Gesundheit:Die andere Pandemie

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Bund und Länder haben in der Pandemie stark in die Grundrechte der Bürger eingegriffen: Plötzlich mussten Geschäfte, Theater und Schulen schließen, wurden Spielplätze abgesperrt. Zeitweise durften die Menschen ihr Zuhause nur noch verlassen, wenn sie einen "triftigen Grund" hatten. Später waren Masken vorgeschrieben, wurden Tests zur Voraussetzung für viele Aktivitäten. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Den meisten Kindern und Jugendlichen in Bayern gehe es nach der Corona-Krise gut, betont Gesundheitsminister Klaus Holetschek. Doch Depressionen und Übergewicht nehmen in Folge von Lockdown und Schulschließung drastisch zu.

Von Thomas Balbierer, München

Bayern lässt die Pandemie zum Start in den Sommer hinter sich. Die Volksfestzelte beben, die ersten Ausflüge in überfüllten Neun-Euro-Bahnen stehen vor der Tür und beim Grillfest mit Freunden spricht man über alles, aber bitte nicht über dieses unsägliche Virus. Doch während das Thema zumindest bis zum Herbst aus dem Bewusstsein verschwindet, werden die Folgen von Pandemie und Pandemiepolitik in den Kinderzimmern gerade erst sichtbar. Gerade hat die Krankenkasse DAK berichtet, dass junge Menschen massiv unter den Einschränkungen in der Corona-Krise gelitten haben - und noch immer leiden. Vor allem Depressionen, Angst- und Essstörungen nahmen im vergangenen Jahr stark zu. Bei Schulkindern im Alter zwischen zehn und 14 Jahren gab es 2021 laut DAK 27 Prozent mehr stationäre Behandlungen aufgrund von Depressionen. Wie geht es da der bayerischen Jugend?

"Der Mehrzahl unserer Kinder und Jugendlichen in Bayern geht es nach wie vor gut", sagte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Donnerstag bei der Vorstellung des neuen Kindergesundheitsberichts. "Dennoch besteht kein Zweifel, dass die Pandemie für die Kinder und Jugendlichen auch erhebliche körperliche, psychische und soziale Folgen hatte, die sich teilweise erst noch zeigen werden."

Bayern war in der Corona-Pandemie das Bundesland, das das öffentliche Leben zunächst am stärksten einschränkte. Am 20. März 2020 erließ die Staatsregierung den bundesweit ersten Lockdown. Die eigene Wohnung durfte nur verlassen, wer einen "triftigen Grund" vorweisen konnte. Schon zuvor hatten alle Bundesländer die Schulen geschlossen. Das Leben der rund 2,2 Millionen Kinder und Jugendlichen verengte sich in diesem sowie in weiteren Lockdowns späterer Pandemiewellen auf das eigene Kinderzimmer. Während in Deutschland Hunderttausende schwer an dem Coronavirus erkrankten und vor allem Ältere und Risikopatienten daran starben, war die gesundheitliche Bedrohung für die Jüngsten gering: Laut dem Kindergesundheitsbericht sind bislang neun Minderjährige nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben.

Die Expertin rechnet mit einer "Welle an Adipositas"

Heute zeigt sich, wovor Jugendmediziner und Schulpsychologen früh gewarnt hatten: Dass die psychosozialen Nebenwirkungen durch den Shutdown von Kindergärten, Schulen, Sportvereinen und Schwimmbädern für die Jüngsten tiefergehende Folgen haben als das Virus. Der Bewegungsmangel habe sich seit 2020 erheblich verstärkt, sagte am Donnerstag die auf Kinder spezialisierte Sport- und Gesundheitswissenschaftlerin Renate Oberhoffer-Fritz von der Technischen Universität München. "Das hat man in diesem Maß nicht voraussehen können." Dabei sei Bewegung elementar für die psychische Gesundheit. Die Münchner Medizinerin Gabi Haus , stellvertretende Vorsitzende des Kinder- und Jugendärzteverbandes Bayern, sagte, dass vor allem Kinder psychisch kranker Eltern der Situation im Lockdown "völlig ausgeliefert" gewesen seien und sich ins Smartphone flüchteten. Kinder, die in einem stabilen sozialen Umfeld leben, hätten dagegen "keinen Schaden genommen", so Haus.

Die Corona-Zeit zieht auch körperliche Folgen nach sich. Oberhoffer-Fritz rechnet mit einer "Welle an Adipositas" in den kommenden Jahren und einer damit verbundenen Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Schweres Übergewicht tritt vor allem bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien auf.

"Die psychosoziale Gesundheit ist das Thema schlechtweg", sagte Gesundheitsminister Holetschek und räumte ein, dass Bayern bei der Versorgung von psychischen Krankheiten besser werden müsse. Betroffene warten zum Teil monatelang auf einen Therapieplatz beim Psychiater. "Wir genehmigen jeden neuen stationären Platz", sagte Holetschek, doch allein könne die Staatsregierung das Problem nicht lösen. Von der Bundesregierung forderte er die Einrichtung einer Kommission, die länderübergreifend Erkenntnisse über die Gesundheit der Jugend zusammentragen und Handlungsvorschläge erarbeiten soll.

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