Flüchtlingspolitik:Die ungewisse Zukunft der "Ankerzentren"

Lesezeit: 3 min

In Bamberg hat die Stadt das "Ankerzentrum" schon länger im Auge: Sie will hier einen neuen Stadtteil mit mehr Wohnraum schaffen. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Die neue Bundesregierung will das bayerische Konzept der Unterbringung von Flüchtlingen "nicht weiterverfolgen". 2025 laufen entsprechende Pachtverträge aus, aber auch dezentrale Unterkünfte werden wieder geprüft.

Von Matthias Köpf und Clara Lipkowski, Laufen/Nürnberg

In der kleinen Grenzstadt Laufen ist das Thema vor einigen Jahren ganz unmittelbar angekommen - in Gestalt jener vielen Menschen, die sich 2015 auf den Weg nach Europa gemacht hatten und nun über Österreich ins Land gekommen waren. Die Turnhalle des Gymnasiums stand voller Feldbetten und die Regierung von Oberbayern machte Pläne für eine Gemeinschaftsunterkunft auf Staatsgrund neben der Naturschutzakademie. Doch die 7300 Laufener brachten ihre etwa 80 zugeteilten Flüchtlinge in einzelnen Wohnungen und Häusern unter, weil sie schon damals der Meinung waren, dass Integration so besser funktionieren würde. Und sie funktionierte zuletzt ziemlich geräuschlos, auch in Laufen.

Dort drängt sich das Thema gerade trotzdem wieder in den Vordergrund, weil die Regierung ihre Pläne für die Gemeinschaftsunterkunft nun wieder aus der Schublade gezogen hat. Zu viele Mietverträge für andere Unterkünfte liefen aus, nicht alle ließen sich verlängern, man brauche Plätze und schaffe diese lieber selbst, heißt es von der Regierung. Nun also wird wohl die zentrale Gemeinschaftsunterkunft kommen. Und auch sonst rücken gerade wieder große Flüchtlingsunterkünfte in den Fokus: Die Ampel-Partner in Berlin haben sich die Abkehr von den sogenannten Ankerzentren vorgenommen.

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Der entscheidende Satz im Koalitionsvertrag ist dabei allerdings alles andere als konkret: "Das Konzept der Anker-Zentren wird von der Bundesregierung nicht weiterverfolgt", heißt es auf Seite 140. Doch im Innenministerium Bayerns, in den großen Verwaltungshäusern und bei den Kommunen haben sie den Satz sehr wohl zur Kenntnis genommen.

Bamberg will dort dringend geforderten Wohnraum schaffen

In Bamberg etwa versteckt Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD) seine Euphorie gar nicht erst: "Mit Freude und großer Zustimmung" habe er den Beschluss festgestellt, teilt er mit. Die Stadt hat nämlich das örtliche "Ankerzentrum", ein riesiges Gelände, ausgelegt für etwa 1500 Geflüchtete, schon längst im Auge. Wenn spätestens Ende 2025 der Mietvertrag ausläuft - derzeit betreibt der Freistaat das Zentrum -, könnte das Ende der oberfränkischen Massenunterkunft besiegelt sein. Dann will die Stadt die frei werdenden Wohngebäude erwerben und dringend geforderten Wohnraum schaffen. Und mehr noch: Bamberg plant dort einen ganz neuen Stadtteil.

Auch im unterfränkischen Geldersheim bei Schweinfurt, wo ein weiteres der insgesamt sieben bayerischen "Ankerzentren" steht, wird schon spekuliert. Auch hier läuft 2025 der Mietvertrag aus, der Chiphersteller Intel hat Interesse am Gelände bekundet, die umliegenden Kommunen hätten gern ein Industriegebiet. Der Satz im Koalitionsvertrag könnte diese Pläne befeuern.

