Umstrittene Razzia:Nur ein falscher Satz?

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Im Auftrag bayerischer Behörden kam es am 24. Mai im Freistaat sowie in sechs weiteren Bundesländern - im Bild eine Aktion in Berlin - zu Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der "Letzten Generation". (Foto: Christoph Soeder/dpa)

Die "Letzte Generation" eine "kriminelle Vereinigung"? So las sich ein Warnhinweis bayerischer Behörden, entgegen der Unschuldsvermutung. Im Landtag soll Justizminister Eisenreich aufklären, wie es dazu kam - und welche Rolle er selbst dabei spielte.

Von Maximilian Gerl

Die vielleicht wichtigsten Sätze dieser Sitzung spricht Georg Eisenreich gegen 9.40 Uhr. Zuvor hat Bayerns Justizminister am Donnerstag im Innenausschuss des Landtags ein bisschen ausgeholt, um den 24. Mai rekapitulieren zu lassen. An jenem Tag hatte die Polizei bundesweit Hausdurchsuchungen bei Angehörigen der "Letzten Generation" durchgeführt, im Auftrag bayerischer Behörden. Neben Konten und Unterlagen wurde die Website der Klimaaktivisten beschlagnahmt - und mit einem Warnhinweis vor einer "kriminellen Vereinigung" versehen. Diese Formulierung, gibt Eisenreich nun zu verstehen, sei so nicht korrekt gewesen. Die Behörden ermittelten nur wegen eines Anfangsverdachts, "selbstverständlich" gelte die Unschuldsvermutung. Und: Die Kritik sei "berechtigt" gewesen.

War's das also? Die Razzia mit 170 Polizistinnen und Polizisten bei der so präsenten wie umstrittenen "Letzten Generation", die unter anderem mit Straßenblockaden von sich reden macht, eine Art Justizirrtum? Die Ermittlungen laufen jedenfalls weiter, die beschlagnahmten Daten werden derzeit ausgewertet, nach Hinweisen, die den Anfangsverdacht auf "Bildung" sowie "Unterstützung einer kriminellen Vereinigung" stützen könnten. Auch Klagen gegen die Durchsuchungen sind noch anhängig. Aber zumindest die Fragezeichen rundherum sind nach diesem Donnerstag ein bisschen kleiner.

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So auch die Frage, wer für den besagten Warnhinweis verantwortlich ist. "Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar!", stand nach der Beschlagnahmung der Homepage dort zu lesen, versehen mit den Logos von Bayerischem Landeskriminalamt und Generalstaatsanwaltschaft München. Und, "Achtung": Spenden an diese Organisation stellten "ein strafbares Unterstützen" dar.

Das klang so, als sei die "Letzte Generation" strafrechtlich bereits verurteilt. Entsprechend groß war der öffentliche Aufschrei: Bayerns Behörden betrieben Vorverurteilung, hieß es. Oder dass die Razzia politisch motiviert gewesen sei, auf Anweisung des CSU-geführten Justizministeriums. Dass der irreführende Hinweis bald durch einen neutraleren ersetzt wurde, half nicht. "Wir brauchen Klarheit darüber, wie es in einem so groß angelegten Ermittlungsverfahren zu diesem eklatanten Verstoß gegen die Unschuldsvermutung kommen konnte", teilte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze vor der Ausschusssitzung mit. Das Vertrauen der Menschen in die Rechtsstaatlichkeit dürfe "nicht verspielt" werden.

Eine Einmischung des Ministers? "Da sind wir recht schnell im Bereich der Verschwörungstheorien"

Am Donnerstag stellt Eisenreich klar: Natürlich sei sein Ministerium von den Ermittlungen mehrmals unterrichtet worden, wie das bei wichtigen Ermittlungen üblich sei. In die will sich Eisenreich aber nicht eingemischt haben. "Da sind wir recht schnell im Bereich der Verschwörungstheorien", sagt er. In den viereinhalb Jahren seiner Amtszeit habe er keine einzige Weisung an eine Staatsanwaltschaft erteilt - und "wenn ich eine erteilen würde, dann würde ich das öffentlich machen". Später vor der Presse wird sich Eisenreich über seine Rolle nur schmallippig äußern: "Mich nervt diese Debatte."

Für den irreführenden Warnhinweis soll die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) verantwortlich gewesen sein. Sie ist bei der Generalstaatsanwaltschaft München angesiedelt und leitet im Fall der "Letzten Generation" die Ermittlungen gegen sieben Personen. An ihrem Namen dürfe man sich aber "nicht politisch aufhängen", findet Eisenreich, die Aufgaben der ZET seien in den letzten Jahren "ausgeweitet" worden. Über die Beschlagnahmung der Website und den Wortlaut des Warnhinweises sei das Ministerium nicht vorab informiert gewesen. Um ähnliche Fehler künftig zu vermeiden, wolle man allen Staatsanwaltschaften ein "Musterschreiben" zur Verfügung stellen.

Gegen Mitglieder der "Letzten Generation" liegen inzwischen 13 Strafanzeigen vor

Folgt man Eisenreichs Ausführungen und denen des ebenfalls geladenen Innenstaatssekretärs Sandro Kirchner (CSU), ging den Ermittlungen die Anzeige eines Rechtsanwalts voraus. Mittlerweile sollen sogar 13 Strafanzeigen gegen Angehörige der "Letzten Generation" vorliegen. Diesen müssten die Behörden nachgehen, so sehe es die Strafprozessordnung vor. Zu einem anderen Vorwurf, die Polizei habe die Wohnungen der Aktivisten mit gezogenen Schusswaffen gestürmt, sagt Kirchner: Das sei zumindest bei den durchsuchten Objekten in Bayern "nicht der Fall" gewesen. Auch sei dabei in Bayern niemand in Gewahrsam genommen worden.

Die Antworten reichen den Ausschussmitgliedern mal mehr, mal weniger. Weitgehend einig sind sich Vertreter von Regierungs- wie Oppositionsfraktionen darin, dass die Ausführungen hilfreich seien - weil sie zeigten, wie komplex sich der Tatbestand der kriminellen Vereinigung gestalte. Während CSU-Mann Holger Dremel den irreführenden Warnhinweis aber als "Fauxpas" wertet, erbittet vor allem der SPD-Abgeordnete Horst Arnold weitere Auskunft: zum Beispiel, wie die Durchsuchungsbeschlüsse zustande kamen. Seien diese zuvor von anderen Richtern abgelehnt worden, bis endlich einer sie unterzeichnet habe? Doch darüber können Eisenreich und Kirchner "mangels Informationen" genauso wenig Auskunft geben wie über die Mitgliederstruktur und Finanzströme der "Letzten Generation".

Und auch die zentrale Frage bleibt vorerst ungeklärt: Inwiefern die Klimaschützer die Merkmale einer kriminellen Vereinigung erfüllen und "eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit" darstellen. Dabei könnte - zumindest nach Einschätzung der Ermittler - ein angeblicher Sabotageakt auf die Transalpine Ölleitung noch eine wichtige Rolle spielen. Zwei Vertreter der "Letzten Generation" sollen im April 2022 versucht haben, die Pipeline, die große Teile Bayerns mit Rohöl versorgt, zu stören. All das aber, sagt Eisenreich, sei am Ende keine politische Frage, sondern eine Rechtsfrage: "Entschieden wird von unabhängigen Richterinnen und Richtern."

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