Politik in Bayern:Die schwarze Normalität ist vorbei

Lesezeit: 3 min

Parteichef Markus Söder kann im Wahlkampf nicht mehr auf die bedingungslose Treue seiner Wähler setzen. (Foto: dpa)

Die Zeiten, in der die CSU ihre Wähler wie selbstverständlich mobilisieren konnte, sind längst vorbei. Mit welchen Herausforderungen hat die Partei vor der Bundestagswahl zu kämpfen?

Von Viktoria Spinrad, München

Letztens gab es mal wieder ein Spiegelbild der allgemeinen Stimmungslage. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stand am Tegernsee und mahnte bei der Vorstellung des parteieigenen Wahlprogramms vor einem "Schlafwagen-Wahlkampf". Wieder mal ein Nadelstich gen Norden, wo ihm Union-Kanzlerkandidat Laschet (CDU) den Unions-Zug zu trantütig befeuerte.

Die Nerven in der Union liegen blank, und das nicht ohne Grund. Von allen Seiten drücken und ziehen die politischen Konkurrenten. Untreue Wechselwähler, aufstrebende Konkurrenten - die politische Gemengelage in Bayern haben Wissenschaftler für die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung mit Blick auf die Bundestagswahl in sieben Wochen untersucht. Die am Mittwoch vorgestellten Ergebnisse zeigen, wie sehr sich die Parteilandschaft verändert.

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Früher gab es mal einen Spruch: Man müsse auf dem Land in Bayern nur einen Besenstiel schwarz anstreichen und er werde schon gewählt. Doch die monopolartige Stellung, in denen man bei Wahlen 60 Prozent und mehr holte, ist lange her. Kurz vor der Bundestagswahl ist die Angst vor der Wählerlaune groß. Zu Recht.

Zwar kann man sich bei der CSU mit auf die Fahne schreiben, die Stimmungslage unter den Menschen in der Pandemie wieder positiver gedreht zu haben. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass Wähler in Bayern auch bei anderen Parteien gewisse Kompetenzen erkannt haben. Zum Beispiel bei den Grünen. Laut der Untersuchung, die im Frühjahr unter 2169 Wahlberechtigten durchgeführt wurde, sah jeder dritte Befragte die CSU imstande, die Corona-Krise zu lösen. Jeder fünfte traute das aber genauso den Grünen zu. Beim für die jungen Leute wichtigen Thema Umweltschutz war das sogar die Mehrheit.

Das noch vor 20 Jahren verbreitete Kompetenzmonopol der CSU "ist heute in dieser Form nicht mehr vorhanden", sagte Wahlforscher Helmut Jung bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch. Durch den raschen sozialen Wandel hätten sich soziale Milieus und die damit einhergehende sozialstrukturelle Verankerung von Parteien weitgehend aufgelöst. Jeder fünfte Mensch im Freistaat kann sich laut der Umfrage mittlerweile vorstellen, die Grünen zu wählen. Die Spanne potenzieller Unterstützer ist mittlerweile fast genauso groß wie bei der CSU. Ministerpräsident Söder hat das natürlich längst erkannt. Er hat Bäume umarmt, den "Klimaruck" ausgerufen. Zum Befremden von Teilen seiner eigenen Partei, die lieber die wegbröselnden Stammwähler bedienen wollen.

"Die Schlussmobilisierung darf nicht aus dem Augen verloren werden", sagt der Wahlforscher über den Bundestagswahlkampf

Nur dass es den Landwirt mit Frau und zwei Kindern, der so oder so CSU wählt, eben kaum noch gibt. Die Wählergruppen sind immer schwerer greifbar. Laut der Studie ist mittlerweile jeder zweite Wahlberechtigte, der sein Kreuz macht, ein Wechselwähler. Je jünger, desto volatiler. Wie flexibel das Wahlverhalten inzwischen ist, zeigt die Tatsache, dass mittlerweile ein Drittel der Wähler grundsätzlich bereit wäre, in Bayern eine "andere, sonstige Partei" zu wählen. "Da ist noch Raum", so Jung.

Zum Beispiel für die Freien Wähler im Bund? Während die Ambitionen des Koalitionspartners Hubert Aiwanger gen Berlin für Söder vor allem eine weiteres Ärgernis sind, ist der Kreis potenzieller Wähler laut der Umfrage mittlerweile fast genauso groß wie der der CSU. Allerdings wurden die Wähler gefragt, bevor sich das gegenseitige Impf-Vorwurfskarussell zwischen Söder und Aiwanger zu drehen begann.

Als vor vier Jahren 37 Prozent der Wähler in Bayern ihr Kreuzchen schon vorab per Briefwahl machten, war der Freistaat damit deutscher Meister. Nun bahnt sich der nächste Rekord an: In der Umfrage gaben sogar 66 Prozent an, per Briefwahl zu wählen. Umgekehrt heißt das aber auch: ein Drittel der Wähler sind Spätentschlossene. Sie entscheiden erst kurz vorher, ob sie hingehen und wen sie wählen.

Für Jung ist klar: "Die Schlussmobilisierung darf nicht aus dem Augen verloren werden." Speedy Gonzales statt Schlafwagen also. Es gibt ja schließlich Boden wieder gutzumachen. Gut für die Christsozialen, dass es noch diejenigen gibt, die definitiv die CSU wählen - wenn sie denn wählen. "Temporäre Stammwähler", nennt Jung diese: "Auch die müssen aktiviert werden."

Ein weiterer Wermutstropfen: So sehr die bayerische Wählerschaft auch aufgemischt wurde - allzu experimentell ist sie nicht geworden. Laut der Umfrage wünschen sich die allermeisten eine schwarz-grüne Zweierkoalition. Die Klima-Revoluzzer unter Aufsicht der Altgedienten. Oder, um es mit Jungs Worten zu sagen: "So ganz anders gehen die Uhren in Bayern dann doch nicht".

© SZ vom 05.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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