Bildung in Bayern:Lehrer wollen zurück zum Schulbuch

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Lerngerät und Spielzeug zugleich: ein Schüler der 7. Klasse der Dominik-Brunner-Realschule mit einem Tablet. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Gymnasiallehrern geht die Digitalisierung an Schulen zu schnell, das ergab eine Umfrage des Philologenverbands. Verbandschef Schwägerl warnt vor einer Rolle rückwärts wie zuletzt in Skandinavien. Das Kultusministerium versucht zu beruhigen.

Von Anna Günther, München

Vielen Lehrkräften an bayerischen Gymnasien und beruflichen Oberschulen geht die Digitalisierung zu schnell. Das ergab eine aktuelle Umfrage des bayerischen Philologenverbands (BPV) unter seinen Mitgliedern. Demnach wünschen sich 89 Prozent der 3500 beteiligten Lehrkräfte einen stärkeren Fokus auf analoges Lernen mit Heft oder Büchern und weniger digitale Endgeräte im Unterricht. "Wir wollen keine Rolle rückwärts in der Digitalisierung, aber wir wollen auch nicht, was in Schweden und Dänemark passiert ist", sagte der BPV-Vorsitzende Michael Schwägerl am Mittwoch in München.

Der sozialdemokratische Minister für Kinder und Bildung in Dänemark, Mattias Tesfaye, hatte sich im Dezember bei den dänischen Kindern entschuldigt, dass man sie zu "Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment" gemacht habe, "dessen Ausmaß und Folgen wir nicht überblicken können". Dort gibt es viele Grundschulen, an denen alle Geräte und niemand mehr Bücher benutzt. Das dänische Schulministerium hatte in der Folge zwölf "restriktive" Empfehlungen herausgegeben, unter anderem ein Handyverbot an Schulen und den Rat, Tablets und Computer wegzusperren, wenn sie nicht im Unterricht eingesetzt werden. Dänische Verhältnisse dürfe es in Bayern nicht geben, sagte Philologenchef Schwägerl. Die Staatsregierung müsse aus den "Fehlern anderer lernen".

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Der Blick nach Dänemark ist relevant, weil Bildungspolitiker aufgrund guter Pisa-Ergebnisse vor Jahren ständig schauen, was die Skandinavier machen. Der Zeitpunkt dafür ist interessant, weil Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) gerade erst verkündet hatte, dass bis 2028 alle Schüler und Schülerinnen der weiterführenden Schulen ein digitales Endgerät bekommen sollen. Pro Kind gibt die Staatsregierung 350 Euro Zuschuss, den Rest müssen die Eltern bezahlen. Für Grund- und Förderschulen sollen Geräte-Pools zum Ausleihen eingerichtet werden. Stolz hatte bei der Präsentation des Digitalpakets gesagt, dass es "Digitalisierung als Selbstzweck" in Bayern weiterhin nicht geben werde. Die Schüler stehen im Mittelpunkt.

Die Ministerin sieht in Künstlicher Intelligenz (KI) Chancen für die Schulen, um Kinder individuell zu fördern oder Lehrkräften die Arbeit zu erleichtern. KI könnte bei Klausuren die Vorkorrektur auf Rechtschreibfehler machen. Der Umgang mit KI soll stärker Thema im Unterricht werden und dort auch eingesetzt werden. Eine entsprechende Fortbildungsreihe für Lehrer sei geplant.

Die BPV-Umfrage war zum Zeitpunkt der Präsentation durch Stolz längst ausgewertet. Aber die Zweifel der Philologen sind nicht ausgeräumt: Aus Schwägerls Sicht geht es zu früh los und es gibt zu viele offene Fragen: Nicht in der fünften Klasse, sondern erst ab der Mittelstufe sollten Schüler digitale Endgeräte bekommen, damit sie sich in der Unterstufe "aufs Wesentliche konzentrieren". Offen sei, wer diese Geräte wartet und ob eines überhaupt reicht bis zur 13. Klasse. Der Würzburger Schulleiter Marco Korn macht mit seinem Gymnasium mit beim Schulversuch "KI @school" und plädierte für einheitliche, datenschutzkonforme Programme, etwa eine sichere Version von Chat-GPT - vom Ministerium für alle Schulen ausgewählt, genehmigt und finanziert.

