Geschäftstelle in München und sie tragen mehrere Forderungen vor: Die Polizei müsse in solchen Fällen vermehrt die Möglichkeit nutzen, das jeweilige Handy als "Tatwerkzeug" einzuziehen - das wirke wirklich, ist sich Blindenbacher sicher. Weiter brauche es eine europaweit einheitliche Regelung für Rettungsgassen und höhere Geldbußen für die, die illegal durch diese hindurchfahren.

Und vor allem: Das Strafgesetzbuch müsse verschärft werden. Bislang ist es nur verboten, Verletzte zu fotografieren, nicht aber Verstorbene. "Das ist mit unserem Menschenbild nicht vereinbar", sagt Blindenbacher. Das Thema wird seit einigen Jahren bereits debattiert, der Bundesrat hat eine entsprechende Erweiterung des Paragrafen 201a bereits vor mehr als einem Jahr gefordert. Umgesetzt ist das bislang nicht, das Bundesjustizministerium arbeitet nach eigenem Bekunden noch an einer Gesetzesvorlage. Wenn sein Fall nun politisch etwas bewege und zugleich die Menschen zum Nachdenken bringe, dann sei schon viel gewonnen, hofft Pfeiffer. Er möchte das Thema jedenfalls "ganz schnell von meiner Person wegbringen".

Denn die öffentliche Reaktion, die hat ihn nicht nur überrascht. "Das überrollt einen schon ein bisschen, das muss ich nicht noch mal haben", sagt Pfeiffer. Jeder Polizist müsse abwägen, wie er sich in einer solchen Situation verhalte. Dass er selbst so emotional und harsch reagiert hat, "das war in dem Moment die richtige Entscheidung", sagt Pfeiffer. "Aber es ist nichts für einen Lehrfilm."

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