Der Chiphersteller Intel hat Interesse an der früheren US-Kaserne in Geldersheim bei Schweinfurt bekundet. Noch sind dort Geflüchtete untergebracht. (Foto: Clara Lipkowski)

Wo aber würden die Geflüchteten untergebracht? Auch in den folgenden Jahren ist mit umfangreicher Zuwanderung in den Freistaat zu rechen. Zuletzt war die Zahl im November wieder gestiegen, auf 2032 neu Zugewanderte (Oktober: 1776).

Die Stadt Bamberg teilt dazu am Mittwoch mit, man wolle weiter einen Teil der Wohngebäude Geflüchteten bereitstellen, sie aber auch dezentral im Stadtgebiet unterbringen. So euphorisch wie die Stadt Bamberg ist der Bayerische Flüchtlingsrat hingegen nicht. Der Koalitionsbeschluss sei "enttäuschend", die Zentren würden in keiner Weise abgeschafft, teilt die Organisation Ende November mit. Er beende lediglich den Versuch des nun ehemaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer, die Zentren bundesweit zu etablieren. Tatsächlich muss das Vorhaben nicht auf eine Komplettschließung der Zentren hinauslaufen. Eine Kernaufgabe der Zentren ist die Erstaufnahme Asylsuchender. Die muss weiterhin gewährleistet werden. Würden die Zentren also nur unter anderer Bezeichnung weiterbestehen?

In der Kritik stehen die Zentren, weil Geflüchtete dort teils lange bleiben - und das in lagerähnlichen Zuständen. Solange die Dauer "von sechs Monaten bis zu zwei Jahren nicht auf wenige Wochen reduziert wird, ändert sich für die dort untergebrachten Geflüchteten nichts", heißt es vom Flüchtlingsrat.

Auch in Oberbayern sind die frei werdenden Immobilien gefragt

Die entscheidenden Schritte zum Ende der "Ankerzentren" müsste das Innenministerium in München einleiten - ausgehend vom Asylgesetz auf Bundesebene. Am Mittwoch teilt eine Ministeriumssprecherin lediglich mit, welche Schritte die neue Regierung plane, "ist weder im Koalitionsvertrag dargelegt, noch sind uns ergänzende Erläuterungen bekannt".

Unterdessen wüssten aber auch schon in Oberbayern zumindest manche Städte etwas mit frei werdenden Immobilien anzufangen. Das maßgebliche "Ankerzentrum" des Bezirks liegt in der ehemaligen Max-Immelmann-Kaserne in Manching bei Ingolstadt. Außenstellen gibt es etwa in Fürstenfeldbruck, in einer ehemaligen US-Kaserne in Garmisch-Partenkirchen und in einem früheren Bildungszentrum in Waldkraiburg, wo es 2018 zu Krawallen und einem größeren Polizeieinsatz gekommen war. Insgesamt sind in diesen "Anker"-Einrichtungen derzeit 2163 Menschen untergebracht, weitere 6449 in Gemeinschaftsunterkünften - von 25 360 Geflüchteten im gesamten Bezirk Oberbayern, die öffentlich untergebracht sind.

In Laufen musste die Polizei nach der Erinnerung von Bürgermeister Hans Feil (CSU) seit 2015 nur ein einziges Mal einschreiten. Ein Asylbewerber hatte einen Ablehnungsbescheid erhalten und seinen Frust am Mobiliar seines Zimmers ausgelassen. Feil hofft, dass die nun geplante größere Gemeinschaftsunterkunft nicht doch noch Probleme schaffen wird, so wie es einige Menschen aus der benachbarten Wohnsiedlung befürchten. Er hat der Regierung abgehandelt, dort nicht unbedingt 80 Menschen auf zehn Jahre, sondern genauso gut 60 Menschen für 15 Jahre unterzubringen. Dann muss die Regierung nach Feils Erwartung auch das Gebäude neu planen - und zwar am besten so, dass die Stadt darin nach diesen 15 Jahren beispielsweise Sozialwohnungen schaffen kann. Der Stadtrat jedenfalls hat dies und auch den Wunsch nach einer professionellen Betreuung und möglichst vielen Familien unter den Bewohnern am Mittwochabend mit großer Mehrheit befürwortet.

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