Kommentar:Der lahme Landtag

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Immer öfter müssen Gerichte entscheiden, ob einzelne Corona-Beschränkungen rechtens sind. Ein Zeichen dafür, dass die parlamentarische Kontrolle in den vergangenen Wochen unzureichend war

Von Sebastian Beck

Wie geht das gleich wieder beim Friseur? Erst Finger desinfizieren, dann die eingeschweißte Eintrittskarte am Eingang nehmen, Haarewaschen, Schneiden, aber bitte immer schön mit Maske, Karte liegen lassen, zahlen, wieder desinfizieren. Das Leben ist plötzlich voll von solchen Regeln, die jedem Menschen vor ein paar Wochen noch bizarr vorgekommen wären.

Ausgedacht haben sich all das die Staatsregierung und Gesundheitsbehörden. Noch nie zuvor hat die Landespolitik so drastisch in die Freiheiten der Bevölkerung eingegriffen. Auflagen für Friseure oder Fitnessstudios sind noch Kleinigkeiten im Vergleich zu Schließungen von Schulen, dem Verbot von Veranstaltungen und anderen Eingriffen, die viele in den Ruin treiben. Der Lockdown war eine vergleichsweise einfache Angelegenheit, schließlich saßen fast alle daheim herum. Das Alltagsleben mit dem Virus ist dagegen kompliziert. Das zeigen die vielen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. Zuletzt wurden die Beschränkungen für Biergärten und das Kita-Verbot - allerdings nur in einem Fall - aufgehoben.

Gerichte haben inzwischen die Rolle als alleinige Kontrollinstanz der bayerischen Corona-Politik übernommen. Das kann man als Zeichen dafür sehen, dass der Rechtsstaat funktioniert - zum Glück, denn die parlamentarische Kontrolle war in den vergangenen Wochen unzureichend. Ministerpräsident Markus Söder hat sich selbst einen "Dreierrat Grundrechtsschutz" geschaffen, der in der Bayerischen Verfassung nirgends zu finden ist. Die Kontrolle der Exekutive obliegt dem Landtag. Der hält sich in den schlimmsten Wochen der Nachkriegszeit vornehm zurück. Es hätte dem Parlament gut zu Gesicht gestanden, wenn es der Forderung der Grünen nachgekommen wäre und eine Kommission zur Begleitung der Corona-Politik eingerichtet hätte. Schließlich gibt es in den nächsten Monaten noch viele weitreichende Entscheidungen zu treffen. Auch Fehler müssen systematisch aufgearbeitet werden. Eine entsprechende Initiative der Grünen scheiterte vergangene Woche aber im Verfassungsausschuss. Vor allem der Opposition bleibt daher nur der Weg über Presseerklärungen. Das ist erbärmlich.

© SZ vom 24.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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