Energiekrise:Wenn sich die Stromrechnung im Rathaus vervierfacht

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Die Straßenbeleuchtung ist ein Bereich, für den die Kommunen Strom brauchen. Das könnte für viele nun teuer werden. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Mit einer gemeinsamen Ausschreibung wollten Hunderte kleine Kommunen in Bayern möglichst günstige Strompreise erzielen. Das ist gründlich schief gegangen. Mancherorts fehlt nun das Geld für Spielplätze.

Von Andreas Glas und Christian Sebald, Sielenbach

Natürlich war Bürgermeister Heinz Geiling klar, dass die Energiekrise auch sein Sielenbach treffen wird. Was den Strom anbelangt, den die schwäbische Gemeinde im Landkreis Aichach-Friedberg für die Straßenbeleuchtung, die Reinigung des Abwassers, die Verwaltung, den Bauhof und dergleichen mehr braucht, wähnten er und sein Gemeinderat sich allerdings auf der einigermaßen sicheren Seite. Schließlich hatten sie schon im Frühjahr 2021 - also lange vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der Explosion der Energiepreise - an einer sogenannten Strombündelausschreibung für die Jahre 2023 bis 2025 teilgenommen, die der Bayerische Gemeindetag und ein Dienstleister angeboten hatten. Deshalb war Geiling überzeugt, dass es so schlimm nicht kommen wird. Die Ausschreibung sollte ja längst gelaufen sein.

Doch die Ausschreibung war nicht gelaufen. Der Gemeindetag und der Dienstleister haben den Strom für Sielenbach erst im Spätsommer 2022 eingekauft. "Genau zu dem Zeitpunkt, als der Preis am höchsten war", sagt Geiling. "Das Ergebnis ist brutal." 189 000 Euro wird der 1800-Einwohner-Ort 2023 für den Strom bezahlen müssen, den er verbraucht. 2021 waren es für die gleiche Menge noch 46 000 Euro. "Mehr als eine Vervierfachung, damit haben wir niemals gerechnet", sagt Geiling. "Wir wollten eigentlich den einen oder anderen Spielplatz herrichten. Das werden wir nun aufschieben müssen."

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So wie in Sielenbach herrscht in diesen Tagen vielerorts in Bayern eine Riesenernüchterung. Denn an den Strombündelausschreibungen des Gemeindetags, die in dreijährigem Turnus stattfinden, nehmen sehr viele, vor allem kleine und mittlere Gemeinden teil. Ihr Kalkül: Je größer die Strommenge, die da für die folgenden drei Jahre eingekauft werden soll, desto günstiger ist am Ende der Preis. Außerdem sparen sie sich jede Menge Bürokratie, wenn sie die Strombeschaffung an den Dienstleister übertragen. Deshalb tun sich die Gemeinden in großer Zahl zu den Bündelausschreibungen zusammen.

Wie viele Kommunen genau vom extrem schlechten Ergebnis der aktuellen Ausschreibung betroffen sind, ist indes unklar. Eine exakte Zahl nennt der Gemeindetag nicht, die Rede ist dort von knapp 1500 "Körperschaften", wozu neben Gemeinden auch Verwaltungsgemeinschaften oder Zweckverbände gehören können. Um die Dimensionen fassbarer zu machen: 1500 Gemeinden, das entspräche drei Viertel aller Gemeinden im Freistaat. Entsprechend immens dürfte die Kostensteigerung insgesamt ausfallen. Die Rede ist von einem dreistelligen Millionenbetrag.

Der Strom wurde zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt eingekauft

Kritiker wie der Sielenbacher Bürgermeister Geiling werfen dem Gemeindetag und seinem Dienstleister vor, die Ausschreibung verschleppt zu haben und den Strom dann - in einer Art Torschlusspanik - zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt und teuersten Preis eingekauft zu haben. Tatsächlich hat der Preis für die Kilowattstunde Strom an der Leipziger Strombörse im August 2022 mit durchschnittlich 45,5 Cent seinen diesjährigen Höchststand erreicht. Just zu dieser Zeit fand die Ausschreibung statt.

