Am Sonntag nach der Abiturprüfung in Mathematik steht Simone Fleischmann im Fernsehstudio des Bayerischen Rundfunks und spricht über das Abitur. Die Petition der Schüler ist einige Stunden alt, der Aufruhr bahnt sich erst an. Fleischmann sagt zur besten Sendezeit, "eklatant viele" Schüler seien nicht fertig geworden, viele Mathelehrer hätten die Aufgaben nicht im Kopf rechnen können, wenn es deutliche Niveauunterschiede gäbe, müsse man genauer hinschauen. Dann regt sie eine Grundsatzdiskussion über den Leistungsbegriff an und stellt die Mathepflicht im Abitur zur Diskussion. Fleischmann? Wieso? Sie sei doch gar nicht zuständig, sie sollte sich nicht zu etwas äußern, wovon sie nichts versteht. So lautete am nächsten Morgen der Tenor in vielen Gymnasien.
Die 48-Jährige ist Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), der traditionell die Grund-, Mittel- und Förderschullehrer vertritt. Aber Simone Fleischmann fühlt sich für alle zuständig - und sie wird gefragt. Fleischmann hat zu allem eine Meinung, spricht knallig, gern eine Spur lauter, provoziert und berichtet als ehemalige Schulleiterin betont bunt aus der Praxis. Den Medien macht sie es leicht - und nutzt jede Chance für ihre Agenda. Die Botschaft: An ihr kommt in Schulfragen niemand vorbei.
Die Abschaffung des verpflichtenden Mathe- und Deutschabiturs haben die Philologen, der Verband der Gymnasiallehrer, vor Monaten schon angeregt. Nur so wäre die erwünschte Rückkehr zu Leistungskursen machbar. Das Problem: Kaum einer hat es mitbekommen. Verhandelt wird hinter verschlossenen Türen im Ministerium. Und Philologenchef Michael Schwägerl ist ein ganz anderer Typ als Fleischmann. Der Mathe-, Physik- und Informatiklehrer ist bedacht, wägt Worte ab. Am Morgen nach Fleischmanns Fernsehauftritt warnt er vor Schnellschüssen. In der Sache ist das richtig, knallt aber nicht. Schwägerl kann deutlich werden, aber er schätzt konstruktive Fortschritte mehr als Krawall. Ähnlich ist es bei Jürgen Böhm, dem Chef des Realschulverbandes. Beide drängt es nicht ins Scheinwerferlicht.
Fleischmann dagegen nutzt jede Chance. Sie ist kurzfristig greifbar, wenn das Fernsehen anruft. Mit überbordendem Selbstbewusstsein fällt es ihr leicht, die Männer in den Schatten zu stellen. Der Gegenwind nach dem Rundschau-Auftritt sei enorm gewesen, sagt sie und lacht vergnügt. "Aber ich werde sicher kein Interview ablehnen, nur weil Schwägerl eigentlich für das Thema zuständig ist."
Fleischmann sieht sich nicht mehr als Vertreterin der Volksschullehrer, mischt auch bei Realschulen und Gymnasien mit, will ein moderneres Bildungssystem. Böhm und Schwägerl halten am bewährten, gegliederten System fest. Für viele BLLV-Mitglieder stehen deren Verbände für Standesdünkel. Und für Privilegien wie mehr Aufstiegschancen oder höheren Sold, die endlich abgeschafft gehörten.
Inklusion, Integration, Lehrermangel: Die Herausforderungen sind vielfältig
Diese traditionellen Verbands-Reibereien muss man kennen, um zu verstehen, was Fleischmann antreibt. Ihr Verband hat die meisten Mitglieder, aber auch die mit besonders großen Herausforderungen. Inklusion, Integration, Lehrermangel, Stundenausfälle. Der Druck ist an Volksschulen hoch. Die Lehrer erwarten Krawall gegen die Politik. Zuletzt drehte Fleischmann spürbar auf, noch schärfer wurden die Beiträge je näher die Landesdelegiertenversammlung in Würzburg Anfang Juni rückt.
Fleischmann will nach vier Jahren im Amt wiedergewählt werden, die 650 BLLV-Mitglieder wollen Aktion sehen. Offenbar gab es Kritik, weil sie zu konstruktiv sei. Denn auch das stimmt: Fleischmann ist nicht einfach Krawallnudel. Wenn es der Sache nützt, hält sie still und arbeitet konstruktiv mit dem Ministerium zusammen. Etwa beim Islamunterricht.
Lange bevor Schulminister Michael Piazolo (FW) die Verlängerung verkündete, gab es Gespräche mit Fleischmann. Dass sie anders kann, erfuhr er Tage später: Er gab die Stärkung der 77 Wirtschaftsschulen bekannt und Fleischmann warf Piazolo prompt vor, Mittelschulen zu schwächen und das Schulsterben zu beschleunigen. Er wunderte sich, wie 77 Wirtschafts- 977 Mittelschulen schwächen sollen. Aber die Debatte lief.
Bei der Delegiertenversammlung hat sie die große Bühne. Spektakulärer, innovativer soll es werden, anders als bei den anderen, sagt Fleischmann am Mittwoch. Die Definition eines neuen Bildungsbegriffs hat sie sich vorgenommen. Pestalozzis ganzheitliche Idee soll Fundament für die Schule der Zukunft sein, ausgearbeitet wird das Konzept mit allen Delegierten, Impulse sollen Vertreter aus Gesellschaft und Wirtschaft geben. Reden darf auch der Minister. "Da kann er zeigen, dass er ein Minister ist, der auch Visionen hat", sagt Fleischmann.