Prozess in Augsburg:Apothekerin ergaunert von Krankenkasse eine halbe Million Euro

Lesezeit: 3 min

Apothekerin auf der Anklagebank: Das Landgericht Augsburg hat die Frau für schuldig befunden, Rezepte im Wert von mehr als einer halben Million Euro gefälscht zu haben. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die Frau fälschte über die Arztpraxis ihres Mannes Rezepte, nun muss sie drei Jahre in Haft. Das Vorgehen bezeichnet selbst ihr Verteidiger als "bescheuert" - doch es zeigt, warum ausgerechnet im Gesundheitswesen so viel betrogen wird.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Der Verteidiger unterbricht sein Plädoyer und entschuldigt sich kurz bei der Angeklagten neben sich, er muss gleich wenig Schmeichelhaftes sagen. "Eigentlich", führt er also aus und blickt zu der Frau, die er am Montag vor der siebten Strafkammer am Landgericht Augsburg vertritt, "war es so bescheuert gemacht, dass es früher oder später auffallen musste". Um knapp 520 000 Euro hat die Apothekerin ihre Krankenkasse betrogen, mit gefälschten Rezepten für ein sehr teures Schuppenflechte-Medikament, die sie ohne sein Wissen mit falscher Unterschrift über ihren Ehemann ausstellte, einen Zahnarzt. Die 53-Jährige hat vor Gericht alles gestanden, der Vorsitzende Richter verurteilt sie zu drei Jahren Haft.

Es ist ein "ungewöhnlicher Fall", betont auch die Staatsanwältin, dass eine Apothekerin mit Verordnungen betrügt, die auf sie selbst ausgestellt sind. Gleichzeitig wirft das Verfahren ein Schlaglicht auf Betrugsfälle im Gesundheitswesen. Die Angeklagte habe das auf Vertrauen basierende Gesundheitssystem ausgenutzt, kritisiert die Staatsanwältin, weshalb der Prozess auch exemplarisch steht für ein Phänomen, das inzwischen so großen finanziellen Schaden anrichtet, dass der Freistaat es mit einer eigenen Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen, kurz ZKG, bekämpft.

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Die Ermittler - auch im Fall der Apothekerin und ihres Geschäfts in Neu-Ulm - sind bei der Generalstaatsanwaltschaft in Nürnberg angesiedelt. Seit Gründung im September 2020 hat die ZKG 568 neue Verfahren eingeleitet und Hunderte Altverfahren abgeschlossen. Das komplizierte Gesundheitssystem lade geradezu zum Betrug ein, warnte der Leitende Oberstaatsanwalt Richard Findl, Bayerns oberster Ermittler in der Gesundheitsbranche, erst vor Kurzem bei einer Bilanz im November. Das Dunkelfeld sei groß. Nimmt man eine britische Studie zum Maßstab, würde der Schaden in Deutschland durch Betrug im Gesundheitssystem bei mehr als 30 Milliarden Euro im Jahr liegen.

Wenn man sich "cleverer" anstelle, sagte Findl im November auch zum Fall der in Augsburg angeklagten Apothekerin - und ist sich somit mit ihrem Verteidiger einig -, falle solch ein Betrug im bestehenden Abrechnungssystem meist gar nicht auf. Bei der Krankenkasse wurden Mitarbeiter allerdings stutzig, dass ein Zahnarzt Rezepte gegen Schuppenflechte ausstellt. 108 Spritzen hatte sich die 53-Jährige in den Jahren 2019 und 2020 selbst verordnet, mit Blanko-Rezepten und Stempel aus der Praxis ihres Ehemanns. Knapp 5000 Euro kostet eine solche Spritze des Medikaments Stelara.

Die Frau leidet nach eigener Aussage tatsächlich an Schuppenflechte, benutzt hat sie das Medikament dennoch kaum. Stattdessen nahm sie das Geld ihrer Krankenkasse und hielt sich damit offenbar über Wasser. Sie war bereits mit einer Apotheke insolvent geworden, öffnete dennoch wieder ein Geschäft in Neu-Ulm, das inzwischen geschlossen hat, und nutzte das Einkommen aus dem Betrug wohl, um ihre Schulden abzutragen und ihre Mitarbeiter zu bezahlen. Sie habe, das betont ihr Verteidiger, nicht in Luxus gelebt.

Die Frau gab ihre Approbation von sich aus zurück

Eine Mitarbeiterin der Krankenkasse sagte im Zuge des Prozesses, dass es für Versicherer nicht möglich sei, alle Verordnungen zu überprüfen. Es werde relativ schnell gezahlt, rekapitulierte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer, damit das Gesundheitssystem laufe. "Deshalb vertrauen die Krankenkassen darauf, dass alle ihre Verpflichtungen einhalten." Besonders häufig gibt es jedoch derzeit Verdachtsfälle auf Betrug bei Corona-Tests, jedes dritte Verfahren der ZKG spielt in diesem Feld. Viele Ermittlungen - die meisten bei der ZKG lauten auf Betrug - richten sich auch gegen Ärzte, jeweils zehn Prozent gegen Physiotherapeuten und Pflegedienste.

"Sie haben das Vertrauen der Gesellschaft und der Krankenkassen missbraucht", rügt der Vorsitzende Richter die Angeklagte in seiner Urteilsbegründung. Eine Strafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, wäre deshalb "das falsche Zeichen" gewesen. Dennoch bleibt das Gericht mit seiner Strafe von drei Jahren Haft weit unter der Forderung der Staatsanwältin, die vier Jahre und sechs Monate als schuldangemessen betrachtet hatte.

Das Gericht erkennt unter anderem an, dass die Apothekerin früh und vollumfänglich geständig war und inzwischen mehr als die Hälfte des Schadens zurückgezahlt hat. Sie habe auch selbst erkannt, dass sie "charakterlich nicht befähigt" sei, eine Apotheke zu führen, weshalb sie einem Berufsverbot zuvorkam und ihre Approbation zurückgab. In die Haftstrafe wird auch ein Urteil des Amtsgerichts Neu-Ulm aus dem Sommer eingerechnet: Dort ist die 53-Jährige bereits verurteilt worden, weil sie verschreibungspflichtige Schmerzmittel illegal verkauft hatte.

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