Landwirtschaft:Das steckt hinter dem "plastikfreien Spargel"

Lesezeit: 3 Min.

Bleichspargel wächst auf den meisten Bauernhöfen in Deutschland unter Ackerfolien, die eine frühere Ernte möglich machen. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Ackerfolien sind im Gemüseanbau längst Standard. Sie beschleunigen die Ernte und kurbeln das Geschäft an. Trotzdem gibt es einzelne Höfe, die sich dem Kunststoff verweigern. Warum?

Von Thomas Balbierer, Schrobenhausen

Für ihr Leben als Spargel-Außenseiterin braucht Christine Rehm vor allem eins: Geduld. Während auf den allermeisten Spargelhöfen im Schrobenhausener Land schon Erntehelfer ackern, sind die Felder der Familie Rehm nördlich von Schrobenhausen noch unberührt. "In der Regel fangen wir rund um den 20. April an, unseren Spargel zu stechen", sagt Christine Rehm ein paar Tage vor Ostern und wirkt dabei keineswegs unruhig. "Momentan ist es für den Spargel viel zu kalt. Aber wenn es nach den Feiertagen milder wird, kann die Natur in kürzester Zeit explodieren." Die Stangen würden dann mehrere Zentimeter pro Tag nach oben schießen und wären bald erntereif.

Dass bis dahin schon massenweise Spargel über die Theken der Supermärkte und Straßenbuden gegangen ist, stört die 61-Jährige nicht. "Ich sehe das nicht als Konkurrenz", sagt sie, was durchaus selbstbewusst klingt. Den Wettlauf um die früheste Ernte lassen sie und ihr Mann Josef an sich vorüberziehen. "Wir haben sehr treue und bewusste Kunden." Da muss sich selbst der Münchner Starkoch Tohru Nakamura in Geduld üben, der gerade erst nachgefragt habe, wann es so weit sei mit dem Spargel, erzählt Rehm. Hilft aber nix.

Denn die Spargel-Außenseiter aus dem Dorf Linden haben etwas zu bieten, was es in Bayern nur noch sehr selten gibt - und wofür es sich aus ihrer Sicht zu warten lohnt: "plastikfreien Spargel".

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In der Branche ist es seit den Neunzigerjahren Standard, Felder hektarweise mit Ackerfolien zu überziehen, damit der weiße Spargel auch bei kühleren Temperaturen schneller wächst und früher gestochen werden kann. So hat sich die Saison kontinuierlich nach vorne verlagert, was den Konsum und somit das Geschäft ankurbelt. Umweltorganisationen wie der BUND sehen die Kunststoffplanen zwar kritisch, weil Insekten und Vögel auf den versiegelten Flächen nur schwer Nahrung fänden und sich Plastik im Boden anreichern und ins Grundwasser gelangen könnte.

Doch die Folien sind fester Teil der Landwirtschaft, sie werden auch beim Anbau von Salaten, Erdbeeren und Kürbissen genutzt. Sie helfen, Wärme und Feuchtigkeit im Boden zu speichern, schützen vor Schädlingen und Extremwetter und steigern den Ertrag deutlich. "Für die Betriebe wäre eine zuverlässige Ernte ohne Folien nicht möglich", sagt Claudia Westner, die Vorsitzende des Spargelerzeugerverbands Südbayern.

Die Branche leidet unter gestiegenen Produktions- und Lohnkosten, Billigimporte aus dem Ausland machen den Anbietern das Leben schwer. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied hat davor gewarnt, dass der Spargelanbau aus Deutschland "verschwinden" könnte.

"Aroma braucht Zeit, um sich zu entwickeln"

Auch die Rehms in Linden haben vor vielen Jahren mit Ackerfolien experimentiert und vier von 20 Feldreihen bedeckt. "Das Ergebnis war Wahnsinn", erinnert sich Christine Rehm. "In den vier Reihen gab es mehr Spargel als in den anderen 16 zusammen." Doch die Begeisterung hielt nur bis zum Probeessen: Der Folienspargel habe "wässrig und fad" geschmeckt, nur der Kopf habe den typischen Geschmack aufgewiesen. "Aroma braucht Zeit, um sich zu entwickeln", glaubt die 61-Jährige. Als Mitglied der "Slow Food"-Initiative verzichtet ihr Betrieb bis heute auf das Hilfsmittel. Auch weil sie findet, dass die vielen Plastikbahnen die Landschaft verschandeln.

Fragt man Experten, will die Theorie vom faden Folienspargel niemand so recht bestätigen. Carmen Feller forscht am Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau in Brandenburg seit Jahren zum Anbau von Spargel und sagt, dass die Plane sogar einen positiven Effekt haben kann. "Je schneller der Spargel wächst, desto zarter ist die Konsistenz", sagt sie und betont, dass die Bodentemperatur entscheidend für das Wachstum sei. Und da habe die Folie nun mal klar die Nase vorn im Vergleich zur wechselhaften Natur. Anders als Tomaten, die im Gewächshaus wenig Sonne abbekommen und deshalb oft blass und wässrig schmecken, brauche der Spargel auch kein Sonnenlicht, sagt Feller. "Im Gegenteil: In Deutschland will man den Spargel möglichst weiß haben. Fällt zu viel Sonne auf den Bleichspargel, färbt sich der Kopf schnell violett."

Für die Spargelindividualistin Christine Rehm ist das allerdings kein Makel. "Mit blauem Kopf schmeckt er sogar noch besser", sagt sie. In der Spitzengastronomie sei violetter Spargel besonders gefragt. Aber auch sie sagt, dass die Folie an sich nur ein Aspekt sei. Wichtig für den Geschmack sei auch die Sorte. Beim Folienanbau ist die in den Niederlanden entwickelte Sorte "Gijnlim" inzwischen Standard, sie ist besonders ertragreich und lässt sich früh ernten. Rehm hält sie für ein überzüchtetes Massenprodukt und setzt lieber auf altdeutsche Sorten. "Unser Spargel ist halt was für Liebhaber", sagt sie.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, die Rehms hätten vier von 20 Feldern mit Ackerfolien bedeckt. Tatsächlich handelte es sich um vier von 20 Reihen auf einem Feld. Wir haben den Fehler korrigiert.

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