Kinderbetreuung:Sorge vor einem "Zweiklassensystem"

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Schon jetzt fehlen in Bayerns Kindertagesstätten tausende Erzieherinnen. Das Problem wird sich weiter verschärfen. (Foto: Catherina Hess)

Die von Ministerin Ulrike Scharf vorgestellten Pläne gegen den Personalmangel haben bei den Kitaträgern Enttäuschung ausgelöst. Sie wünschen sich eine Fachkräfteoffensive.

Von Anna Günther, München

Den großen Wurf gegen den Fachkräftemangel an Kitas hatte Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) Ende August angekündigt. Von "bahnbrechenden Chancen für die Kinderbetreuung" war die Rede und von "außergewöhnlichen Gestaltungsmöglichkeiten". Sie warb für die Umsetzung der Experimentierklausel, die längst im Gesetz steht. Bei vielen Kita-Verantwortlichen, Trägern und Erzieherinnen kamen vor allem die Stichworte "größere Gruppen" und "schlechtere Qualität" an. Die Aufregung war groß. Aber wer sich nach fast vier Wochen umhört, vernimmt große Gelassenheit und die Aussage: viel Lärm um Nichts. Die Sorgen waren unbegründet.

Was ist geschehen? Die Probleme sollen gelöst sein, "aber das ist mitnichten so", sagt etwa Dirk Rumpff, Vorstand des evangelischen Kitaverbandes in Bayern. Zwar bleibe die Qualität in den Kitas erhalten, aber eine Lösung für den Fachkräftemangel habe die Ministerin nicht präsentiert. Man sei keinen Schritt weiter.

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Träger von Kindertagesstätten können bei der bis 2024 befristeten Experimentierklausel auch "Patengruppen" einrichten, in denen nicht der übliche Fachkräfteschlüssel von mindestens einem Erzieher oder Kinderpfleger auf elf Kinder gilt. Dort können geringer qualifizierte Betreuer arbeiten, die nicht das übliche Sprachniveau erfüllen. Mini-Kitas, also der Zusammenschluss von speziell fortgebildeten Tagesmüttern, dürfen Gruppen vergrößern. Aber in den Kitas selbst gelten die üblichen Maßstäbe. "Die Experimentierklausel betrifft also 99,5 Prozent der Kitas nicht", sagt Rumpff.

Der Bedarf an Betreuung steigt

Er vermutet einen Balanceakt des Ministeriums zwischen Qualitätserhalt an Kitas und der Möglichkeit für Kommunen, der Klagewelle auszuweichen, weil sie die nötigen Plätze nicht schaffen können. Gut gemeint, also. Dass die Experimentierklausel eine Reaktion auf den Brandbrief der Kommunen im Sommer war, ist unbestritten. Die kommunalen Spitzenverbände hatten einen dramatischen Fachkräftemangel in Bayern beklagt und erklärt, dass der von 2026 an geltende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung der Grundschüler nicht machbar sei. Andere Konzepte sollten wohl Luft verschaffen. Schon drei Stunden gelten nun als Rechtsanspruch-erfüllend. So sollen zusätzliche Kinder ohne zusätzliches Fachpersonal unterkommen. 620 000 Mädchen und Buben werden im Freistaat gerade in Kitas und von Tagesmüttern betreut. Der Bedarf steigt konstant.

Ein Problem lag wohl in der Kommunikation: Das ministerielle Schreiben ließ bei Trägern und Erzieherinnen Fragen offen. Und Ministerin Scharf kündigte bei einer Pressekonferenz an, dass in neuen "Einstiegsgruppen auch die Oma betreuen kann oder jemand, der den Job gerne macht". Der Aufschrei war groß, ihr Haus ruderte zurück. Natürlich nur mit spezieller Fortbildung, hieß es. Und nicht irgendwer. Alles ein großes Missverständnis?

Rumpff steht mit seinem Fazit nicht allein: Die Kolleginnen von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) und den katholischen Kindertagesstätten in Bayern teilen Erleichterung wie Kritik und die Sorge vor einem "Zweiklassensystem". Das niedrigere Niveau dürfe sich nicht auf die Kitas übertragen, sagt etwa Awo-Landesvorsitzende Nicole Schley. Drei Stunden Betreuung als Rechtsanspruch-erfüllend zu sehen, findet sie "extrem", sieht eine Tendenz zur "Aufbewahrung" statt der Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsplanes. "Und welche Eltern können mit drei Stunden Kita schon arbeiten gehen?"

Es wären "absolut umfangreiche Maßnahmen nötig"

Bisher setze keine der 481 Awo-Kitas die Klausel ein, sagt Schley. "Die wird kaum eine Wirkung entfalten, um Personal zu gewinnen oder zu entlasten." Ulrike Scharf hätte besser eine Fachkräfteoffensive lostreten sollen. Rumpff, Schley und Alexa Glawogger-Feucht, Geschäftsführerin des katholischen Kitaverbandes in Bayern, haben dafür einige Vorschläge: schnelleres Anerkennen ausländischer Pädagogen, schnellere Fortbildung, Öffnung für pädagogische Quereinsteiger, Numerus Clausus für den Studiengang "Soziale Arbeit" abschaffen, mehr Studienplätze für Kindheitspädagogik, mehr Ausbildungsplätze an Fachakademien. Die Nachfrage ist da, die Zahl der angehenden Kinderpflegerinnen und Erzieherinnen steigt. Aber das reiche nicht. 2026, wenn der Rechtsanspruch gilt, gehen viele Erzieherinnen in Rente, sagt Glawogger-Feucht. Es wären also "absolut umfangreiche Maßnahmen nötig". Ein Fort- und Weiterbildungskonzept hat das Sozialministerium angegangen. "Aber dafür müssen erst die Referenten zertifiziert werden."

Rückenwind bekommen die Trägerverbände von Professorinnen und Professoren der kindheitspädagogischen Studiengänge in Bayern: Sie warnen vor einer zu starken "Öffnung nach unten". Unqualifiziertes Personal, das erst von Fachkräften eingearbeitet werden muss, entlaste nicht und trage nicht zum Ansehen, nicht zur "Attraktivität des Berufs bei". Stattdessen müssten Karrierewege in Kitas geschaffen und die Rahmenbedingungen verbessert werden. Ein Viertel des Personals verlasse Kitas in den ersten fünf Jahren, "vermutlich, weil es frustriert ist und den eigenen Ansprüchen nicht genügen kann", heißt es.

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