Schule in Bayern:"Danke für die Heizungen, die nie warm werden"

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Auf Instagram gratulierte ein Schüler des Kepler-Gymnasiums in Weiden mit zahlreichen Motiven aus seiner Schule zum 150-jährigen Bestehen. Er bekam dafür 800 Herzchen und Dutzende Kommentare. (Foto: N/A)

Ein Schüler dokumentiert den angeblich maroden Zustand seines Weidener Gymnasiums auf Instagram. Doch wie schlimm ist es mit dem Investitionsstau an Bayerns Schulen wirklich? Eine Spurensuche.

Von Maximilian Gerl, Andreas Glas und Lisa Schnell, Weiden/München

Eine Salami-, eine Tomaten-, eine Gurkenscheibe. Das sind die Zutaten einer Debatte, die sich am Kepler-Gymnasium in Weiden abspielt. Denn die Kombination Salami, Tomate, Gurke ergibt zwar ein feines Pausenbrot, aber in Weiden kleben diese Zutaten scheibenweise an der Schuldecke. Und das seit zehn Jahren, behauptet ein Schüler, der seiner Schule neulich via Instagram zum 150. Geburtstag gratulierte. "Danke für die Heizungen, die nie warm werden", schrieb er: "danke für die Pflanzen, die aus der Decke wachsen", danke auch für Salami, Tomate und Gurke. Dazu gab es Fotos, die offensichtlich den Zustand des Gymnasiums belegen sollten. Dafür bekam der Schüler mehr als 800 Herzchen und Dutzende Kommentare: "so true", "so real", "kann es nicht besser ausdrücken".

Die vergifteten Glückwünsche haben offenbar einen Nerv getroffen, nicht nur in Weiden. Man hört das ja immer wieder: dass sehr viele Schulen sehr renovierungsbedürftig sind - und dass die Sanierungen sehr langsam vorangehen. Wie schlimm ist es wirklich? Nicht nur am Kepler-Gymnasium, sondern überhaupt in Bayern?

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Die Grünen fordern ein Sonderprogrammm für Schulsanierungen

Die Weidener Schulleiterin Sigrid Bloch sagt: "Wir können durchaus mithalten mit anderen Gymnasien in Bayern." Das klingt besorgniserregend, Bloch meint das aber ganz anders. "Dass wir neue Fenster brauchen, eine neue Heizungsanlage, auch neue Schulmöbel, dass wir in den Gängen bestimmte Sachen moderner gestalten können, das ist ganz klar." Doch was den Unterrichtsbetrieb betreffe, "geht es uns relativ gut." Sie habe sich schon ein wenig geärgert über den Instagram-Post, vor allem über das Foto mit dem Tageslichtprojektor, der verdächtig nach Neunzigerjahren aussieht. Das Gebäude möge teils marode sein, "aber hier ist nicht alles auf dem Stand von 1970": Man habe Beamer, digitale Tafeln. Überhaupt, sagt Bloch, die Pläne für eine Generalsanierung seien weit fortgeschritten. So große Bauprojekte "ziehen sich", das sei doch normal. Und es gebe noch andere Schulen in Weiden, an der Realschule etwa musste die Schwimmhalle erneuert werden, die Stadt könne nicht alle Sanierungsfälle gleichzeitig stemmen. Und jetzt sei ja "fest eingeplant, dass das Kepler saniert wird", sagt Bloch.

Also, alles halb so schlimm, auch anderswo? "Der Investitionsstau bei den bayerischen Schulen ist enorm", sagt Ursula Sowa, die für die Grünen im Landtag sitzt. Diese Schlussfolgerung zieht sie aus einer Antwort des Finanzministeriums. Sowa hatte gefragt, wie viele Anträge von Schulen bei einem Förderprogramm des Bundes nicht berücksichtigt würden. Die Summe dieser nicht genehmigten Anträge beläuft sich auf 666 Millionen Euro in einem Jahr. "Hier wartet also noch ein gewaltiger Sanierungsbedarf auf Gelder", sagt Sowa. Und dabei handele es sich nicht mal um alle Kommunen, sondern nur um finanzschwache.

