SZ-Serie: Urlaub daheim:Durch den bayerischen Dschungel

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Um Wildnis zu erleben, muss man nicht unbedingt an den Amazonas fliegen. Eine Fahrt nach Neuburg an der Donau tut es auch. Entlang des ökologisch ruinierten Flusses breiten sich Auwälder aus, in denen Touristen auf Entdeckungsreise gehen können

Von Sebastian Beck

Wer einen Blick auf den vielleicht kaputtesten Fluss der Welt werfen möchte, der sollte sich mal auf die Staustufe Bergheim südwestlich von Ingolstadt stellen: Dieses einbetonierte, traurige Gewässer ist nicht irgendein Kanal oder Stausee, es ist die Donau. Oder besser gesagt: Es war einmal die Donau, denn mit einem natürlichen Fluss hat dieses begradigte Elend nicht mehr viel gemeinsam - außer Wasser.

Für einen Ausflugstipp mag der Einstieg wenig verlockend klingen, doch andererseits ist Bayern ein Land, in dem grandiose Landschaften an hässliche grenzen. Deshalb sind es von der Staustufe Bergheim auch nur gut 1000 Meter Luftlinie bis zum Jagdschloss Grünau, einem märchenhaften Anwesen der Wittelsbacher, das einst vom Wasser umspült wurde. Heute liegt es inmitten von Wiesen und Wäldern. Wer dort eine Rast einlegt, kann den Turmfalken beim Jagen zuschauen, doch darum geht es eigentlich nicht. Denn Schloss Grünau ist der Sitz des Auenzentrums Neuburg-Ingolstadt und damit der Ausgangspunkt für einen spannenden Tag.

In der Region westlich von Ingolstadt sind entlang der Flussleiche Donau Reste der ursprünglichen Auenwälder erhalten. Sie zogen sich einst entlang der Flüsse, bevor sie Acker- und Siedlungsflächen weichen mussten. Schätzungsweise 85 Prozent der Auwälder gingen in Bayern verloren, nur entlang der Isar, an der Iller und eben hier an der Donau sind noch nennenswerte Flächen übrig, 5000 Hektar alleine im Raum Neuburg - das größte Auwaldgebiet in Deutschland.

"Das ist der Dschungel Mitteleuropas, so dicht und undurchdringlich", sagt Siegfried Geißler, Landschaftsökologe und Leiter der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt Neuburg. Er ist es auch, der die Donau als "kaputtesten Fluss weltweit" bezeichnet: Nicht nur, dass sie vollständig verbaut ist. Alleine bis Wien zählt Geißler 65 Staustufen, die den natürlichen Lauf unterbrechen. Auch die Zuflüsse wie der Lech und die Isar wurden schwer malträtiert. Die Fließgewässer gehören damit zu jenen Lebensräumen, deren Zustand bis heute am schlechtesten ist.

Und jetzt die gute Nachricht: Zwischen Neuburg und Ingolstadt bahnen sich entlang der Donau eine ganze Reihe von Bächen und Nebenarmen ihren Weg durch die Auwälder. Sie formen an einigen Stellen eine geradezu spektakuläre Naturlandschaft. Vor 15 Jahren wurde hier damit begonnen, dem Wasser wieder mehr Platz einzuräumen. Auf Fachdeutsch heißt das "Dynamisierung": Dazu wurde unter anderem der Ottheinrichbach angelegt, der die Staustufe Bergheim wie ein Bypass umgeht. Bei Hochwasser können die Auen nun gezielt geflutet werden. Die Schwankungen des Wasserstands nähern sich damit wieder den natürlichen Verhältnissen an. Das trägt nicht nur zum Hochwasserschutz bei, sondern bringt neues Leben in die Wälder.

An einem Frühlingstag herrscht darin eine Geräuschkulisse wie in einer Vogelvoliere. Überall zirpt, pfeift und ruft es durch den Wald, auch Spechte und Kuckucke sind hör- und sichtbar unterwegs. Schon deshalb gehört zu einem Ausflug in die Donauauen neben Mückenschutz auch unbedingt ein Fernglas dazu. Vom Schloss Grünau aus führen inzwischen sechs Themenwege durch die Gegend. Die große Runde zieht sich immerhin 26 Kilometer lang bis zur Staustufe Ingolstadt. Für Radfahrer sind die Donauauen - weil frei von Steigungen - ein ideales Ausflugsziel. Nur eine kürzere Wanderung führt durch unwegsames Gelände und ist daher Ausflüglern mit Gummistiefeln vorbehalten. Damit die Bildung nicht zu kurz kommt, säumen etliche Schautafeln die Strecke.

Eine Entdeckung ist die Tour durch den Gerolfinger Eichenwald auf der nördlichen Donauseite: Sie schlängelt sich von einem Pavillon am Ortsrand von Gerolfing kilometerweit durch eine Parklandschaft, in der man sich nicht wundern würde, wenn ein Hobbit den Weg kreuzte. Der Gerolfinger Eichenwald, das lernt der Wanderer wieder anhand von Schautafeln, ist ein Kulturprodukt: Seit der Jungsteinzeit haben Menschen hier ihre Spuren hinterlassen - ausnahmsweise nur solche, die Pflanzen und Tieren augenscheinlich gut getan haben. Zwischen den Wiesen ragen zahllose alte Eichen auf - sie wurden einst stehen gelassen, weil ihr Holz zum Hausbau diente und Schweine darunter Futter fanden. Als Ergebnis formte sich im Laufe von Jahrhunderten ein typischer Hutewald.

Serie jetzt als Dossier

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(Foto: N/A)

Auf den Spuren von Räubern und Feldherren: Seit einigen Wochen erkundet die SZ-Bayernredaktion unbekannte Wege im ganzen Freistaat, um immer neue Ausflugsziele für den Urlaub daheim vorzustellen. Nun sind die bisherigen Folgen der Serie gebündelt in digitaler Form erschienen. Das Dossier finden Sie ab sofort im digitalen Kiosk der Süddeutschen Zeitung und im Internet unter www.sz.de/ausflug2.

Menschen, die sich sonst mit dem Mountainbike oder zu Fuß in den Bergen abmühen, stellen im Gerolfinger Eichenwald erstaunt fest, dass sie von Minute zu Minute langsamer werden und schließlich unter einer Eiche der Wahl eindösen. Wenn dann auch noch ein Rehbock über die Lichtung spaziert, ist das Ausflugsglück perfekt.

Weil der Auwald so wunderschön und artenreich ist, gab es vor einigen Jahren Bestrebungen, hier einen dritten bayerischen Nationalpark zu errichten. Ministerpräsident Horst Seehofer war dafür; sein Nachfolger Markus Söder hängte anfangs allerdings noch lieber Kreuze als Nistkästen auf. Inzwischen aber hat die ergrünte Staatsregierung erkannt, dass der Auwald besser geschützt werden muss. Forstministerin Michaela Kaniber will deshalb fast 1000 Hektar Auwald aus der Nutzung nehmen und als "Naturwald" deklarieren. Weitere Projekte sind entlang der Donau in Schwaben, aber auch entlang der Isar geplant. Siegfried Geißler, einer der Pioniere des Auwaldprojekts, freut sich darüber. Er ist ohnehin der Meinung, dass man nicht unbedingt nach Brasilien fliegen muss, um einen Dschungel zu sehen. Eine Fahrt nach Neuburg tut es auch.

© SZ vom 21.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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