Bildung in Bayern:Die Schwächen liegen im Detail

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Bayerns Schülerinnen und Schüler liegen im bundesweiten Vergleich oft weit vorne. Deshalb will die schwarz-orange Koalition das schulische Niveau nicht an andere Bundesländer angleichen - in ihren Augen also senken.

(Foto: imago)

Von Anna Günther

Wenn sich die Kultusminister der Länder am Donnerstag in Berlin treffen, ist der Redebedarf sicher groß. Hitziger noch als die Diskussionen über die neuesten Pisa-Ergebnisse dürfte es beim Thema Nationaler Bildungsrat werden: Es ist das erste Treffen nach Bayerns Ankündigung, nicht mitzumachen. Die 16 Kultusminister müssen eine Lösung für mehr Vergleichbarkeit der deutschen Schulen finden, aber die Fronten sind verhärtet. Dabei kritisierte sogar das Bundesverfassungsgericht, dass die Unterschiede zwischen den 16 Schulsystemen zu groß sind. Bayern wird sein Niveau nicht angleichen, heißt es stets aus der Staatsregierung. Gemeint ist, nach unten. Kann der Freistaat sich diesen Alleingang leisten? Ein Überblick.

Abitur

Bildungsstudien bescheinigen Bayern oft Spitzenplätze. Auch wenn umstritten ist, ob man gute Bildung mit Noten und Tests messen kann, sind erfolgreiche Abschlüsse und besonders das Abitur Lieblingsargument der Kultusminister für ihre Politik. Bayern gehört zur Spitzengruppe der Bundesländer: Fast 14 Prozent der Abiturienten schafften dieses Jahr einen Schnitt von 1,5 oder besser, es gibt wenig Durchfaller. 2018 lag der Landesschnitt bei 2,28, neuer Rekord. Die jungen Frauen und Männer kamen selbst 2019 trotz der lautstarken Proteste über das vermeintlich zu schwere Matheabitur auf 2,29. Allerdings warnen Wissenschaftler und Gymnasiallehrer seit Jahren vor einer "Einserflut" und sinkender Qualität des bayerischen Abiturs. Die Abschlussprüfung ist Ergebnis von Schweiß und Fleiß der Schüler, aber die Zahl derer mit einem Abischnitt von 1,5 oder besser steigt seit der Einführung des G 8. Die Zahl der bayerischen 1,0-Abiturienten hat sich seit 2006 mehr als verdoppelt, in Berlin sogar versechsfacht. Dass die jungen Frauen und Männer heute sechs Mal klüger sind als früher, darf bezweifelt werden. Um gegen den befürchteten Niveauverlust anzureden, betonen Bayerns Bildungsminister ständig die hohe Qualität des bayerischen Abiturs. Das von der Kultusministerkonferenz als "erhöht" deklarierte Niveau in Mathe und Deutsch ist im Freistaat Standard für alle Abiturienten. Im Klartext: Bayerische Gymnasiasten müssen härter für ihre Noten schuften als Schüler anderer Länder. Schikane soll das nicht sein, sondern mehr Erfolg an Unis und im Beruf bringen.

Kindertagesstätten

Bei der Betreuung von Krippenkindern schneidet Bayern meist schlecht ab. Werden entsprechende Ranglisten publik, kritisiert die Staatsregierung meist die Studie und erklärt, dass die Nachfrage in Bayern halt nicht so hoch sei. Wer sich umhört, vernimmt aber auch in ländlichen Regionen Klagen von Eltern, die keinen Betreuungsplatz finden. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung übersteigt die Nachfrage in Bayern das Angebot sogar deutlich. Dabei haben Mütter und Väter seit 2013 einen Anspruch darauf. Laut statistischem Bundesamt ist Bayern mit einer Betreuungsquote von 27,5 Prozent der unter Dreijährigen Vorletzter. Im Vergleich der 402 deutschen Landkreise und kreisfreien Städten belegt der Freistaat acht der letzten zehn Plätze. Sozialgesetzgebung ist Bundesaufgabe, aber Bayern setzt eigene Akzente: 86 Prozent der berechtigten Eltern nahmen 2017 lieber das als "Herdprämie" kritisierte Betreuungsgeld und blieben zu Hause. Seit September 2018 bekommen nun alle Eltern mit zwei- und dreijährigen Kindern Familiengeld, egal wie diese betreut werden. Ob ein Zusammenhang zur deutlich gestiegenen Zahl der kommunalen Kita-Anträge besteht, ist offen. Aber Bayern will stärker investieren, 356 Millionen Euro fließen nun in den Kitaausbau, drei Mal so viel wie das Budget vom Bund.

