Studentenverbindungen:Hitlergruß am Herrenklo

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Die Vorwürfe ähneln sich: Erneut sorgt ein vorgeworfener Nazi-Gruß beim Coburger Convent für Wirbel. (Foto: Jürgen Schwarz/imago)

Zum Coburger Convent, einem Zusammenschluss schlagender Studentenverbindungen, gehören auch viele Juristen. Einer soll einem Verbindungsbruder auf der Toilette ein "Heil Hitler" entgegengeschmettert haben. Manche im Verband zeigen sich entsetzt, doch die Justiz wollen sie draußen halten.

Von Christoph Ruf, Coburg

Demnächst findet er wieder statt: Der Pfingstkongress des Coburger Convents (CC), eines Zusammenschlusses von etwa hundert pflichtschlagenden Studentenverbindungen. Man darf hoffen, dass sich dieses Jahr bei den alkoholgeschwängerten Abendveranstaltungen in Oberfranken alle Verbindungsbrüder - Frauen werden nicht aufgenommen - auch zu vorgerückter Stunde noch einen "Schönen Abend" wünschen. Im Mai 2018 war das anders. Damals schmetterte einer der Landsmannschafter einem anderen, Matthias B., gegen 22.10 Uhr auf der Herrentoilette des Coburger Hofbräus ein kerniges "Heil Hitler!" entgegen. Konsterniert stellte B. den Mann zur Rede, woraufhin der ihn nur auslachte. B. stellte daraufhin Strafantrag bei der Polizei und schaltete das "Rechtsamt" des AHCC (Alte Herren des CC e. V.) ein. Dass der Vorfall sich so ereignet hat, ist aktenkundig und wird von keiner Seite bestritten.

Die Polizei konnte den Täter nicht ermitteln. Auch dem CC gelang das nicht - angeblich. Dass das aber nicht stimmt, belegen Recherchen der "Freiburger Antifa", die große Teile des internen CC-Schrift- und E-Mail-Verkehrs der vergangenen Jahre ausgewertet hat. Dieser liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Aus ihm geht hervor, dass die CC-Verantwortlichen schon 2019 fest davon ausgingen, die Identität des Täters zu kennen - in internen Mails wird der Landsmannschafter Z. als "Verdächtiger" bezeichnet. Gegenüber Justiz und Öffentlichkeit taten sie aber weiterhin so, als sei ihre Suche ergebnislos verlaufen. Ein merkwürdiges Vorgehen für einen Verband, der zu einem gehörigen Teil aus Juristen besteht.

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Pikant ist auch die Identität des mutmaßlichen Täters: Z. ist Richter an einem Amtsgericht in Niedersachsen. Ein Jurist, der im Alltag säumige Mieter zur Räson bringt, in seiner Freizeit aber "Heil Hitler" ruft? Konfrontiert mit den Recherchen zeigt sich Z. gegenüber der SZ einsilbig: "Ich habe den Vorwurf zur Kenntnis genommen und weise ihn zurück", schreibt er. "Der von Ihnen geschilderte Sachverhalt trifft nicht zu."

Wer der Mann war, der ihn mit dem NS-Gruß belästigte, wusste B. indes damals wirklich nicht, als er Anzeige erstattete. Immerhin konnte er ihn der "Akademischen Landsmannschaft Niedersachsen" zuordnen. Dass die Niedersachsen ihr Mitglied in Schutz nehmen, empört auch einige CC-Granden. Doch auch sie verhinderten die Aufklärung. Und waren heilfroh, als die Coburger Staatsanwaltschaft, die zwischenzeitlich gegen einen Unschuldigen ermittelt hatte, das Verfahren im Mai 2019 einstellte. Da der Nazi-Gruß im semiprivaten Rahmen stattgefunden habe, sei der Tatbestand des "Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" (Paragraf 86a StGB) nicht gegeben. Gegenüber der SZ gab sich auch Zeuge B. mit dieser Begründung zufrieden: "Hier gilt nun, auch aus meiner Sicht, das Rechtsstaatsprinzip: Wenn es keine Straftat gab, musste auch niemand ermittelt werden."

Eigentlich gilt der CC als bürgerlich-respektabel

Doch auch fernab der Paragrafen stellen sich Fragen: Will der CC wirklich jemanden in seinen Reihen dulden, der den NS-Gruß praktiziert? Das überrascht auch deshalb, weil der CC mit seinen 11 000 Mitgliedern als bürgerlich-respektabel gilt und neben Industriellen und Juristen auch Politiker wie den früheren EU-Energiekommissar Günther Oettinger zu seinen Mitgliedern zählt. Und tatsächlich zeigt der interne Schriftverkehr, der der SZ vorliegt, dass einige CC-Exponenten aufrichtig empört über das "Heil Hitler" aus dem Jahr 2018 waren, andere verharmlosten den Vorfall allerdings auch unverhohlen. An mehreren Stellen wird die Ansicht geäußert, dass die Untaten, die verstorbene CC-Granden während der NS-Zeit begangen haben, nicht aufgearbeitet werden sollten. Es sei schäbig, an deren Heldenstatus zu kratzen.

