Datenschutz:Digitalunterricht in Gefahr

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Zu Hause anstatt in der Schule zu lernen, ist für die Kinder und Jugendlichen alles andere als ein Spaß. Umso wichtiger ist, dass der digitale Unterricht nicht an den technischen Voraussetzungen scheitert. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Lizenzen für das Programm Microsoft Teams laufen Ende des Jahres aus. Schulen befürchten, dass danach Home-Schooling so gut wie unmöglich wird.

Schulen sollen als Letzte schließen und als Erste nach einem Lockdown wieder öffnen. Das haben Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Kultusminister Piazolo (FW) gerade erst betont, maximale Flexibilität sowie Kreativität von den Schulen verlangt - und vor den Wintermonaten gewarnt. Wenn die deutlich steigenden Infektionszahlen nicht rasch sinken, was ohne drastische Einschnitte nicht zu erwarten ist, könnte in weiten Teilen Bayerns wieder Distanzunterricht angesagt sein, komplett wie derzeit im Berchtesgadener Land und Rottal-Inn oder im Wechsel mit Schulstunden. Ohne funktionierende Software wird das aber schwierig: Sollte die Staatsregierung keine datenschutzkonforme Lösung finden, um das Office-Paket von Microsoft samt Konferenz- und Chattool Teams weiter in den Schulen laufen zu lassen, ist an Distanzunterricht in den Wintermonaten kaum zu denken.

Die Lizenz des Kultusministeriums, die seit Mitte Mai 716 Schulen abgeschlossen haben, läuft am 31. Oktober offiziell aus. Das Ministerium hat den Vertrag um einen Monat verlängert, aber spätestens Ende Dezember soll Schluss sein. Auch für alle Schulen, die lange vor dem Ministeriums-Paket ihre Lizenzen erworben haben. Das dürften weitaus mehr sein als diese 716.

Das Problem ist der Datenschutz: Der Europäische Gerichtshof hatte Mitte Juli das Datenschutzschild zwischen der EU und den USA für ungültig erklärt und angeordnet, zu überprüfen, ob Microsoft mit seinen Standardvertragsklauseln einen Datenschutz auf EU-Niveau bieten kann. Eine Lösung ist offenbar noch nicht in Sicht. Zuletzt hatten die Datenschutzbeauftragten von Bayern, Baden-Württemberg, Saarland und Hessen erklärt, dass kein "datenschutzkonformer Einsatz von Office 365 möglich ist". Aber die Entscheidung der Datenschutzkonferenz fiel knapp aus mit neun zu acht Stimmen gegen die Software. In der "datensparsamen" Lizenz des Ministeriums werden Daten in der EU gespeichert, aber Microsoft ist eine amerikanische Firma. Sollte die US-Regierung sich für Daten bayerischer Schüler interessieren, hätte sie wohl Zugriff.

Ein Nutzungsverbot wäre für Pankraz Männlein äußerst schwierig: "Dann ist der gesamte Input, alle Ideen weg, alles geht den Bach runter." Der Direktor der Berufsschule III in Bamberg neigt nicht zur Dramatik, aber jetzt wirkt er verzweifelt. "Wir brauchen Teams als Software, um das virtuelle Klassenzimmer umzusetzen", sagt Männlein, der auch Chef des Lehrerverbands beruflicher Schulen ist. Es gebe derzeit kein Programm, das mit dem Office-Paket samt Teams und Cloud mithalten könne. Neben dem Distanzunterricht sieht Männlein Probleme für die Azubis: An seiner Schule lernen unter anderem Bürokaufleute, Banker und Steuerfachangestellte. "Die beruflichen Schulen arbeiten grundsätzlich mit dem Office-Paket, weil die Schüler von der IHK darüber geprüft werden." Die meisten Firmen nutzen das Office-Paket und erwarten, dass Mitarbeiter damit umgehen können. "Wir können doch nicht an dieser Realität vorbei, damit würden wir uns von der Aufgabe als Partner in der dualen Ausbildung verabschieden." Gewohnheitsrecht der Wirtschaft vor Datenschutz? Nein, sagt Männlein, "aber wir brauchen eine Balance, sonst können wir in Corona-Zeiten keine zeitgemäße Ausbildung leisten". Man müsse aufhören, die Dinge sicherer zu machen, als sie in je Klassenzimmern waren.

Die Staatsregierung will das Schulnetzwerk Mebis ertüchtigen, Söder kündigte mit dem "Digitalturbo" im Sommer auch ein Äquivalent zu Youtube an, eine eigene Schul-Cloud und eine "datenschutzkonforme Videokonferenzlösung". Aber das alles dauert. Mebis allein könne mit der Vielseitigkeit des Microsoft-Pakets samt Teams nicht mithalten, sagen viele Lehrer. Für die Herbstferien kündigte Söder eine "Schulrunde" an, etwa um abzufragen, ob Tablets angeschafft sind. "Nach den Ferien muss es eine einheitliche Linie geben." Ob alle Schulen dann schon bereit sind für effizientes digitales Unterrichten, ist aber fraglich.

Der Opposition geht die Geduld aus: Matthias Fischbach (FDP) nennt den Turbo "eine schlecht vorbereitete Luftnummer", die Schulen im "Corona-Winter" nicht entlasten kann. Belege sieht er in Antworten des Ministeriums auf seine Anfragen. Für die 430 Millionen Euro teure Bayern-Cloud-Schule läuft erst die "Anforderungsanalyse", koordiniert wird das Projekt von einem sehr IT-affinen Gymnasiallehrer, nicht wie Fischbach kritisiert von einem Projektmanager. In seinem Wahlkreis fehlen Leihgeräte für bedürftige Schüler, überhaupt seien Geräte für 7,7 Prozent der Schüler zu wenig. Maximilian Deisenhofer (Grüne) fordert die Regierung per Dringlichkeitsantrag auf, "unverzüglich eine tragfähige und datenschutzkonforme Lösung" als Nachfolge für MS Teams "präsentieren". Der Antrag wird am Donnerstag im Bildungsausschuss diskutiert.

Offiziell teilt das Ministerium mit, dass die "Arbeiten an der Bereitstellung einer zentral angebotenen Kommunikations- und Kollaborationsplattform" noch andauern. Im Hintergrund aber scheint sich ein Kompromiss anzudeuten, der Schulen mit eigener, alter Lizenz hoffen lässt.

Entwarnung ist das freilich nicht, zumal es eine Lösung für alle 6000 Schulen geben muss.

© SZ vom 29.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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