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Während der Coronajahre erlebten die Schulen einen Digitalisierungsschub, aber die Frage, wie es weitergehen soll, beschäftigt die Lehrkräfte. Bayern müsse die "Rolle vorwärts gelingen, ohne nachzujustieren", sagte Schwägerl. Schulen seien weder Digitallabor noch ein Markt für Tech-Unternehmen. Dafür brauche es Konzepte für den Unterricht und Modellschulen, die Techniken und Methoden ausprobieren, bevor alle anderen sich damit auseinandersetzen. Auch hier wünschen sich die Philologen eine Bremse: Während Stolz schon begeistert von KI in den Schulen spricht, läuft der Modellversuch dazu noch.

Mehr als die Hälfte der 3500 Umfrageteilnehmer wünschten sich zudem strengere Regeln zur Handynutzung. Dabei hatte der frühere Kultusminister Michael Piazolo (FW) das strikte Verbot privater Handynutzung an Schulen erst 2022 gelockert. Jede Schule soll individuelle Regeln finden. Nun fordern BPV-Lehrkräfte die Rolle rückwärts. Die Regel zur Handynutzung mit dem Schulforum auszudiskutieren - also mit Schülern, Lehrern und Eltern - dauert und ist mühsam. Eine Anordnung von oben ist einfach und schnell. Die Augsburger Lehrerin Prisca Hagel und der Würzburger Schulleiter Marco Korn warben bei der Pressekonferenz klar für das Schulforum. An ihren Schulen gelten strenge Regeln, aber sie seien akzeptiert: Handys müssen ausgeschaltet sein zwischen Schulbeginn und Schulschluss, daddeln in der Pause ist nicht erlaubt. Die Strafen sind hart: Wer an Hagels Schule das Handy unerlaubt nutzt und erwischt wird, bekommt einen Verweis. Das Gerät liegt dann bis Schulschluss im Sekretariat.

Dass alle Jugendlichen an weiterführenden Schulen ein Arbeitsgerät bekommen, sei grundsätzlich positiv. Derzeit werde oft mit privaten Geräten gearbeitet. Die Versuchung sei groß, durch soziale Medien zu scrollen, zu shoppen oder zu chatten, sagte Hagel. Gerade in der Mittelstufe seien Schüler und Schülerinnen pubertätsbedingt sehr ablenkbar. Da werde im Unterricht Fußball geschaut oder das Tablet als Spiegel benutzt. "Wir können bei privaten Geräten nur begrenzt einschreiten", sagte die Lehrerin. Dieses Ablenkungspotenzial nannten 91 Prozent der Umfrageteilnehmer "alarmierend", etwa die Hälfte der Lehrkräfte setzt regelmäßig digitale Endgeräte im Unterricht der Mittelstufe ein. Hagel versucht nun, im Kampf um die Aufmerksamkeit der Kinder Überraschungsmomente und Pointen in ihre Stunden einzubauen.

Die Warnungen vor dem Ablenkungspotenzial der Geräte "müssen ernst genommen werden" heißt es dazu aus dem Kultusministerium. Man verweist auf den Pilotversuch "Digitale Schule der Zukunft", im Rahmen dessen Schulen seit 2022 das Lernen mit digitalen Geräten für jeden Schüler testen. Die positive Bilanz der Testschulen sei Basis für die Digitaloffensive. Erfahrungen und Tipps etwa zum Umgang mit Ablenkung im Unterricht könnten alle Schulen auf der Plattform Mebis nachlesen und auch selbst entscheiden, ob sie am Gymnasium in Unter- oder Mittelstufe mit der Eins-zu-eins-Ausstattung beginnen. Mittel-, Real- und Wirtschaftsschulen können in der fünften, sechsten, siebten oder achten Klasse beginnen. So soll Schülern noch Zeit bleiben, den Umgang zu üben.

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