Der Abschluss wurde entsprechend teuer: Brutto, also mit Steuern und Abgaben, müssen die Kommunen über die dreijährige Laufzeit des Vertrags hinweg ungefähr 69 Cent je Kilowattstunde Strom bezahlen, heißt es in einem Schreiben, in dem der Gemeindetag über den Abschluss informiert. Und weiter: "Gegenüber 2020 führen diese Ergebnisse circa zu einer Verdreifachung der Bruttopreise, für 2023, bei unterschiedlichen Preisen für die Lieferjahre zu einer Vervierfachung."

"Der Gemeindetag und der Dienstleister hätten uns zumindest über die dramatische Entwicklung informieren und die Option einräumen müssen, von der Ausschreibung zurückzutreten", sagt Bürgermeister Geiling. "Stattdessen hat er mehr als ein Jahr verstreichen lassen und uns dann vor vollendete Tatsachen gestellt." Geiling ist auch deshalb so verärgert, weil es durchaus Kommunen gibt, die die Explosion der Strompreise sehr viel besser bewältigt haben. Altenstadt im Landkreis Weilheim-Schongau etwa bezieht den Strom für seine Einrichtungen im kommenden Jahr zu einem Bruttopreis von knapp 45 Cent je Kilowattstunde. So kann man es in der Lokalzeitung nachlesen. Das ist zwar mehr als doppelt so viel wie der aktuelle Preis, aber 24 Cent weniger als Sielenbach bezahlen muss. Der Unterschied zwischen den beiden Gemeinden: Altenstadt hat nicht an der Bündelausschreibung teilgenommen. Sondern sich seinen Strom selbst besorgt.

Beim Gemeindetag hofft man, dass die Strompreisbremse auch für Kommunen gilt

Beim Gemeindetag kann man die Aufregung nicht verstehen. Dort geht man fest davon aus, dass die im Bundestag beschlossene Strompreisbremse auch für Kommunen gilt. Für 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs würde dann der Staat die Kosten übernehmen, die bei mehr als 40 Cent pro Kilowattstunde liegen. Damit sei "der Zündstoff, den wir am Anfang auch gesehen haben, deutlich draußen", findet Stefan Graf, Energiereferent beim Gemeindetag. Dass es letztlich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sind, die die Kosten der Gemeinden über die Strompreisbremse kompensieren, scheint für den Gemeindetag kein großes Thema zu sein.

Als die Strompreise im Spätsommer nach unten gingen, habe man "sofort zugeschlagen", sagt Graf. "Im Nachhinein", räumt er ein, hätte der Gemeindetag die Bestellung besser "noch vier Wochen hinausgezögert". Doch habe ja niemand wissen können, ob der Strompreis noch höher klettert. Man habe keine "Glaskugel" gehabt. Man sei "getrieben" gewesen: so viele Gemeinden, deren Altverträge zum 1. Januar 2023 auslaufen. "Ein hoher Druck", sagt Graf, "da hätten wir nicht sagen können: Schauen wir mal, wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt und dann schreiben wir im Februar nächsten Jahres nochmal aus."

Warum man nicht früher bestellt hat, bevor die Preise explodierten? Eine Beschaffung für 1500 Körperschaften sei aufwendig, das dauere, sagt Graf. Und irgendwann "muss jemand den Zuschlag erteilen. Da kann man nicht in ein paar Stunden alle Kommunen fragen, ob sie mit dem Preis einverstanden sind".

Den Sielenbacher Bürgermeister Geiling überzeugt das nicht. Er und sein Gemeinderat haben entschieden, die Bündelausschreibung von einem Fachanwalt überprüfen zu lassen. "Man darf so etwas einfach nicht unwidersprochen hinnehmen", sagt Geiling. "Und der Gemeindetag sollte Mechanismen entwickeln, damit solche bösen Entwicklungen in Zukunft ausgeschlossen sind." Beim Gemeindetag wiederum sieht man die Europäische Union in der Pflicht, das Prinzip der Merit Order "zu hinterfragen". Den Strompreis bestimmt demnach das teuerste Kraftwerk, zuletzt waren das die Gaskraftwerke. Der hohe Gaspreis wirkt sich also direkt auf den Strompreis aus. Ein "strukturelles Problem", das gelöst gehöre, sagt Stefan Graf. "Sonst geht es uns bei der nächsten Krise wieder so."

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