Entfremdet sich die CSU von ihrem christlichen Fundament? Diese Frage stellen sich Vertreter der Kirche, die sich an einem Punkt im CSU-Programm für die Bundestagswahl stören. Die Kritik entzündet sich an zwei Sätzen im sechsten Kapitel des Programms: "Wir wollen generell vier verkaufsoffene Sonntage je Jahr ermöglichen. Sie sollen künftig nicht mehr von Märkten, Messen und Veranstaltungen abhängig sein", heißt es dort.
Mit dieser Lockerung will die CSU den lokalen Handel stärken. Große Online-Plattformen dürften nicht zur "Verödung unserer Innenstädte führen", steht im Wahlprogramm. Weil dafür aber die grundsätzlich arbeitsfreien Sonntage herhalten sollen, sieht die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Bayern christliches Kulturgut bedroht. Dem Deutschen Gewerkschaftsbund Bayern (DGB) missfallen die Pläne der CSU aus anderen Gründen. Erstens verstoße das Vorhaben gegen die im Grundgesetz verankerte Sonntagsruhe. Zweitens bedeute die "Aushöhlung des Sonntagsschutzes" noch mehr Belastung für die sowieso schon durch die Pandemie geplagten Beschäftigten im Handel. "Wann, wenn nicht am Sonntag, sollen sie die dringend benötigten Erholungspausen erhalten und Zeit mit ihren Familien verbringen?", fragt sich Verena Di Pasquale, kommissarische Vorsitzende des DGB Bayern.
Newsletter abonnieren:Mei Bayern-Newsletter
Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.
Dem Handelsverband Bayern hingegen gefällt die Idee. "Wir freuen uns darüber - das würde den Kommunen und dem Handel Rechtssicherheit geben", sagt ein Sprecher. Es gehe nicht darum, mehr verkaufsoffene Sonntage durchzuführen, sondern "die unsäglichen Anlassvoraussetzungen dafür zu streichen". Die Kommunen seien verunsichert, da die Genehmigung wie ein "Damoklesschwert über den Köpfen schwebt". Insbesondere zur Kompensation der Umsatzausfälle durch Corona sei diese Regelung notwendig. Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetages, sieht das ähnlich. Die Gemeinden könnten bereits jetzt vier verkaufsoffene Sonntage anordnen, jedoch nur in Verbindung mit Märkten. Das Problem sei dabei, dass der jeweilige Markt "prägend" sein muss. Die Gewerkschaften klagen ihm zufolge konsequent und meistens mit Erfolg. "Die CSU-Forderung würde mehr Flexibilität schaffen, aber dennoch nicht über die vier Tage hinausgehen", sagt Brandl.
Auch der CSU-Arbeitnehmerflügel CSA zeigt sich eher skeptisch. "Die Idee der anlasslosen Sonntagsöffnung gehörte nicht zu den Forderungen der CSA", sagt der Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich. Es sei zwar richtig, die Innenstädte zu beleben und wirtschaftliche Perspektiven aufzuzeigen, aber der Sonntagsschutz dürfe nicht aufgeweicht werden. "Jede Sonntagsöffnung sollte sehr gut überlegt und abgewogen werden", sagt Ullrich. Gerade für die Arbeitnehmer im Einzelhandel sei die Sonn- und Feiertagsruhe ein hohes Gut.
Angesichts solcher Reaktionen sieht sich ein CSU-Parteisprecher zum Glaubensbekenntnis genötigt. "Wir stehen fest an der Seite der Kirchen", sagt er auf Nachfrage. Das Versprechen im Wahlprogramm sei gedacht als "Unterstützung für Branchen, die aufgrund der Pandemie besonders schwere Zeiten durchmachen". Tatsächlich wirbt die CSU im Programm auffällig um jene, denen Parteichef Markus Söder mit seinem strengen Corona-Kurs einiges zugemutet hat - etwa in Gastronomie oder Handel, wo die CSU einen Teil ihrer Stammwähler verortet. Beim Versuch, diese zu streicheln, hat die Partei womöglich unterschätzt, dass sich andere CSU-Stammwähler, eben die besonders christlichen, vor den Kopf gestoßen fühlen könnten. Ein generelles Umdenken bei den Öffnungszeiten bahnt sich nicht an, versichert der Parteisprecher: "Mit uns wird es keine generelle Freigabe des Sonntags für Ladenöffnungen geben." Das Wahlversprechen sei "eine "kleine Anpassung" und "nicht das Ende der Sonntagsruhe".