In der Antwort auf eine SZ-Anfrage teilt der CC nun in Hinblick auf Paragraf 86a StGB mit: "Uns liegt bis heute von keiner Person ein Geständnis vor, wir konnten keinen 'Täter' habhaft werden, sondern es gibt aus Sicht der zuständigen Gremien lediglich Verdachtsmomente." Im Übrigen sei das Verfahren ja "aus Rechtsgründen" eingestellt worden: "Die Einstellung war dahingehend begründet, dass die 'Tat' nicht öffentlich war." Den Nazi-Gruß an sich bestreitet man nicht - sondern "bedauert diesen Vorfall und verurteilt ihn gleichzeitig sehr scharf".

Den Verband ordnet die Gießener Politologin Alexandra Kurth, die sich mit einer Arbeit über Studentenverbindungen habilitiert hat, "dem im Korporationsspektrum häufig anzutreffenden konservativen Spektrum in all seinen Facetten" zu. Was nicht ausschließt, dass einzelne Landsmannschaften eine offene Flanke nach rechts außen haben. "Bei den Niedersachsen scheint mir das der Fall zu sein." Für die Landtagsfraktion der bayerischen Grünen stellen sich derweil weitere Fragen. In einer Anfrage an die Staatsregierung wollen sie erfahren, warum die Staatsanwaltschaft trotz des überschaubaren Kreises an Verdächtigen - in Frage kamen ja nur die wenigen Mitglieder der Landsmannschaft Niedersachsen - auf Vorladungen verzichtet habe.

Die Behörden erfuhren den Namen nicht

Das könnte auch damit zusammenhängen, dass der CC zwar angekündigt hatte, den Namen des Täters, sobald der bekannt sei, an die Behörden zu übermitteln. Doch genau das passierte nicht. Der interne Schriftverkehr belegt stattdessen, dass man schon im März 2019 den dringenden Tatverdacht gegen Z. der Polizei hätte melden können - zu einem Zeitpunkt also, als das Verfahren noch nicht eingestellt war. Die suchte zu diesem Zeitpunkt einen Mann, "ca. 190 cm groß", nannte dessen Landsmannschaft und beschrieb sein Äußeres exakt. Auch der Name des Verdächtigen, an den sich der Zeuge erinnerte, klingt ähnlich wie der des Amtsrichters. Und so war es offenbar auch: Schon am 31. März 2019 schickte der damalige Vorsitzende ("aufgrund des mir vorliegenden Verdachtsmoments gegen Verbandsbruder Z.") den Namen des Verdächtigen an den CC-Rechtsamtsleiter, der Z. in einem anderen Schreiben ebenfalls benannte. Beide ärgern sich auch über die untätigen Hannoveraner.

Doch der Verdacht liegt nahe, dass es dem Verband von vornherein um eine interne, nicht um eine juristische Sanktionierung des Täters ging. Der Rechtsamtsleiter sorgt sich in einer Mail an sechs CC-Offizielle jedenfalls primär um das lädierte Image des Verbandes und will den Niedersachsen eine Frist setzen: "Ich glaube zwar nicht, dass da viel rauskommt, meine aber, dass wir so besser in der Presse dastehen bzw. der Presse sagen können, wir haben was gemacht." Das Paralleluniversum, das nach eigenen Gesetzen und Verhaltensregeln agiert, ähnelt dem von Bikern oder Hooligans, die interne Streitigkeiten auch gerne ohne die Polizei klären.

Stellt der CC das Wohl des Verbands über das Recht?

"Ich finde es schockierend, wie offensichtlich janusköpfig dieser Verband agiert", sagt dazu Alexandra Kurth. "Nach außen tat man so, als sei man um Aufklärung bemüht. Und intern tut man alles, um sie zu verhindern." Sie habe allerdings nicht den Eindruck, dass das aus Sympathie mit rechtextremen Gesinnungen so praktiziert wurde: "Entsprechende Äußerungen finde ich nicht." Aber ein Denken, dass das Wohl eines Verbandes auch über dem Gesetz stehe, halte sie auch nicht für sehr demokratisch.

Gleich sieben Funktionäre schrieben im Dezember 2019 an Z. und forderten ihn zu einem Treffen auf, das schließlich am 22. Februar 2020 in einer Kanzlei in München stattfand. Auf SZ-Nachfrage bestreitet der CC weder das Treffen noch dass Z. zugegen war: "Ob der Täter da war am 22.02. können wir weder bestätigen noch dementieren, da es a) keinen Täter gab/gibt und b) wir auch in dieser Sitzung kein ohnehin nicht mögliches Geständnisses einer Straftat erhalten haben." Was bei dem Treffen besprochen wurde, kann man nur mutmaßen. Ob die Causa damit erledigt ist? Beim Pfingstkongress in Coburg dürfte es jedenfalls einigen Gesprächsstoff geben.

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