Integration:Mehr als 12 000 Ukrainer haben in Bayern einen Job gefunden

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Der aktuelle Arbeitsmarktbericht für Bayern verzeichnet zwar nur einen geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Insgesamt aber häufen sich die Warnsignale. (Foto: Daniel Löb/dpa)

Tausende Menschen sind vor dem russischen Angriffskrieg in den Freistaat geflohen. Den Kommunen gelingt es kaum noch, die vielen Menschen unterzubringen. Trotzdem liegt darin für den Freistaat auch eine Chance.

Von Maximilian Gerl und Nina von Hardenberg, München

Für Ralf Holtzwart ist klar: "Da geht was", sagt er am Telefon. Holtzwart ist Chef der Regionaldirektion Bayern der Agentur für Arbeit; bei ihm laufen all die Werte, Daten und Tabellen über ukrainische Geflüchtete und den Arbeitsmarkt zusammen. Und die Zahlen können sich seiner Meinung nach durchaus sehen lassen. Demnach haben zwischen Februar und Oktober vergangenen Jahres gut 12 200 Menschen aus der Ukraine in Bayern einen Job gefunden. 21 000 Geflüchtete befinden sich außerdem derzeit in Sprachkursen. Viele von ihnen seien sehr engagiert und aktiv, berichtet Holtzwart. "Die warten nicht nur drauf, bis der Bescheid da ist."

Nicht nur warten, warten bis endlich der Krieg endet: Seit einem Jahr toben in der Ukraine die Kämpfe, viele Menschen mussten flüchten, kamen nach Deutschland und Bayern. Eine Herausforderung, auf vielen Ebenen, ob für die Betroffenen selbst oder die Kommunen, denen es kaum noch gelingt, die Geflüchteten unterzubringen. Der Blick auf den Arbeitsmarkt mag da zweitrangig wirken, ist es aber nicht. Das Ankommen in der Arbeitswelt gilt als Königsweg der Integration. Wie gut es hier voran geht, entscheidet auch darüber, wie gut es dem Freistaat gelingt, seinen Teil der Herausforderungen zu meistern.

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Die Aufgabe für die Arbeitsämter ist jedenfalls enorm. Etwa 156 000 Ukrainer haben sich seit Kriegsbeginn in Bayern registriert. Wie viele wirklich noch da sind: ungewiss. Ein Teil könnte ohne Abmeldung weitergereist oder zurückgekehrt sein. Klar aber ist, dass allein aus der Ukraine weit mehr Geflüchtete gekommen sind als auf dem Höhepunkt der letzten großen Fluchtbewegung. 2016 fragten insgesamt 82 003 Menschen in Bayern um Asyl an.

Höchste Zeit also für eine "Zwischenbilanz". So hatten Holtzwart und Innenminister Joachim Herrmann (CSU) einen gemeinsamen Termin an diesem Donnerstag in Nürnberg angekündigt , in diesem Sinne sind die vorgestellten Zahlen auch zu lesen. 12 200 Menschen in Arbeit, das klingt nach wenig angesichts der vielen Tausend Flüchtlinge - sind aber doch viele im Vergleich zu anderen Krisen. Auch arbeiten in Bayern laut Herrmann inzwischen so viele ukrainische Geflüchtete "wie in keinem anderen Bundesland". Ein Großteil aller hierzulande gemeldeten Ukrainer sind im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt, in der Gastronomie und im Handel. Aber auch die Immobilienwirtschaft sowie die freien und technischen Berufen verzeichnen Zuwächse. Hilfreich dabei ist das "sehr gute Qualifikationsniveau", wie es Holtzwart nennt. Gut 30 Prozent der derzeit in Bayern lebenden ukrainischen Geflüchteten haben vorher einen Beruf mit Hochschulausbildung ausgeübt. Ähnlich viele gelten allerdings als an- oder ungelernt.

Die ersten Ukrainer kommen also vergleichsweise häufig im Job unter - wohl auch, weil sie es im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen dürfen. Eine EU-Richtlinie erlaubt ihnen, von Tag eins an zu wohnen und zu arbeiten, wo immer sie wollen. Sie werden wie anerkannte Flüchtlinge behandelt, ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen. In Deutschland sind sie damit seit Juni auch offiziell Kunden der Jobcenter, die sich um Sprachkurse und die Anerkennung ihrer Zeugnisse bemühen. Dabei haben die Jobvermittler schon so genug zu tun, mancherorts verzichteten sie angesichts des sprunghaften Anstiegs an Kunden sogar auf den Sommerurlaub. Bayernweit galten im Januar 271 289 Personen als arbeitslos, Ukrainer stellen dabei einen Anteil von 8,4 Prozent.

Die größte Herausforderung: die Sprache. Viele Ukrainer wollen schnell Deutsch lernen, das Interesse an den kostenlosen Sprachkursen ist hoch. Auch sonst fallen viele Geflüchtete aus der Ukraine positiv auf. Als etwa das Amt in München 4300 Ukrainer zu einer Infoveranstaltung einlud, sollen von ihnen 80 Prozent erschienen sein, berichten Mitarbeiter - ein überdurchschnittlicher Wert. Viele der Geflüchteten seien internetaffin und würden sich selbstständig um die nötigen Formulare und Co. bemühen.

Berufsqualifikationen müssten schneller anerkannt werden

Trotzdem bleibt die Lage herausfordernd. Zum Beispiel ist durch die große Zahl an Geflüchteten auch die Zahl derer gestiegen, die in Bayern Grundsicherung beziehen dürfen. Allein rund 59 200 erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind in den bayerischen Arbeitsmarktbilanzen gelistet; hinzu kommen unter anderem gut 30000 Kinder. Auch eine groß angelegte Umfrage des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung unter 11 000 ukrainischen Geflüchteten ergab, dass viele Angekommene womöglich nicht direkt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden. Die Mehrheit der erwachsenen Geflüchteten sind demnach Frauen, fast die Hälfte mit minderjährigen Kindern. Die grüne Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel forderte daher am Donnerstag mehr "Sprachkurse mit Kinderbetreuung". Zudem müssten Berufsqualifikationen schneller und unbürokratischer anerkannt werden. "Wenn die Söder-Regierung das nicht schleunigst angeht, müssen viele Fachkräfte weiter unter ihrer Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt tätig werden."

Denn wer die Schrecken des Krieges ausblendet, kann in der Lage sogar eine Chance für den Arbeitsmarkt sehen. Als solche bezeichnet sie zumindest Herrmann: Ausreichend Fachkräfte seien "ein ent­schei­dender Erfolgsfaktor" für "unseren Wohlstand in Bayern". Angesichts des demografischen Wandels wird jede Hand gebraucht. Der letzte Arbeitsmarktbericht aus dem Januar weist 146 991 offene Stellen im Freistaat aus. Der Personalmangel ist inzwischen schlicht zu groß, als dass es sich viele Unternehmen leisten könnten, auf Einstellungen komplett zu verzichten - trotz aller Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung, trotz der vergleichsweise hohen Inflation.

Um die Integration in die Arbeitswelt zu verstärken, will Herrmann die Bereitstellung weiterer Landesmittel prüfen. Für Holtzwart ist vor allem wichtig, die Geflüchteten weiter bestmöglich zu beraten. Nach derzeitigem Stand sollen allein im April und Mai 16 141 Ukrainer ihre Integrations- und Berufssprachkurse beenden - und dann bestenfalls dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die nächste Zwischenbilanz ist für Sommer angekündigt.

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