Der Investitionsstau an bayerischen Schulen wird meist auf Basis des KfW-Kommunalpanels bestimmt. Rechnet man die Zahlen von 2019 auf den Freistaat herunter, kommt man auf 4,5 Milliarden Euro, die bayerischen Schulen fehlen. Dabei geht es aber nicht nur um ihren Zustand, sondern auch um ihre Modernisierung. Im Vergleich zu 2017 ist der Investitionsstau geschrumpft, damals belief er sich noch auf 5,1 Milliarden Euro. Die Grünen fordern deshalb ein Sonderförderprogramm für Schulsanierungen von zusätzlichen 200 Millionen Euro im Jahr. Derzeit sind 460 Millionen Euro für Sanierungen und Neubauten von Schulgebäuden im Haushalt für 2020 vorgesehen. Ob das reicht, kann niemand sagen.

Die kommunalen Spitzenverbände nehmen das Thema differenziert wahr. Für den ländlichem Raum und seine Grundschulen kann ein Sprecher des Gemeindetags "vorsichtig Entwarnung geben", man habe "nicht den Eindruck, dass das gerade ein Riesenthema ist". Johann Keller vom Landkreistag sagt, es gebe immer wieder krasse Einzelbeispiele für marode Schulen, doch in der Summe sei das Problem nicht so groß. Die Landkreise nähmen viel Geld für Sanierungen in die Hand. Mehr Unterstützung würde er sich vor allem für die Digitalisierung der Schulen wünschen. Der aktuelle Fördertopf umfasse hierfür 600 Millionen Euro, "dabei haben wir einen Bedarf von 1,1 Milliarden Euro". Doch allein mit Breitbandanschlüssen und Computern sei es nicht getan, es brauche auch das Personal dazu - zum Beispiel, um die IT-Sicherheit zu gewährleisten.

Bleibt die Frage nach den krassen Einzelbeispielen. Wie viele Schulgebäude so aussehen wie das in Weiden, weiß die Staatsregierung nicht. Der Staat kann Schulsanierungen zwar fördern, in erster Linie aber sind Kommunen und Landkreise zuständig. Sowa von den Grünen ist damit nicht zufrieden: "Der Freistaat sollte wissen, wo der Schuh drückt, ehe er Pi mal Daumen Geld zur Verfügung stellt." Sie fordert eine Abfrage bei den Kommunen.

Matthias Fischbach, bildungspolitischer Sprecher der FDP im Landtag, spricht von einem "Riesenförderdschungel", durch den sich die Kommunen hangeln müssten. Die Freien Demokraten wolen langfristig deshalb das ganze Finanzierungsmodell ändern. Die Schulen sollten aus ihrer Sicht eine Investitionspauschale von Kommunen und Freistaat bekommen und am Ende selbst entscheiden, was saniert wird.

Doch Geld alleine kann auch nichts richten. Beim Bayerischen Städtetag nennt man als ein großes Problem den Mangel an verfügbaren Baufirmen. Die Branche boomt, die Auftragsbücher sind voll, Fachkräfte rar. Das treibt - neben anderen Faktoren - die Baukosten nach oben. Hinzu kommt, dass gerade in den Ballungsräumen die Städte und Landkreise nicht nur mit ihren alten Schulen beschäftigt sind. Aufgrund des anhaltenden Zuzugs müssen sie zusätzlich neue bauen.

Zurück nach Weiden und dem Pausenbrot an der Decke: "Für Wirbel gesorgt" hat das Thema auf jeden Fall, so erzählt es die Schulleiterin. "Aber zu mir kamen auch Fünftklässler, die haben gesagt: Frau Bloch, das ist unsere Schule, wir fühlen uns wohl." Und die Salami-, die Tomaten-, die Gurkenscheibe an der Decke? Na ja, sagt Bloch, "wenn die Schüler die nicht hochwerfen würden, wären sie auch nicht da droben".

© SZ vom 16.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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