Arbeitsmarkt:Stabil trotz Krise

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Der aktuelle Arbeitsmarktbericht für Bayern verzeichnet zwar nur einen geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Insgesamt aber häufen sich die Warnsignale. (Foto: Daniel Löb/dpa)

Die Arbeitslosigkeit in Bayern ist gestiegen - jedoch nicht so stark, wie man das für Krisenzeiten erwarten würde. Warum der Ausblick auf 2023 dennoch verhalten ist.

Von Maximilian Gerl

In Krisenzeiten werden von der Statistik Ausreißer und Ausschläge erwartet: eindeutige Markierungen turbulenter Zeiten. Dazu aber wollten die an diesem Dienstag verschickten Zahlen und Worte nicht recht passen. 236 895 Personen sind im Dezember bayernweit arbeitslos gewesen, meldete die Regionaldirektion Bayern der Agentur für Arbeit: Das entspreche zwar einem Plus von gut 2,1 Prozent im Vergleich zum November. Dennoch stagniere die Arbeitslosenquote bei 3,1 Prozent. Der bayerische Arbeits- und Ausbildungsmarkt habe sich "als robust erwiesen und steht gut da".

Dessen "hohe Widerstandskraft" lobte auch Arbeitsministerin Ulrike Scharf (CSU). Mit einem Jahresschnitt von ebenfalls 3,1 Prozent sei die Quote "die niedrigste im ganzen Bundesgebiet". Für Bertram Brossardt, Chef der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), ist der Arbeitsmarkt "weiterhin unser Leuchtturm". Selbst von Gewerkschaftsseite war vor allem Positives zu hören. "Bayern ist und bleibt stark - insbesondere dann, wenn Politik, Arbeitgeber und Gewerkschaften an einem Strang ziehen", sagte Bernhard Stiedl, Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB).

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Alles gut also? Oder eher besser als befürchtet? Geht man rein nach den Zahlen, scheint das vergangene Krisenjahr jedenfalls wenige Spuren am Arbeitsmarkt hinterlassen zu haben. Die Arbeitslosenquote liegt nur knapp über jener Marke, ab der Volkswirte von Vollbeschäftigung sprechen. Im Vergleich zum Dezember 2021 ist sie trotz Corona-Nachwehen und hoher Energiepreise nur um 0,2 Prozent gestiegen. Viele Firmen suchen weiter Mitarbeiter, allein 149 115 Stellen waren bei den Jobcentern offen. Und die Zahl der Beschäftigten im Freistaat erreichte zum Stichtag im Oktober 5,95 Millionen, gut 1,7 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Viele dieser Zahlen kommen jedoch mit einer Kehrseite daher. Etwa die der offenen Stellen. Deren Bestand hat sich im Vergleich zum Vorjahr um 6,4 Prozent erhöht. Offenbar ist der Fachkräftemangel inzwischen so stark, dass sich Unternehmen sogar in Krisenzeiten kaum Entlassungen leisten können. Als mahnendes Beispiel gilt die Gastronomie: Während der Corona-Einschränkungen stellten etliche Betriebe ihr altes Personal frei, nur um seitdem nach neuem zu suchen.

Auch bei Umschulung und Qualifizierung hakt es. Knapp die Hälfte der Arbeitslosen sind als Helferinnen und Helfer gemeldet, Firmen suchen aber mehrheitlich Fachkräfte. Und dann ist da noch der Krieg in der Ukraine. Die Regionaldirektion verweist darauf, dass der Anstieg der Arbeitslosenzahlen "vergleichsweise" klein ausgefallen sei, weil "immer mehr Ukrainerinnen und Ukrainer einen Integrationskurs besuchen", damit also nicht mehr als arbeitslos zählen. Offen bleibt, wie es für sie weitergeht, ja wie lange überhaupt dieser Krieg noch dauern wird.

Die größte Herausforderung am Arbeitsmarkt bleibt damit langfristig der Umgang mit dem Fachkräftemangel - und die Frage, inwiefern sich Menschen entweder im Ausland anwerben oder im Inland für neue Tätigkeiten qualifizieren lassen. Denn nicht nur der demographische Wandel, auch die Dekarbonisierung der Industrie sowie "die Digitalisierung und Transformation schreiten mit großen Schritten voran", warnte Ralf Holtzwart, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion. Um den damit verbundenen Problemen zu begegnen, müsse man "möglichst praxisnahe Lösungen schaffen". Bei den Jobcentern selbst dürften außerdem die Einführung des neuen Bürgergeldes und die Bearbeitung des Wohngelds für Arbeit sorgen.

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Wie groß die kurzfristigen Herausforderungen werden, ist dagegen schwerer zu prognostizieren. Generell melden sich Krisen auf dem Arbeitsmarkt gerne erst mit Verspätung. Hinzu kommt, dass die Arbeitslosenzahlen im Winter häufig steigen, weil in manchen Gewerken wie dem Bau nicht voll gearbeitet werden kann. Auch deshalb sind die Einschätzungen zum neuen Jahr verhaltener als die zum alten. Die VBW erwartet eine Rezession für Bayern, unter anderem bedingt durch die Inflation. Zudem werde in einigen Wirtschaftsbereichen Arbeitskräfteknappheit herrschen, in anderen Arbeitskräfteüberschuss. Der DGB Bayern rechnet ebenfalls mit einem zweigeteilten Arbeitsmarkt: mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf der einen Seite, weiter steigenden Arbeitslosenzahlen auf der anderen, "nicht zuletzt bedingt durch die Fluchtbewegungen aus der Ukraine".

Die Folgen des Kriegs, sagte Ministerin Scharf, werde man in Bayern in Form von "Materialengpässen, unterbrochenen Lieferketten und stark gestiegenen Energiekosten" deutlich spüren. Rückendeckung für ihren unlängst unternommenen Vorstoß zu flexibleren - und damit auch mal längeren Arbeitszeiten - erhielt Scharf am Dienstag von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). Diese Gesetzesänderung müsse "endlich angepackt werden" und entspreche auch den Vorstellungen, "die Arbeitnehmer und Unternehmen von einer modernen Arbeitswelt haben".

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