Kernfächer

Um die 16 Bildungssysteme zu vergleichen, werten Forscher der Berliner Humboldt Universität regelmäßig Tests Zehntausender Schüler aus. Diese Vergleichsstudie des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) zieht die Staatsregierung noch lieber als Beweis für ihre Politik heran als das Abitur: Bayern ist meist weit vorne. Zuletzt untersuchten die Wissenschaftler wie Neuntklässler in Mathe, Biologie, Chemie und Physik abschneiden. Das Ergebnis fällt für Bayern so positiv aus wie schon 2017 beim Viertklässler-Test zu Mathe und Deutsch: Bayern wechselt sich an der Spitze mit Sachsen ab. Mehr Kinder erreichen den Regelstandard und das Optimum als anderswo, und deutlich weniger Schüler schaffen nicht einmal das Minimum. Weniger rosig sieht es allerdings jenseits der Zahlen aus. Denn Unterschiede der Geschlechter und soziale Herkunft wirken sich in Bayern noch immer deutlich auf schulischen Erfolg aus, wenn auch weniger schlimm als anderswo.

Chancengerechtigkeit

Gegen diese Ungleichheit versucht der Freistaat anzugehen, innerhalb des gegliederten Schulsystems. Oft wird die Frage nach der gerechtesten Schule ideologisch beantwortet. Aber alle Kinder gemeinsam zu unterrichten, ist für CSU und Freie Wähler undenkbar. Im gegliederten System können Starke besser gefördert werden, sagt auch der Augsburger Bildungsforscher Klaus Zierer, umso intensiver müssten aber schwache Schüler unterstützt werden. In Gesamtschulen gebe es eine breite Mitte, aber weniger gute Kinder. Etliches aus dem 1,3 Milliarden Euro schweren bayerischen Bildungsbudget fließt in Förderstunden, in Schulpsychologen oder Sozialarbeiter. Der Bildungsmonitor der industrienahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft belohnte den Freistaat dafür kürzlich mit dem zweiten Platz. Primus ist Bayern in der beruflichen Bildung: Lehrlinge sind erfolgreicher als in anderen Bundesländern.

Nur 5,5 Prozent aller Jugendlichen verlassen die Schule ohne Abschluss.

Faktor Zufall

Liegt der Erfolg Bayerns wirklich an der Politik? Wissenschaftler und Bildungsinsider beantworten diese Frage mit klarem "Jein". Schulminister Michael Piazolo (FW) und seine CSU-Vorgänger haben viel Budget und dazu Glück, dass sie nicht in Bremen, dem Listen-Schlusslicht, verantwortlich sind. Sozial schwache Milieus gibt es auch im reichen Bayern. In Bremen sind es im Verhältnis aber deutlich mehr. Stabile Familienverhältnisse gelten ebenso als Grund für Bayerns Bildungserfolg wie Ruhe im System. Ersteres haben die Bürger sich selbst zu verdanken, Letzteres der Regierung, die Experimente eher scheut.

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Kristina Reiss, TU-Professorin, die bei der Pisa-Studie in Deutschland die Fäden in der Hand hält. Marsstraße 20-22

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In wenigen Tagen werden in Berlin die Ergebnisse der neuesten Schüler-Befragung vorgestellt. Doch ausgewertet werden die Resultate in München - unter der Leitung von Professorin Kristina Reiss.

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