Politik in Bayern:Durchsuchungen nach AfD-Chatnachrichten

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Eine Leinwand auf dem Landesparteitag der AfD Bayern. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Nach der Enthüllung von Umsturzfantasien bayerischer AfD-Politiker in einem internen Chat beschlagnahmen Ermittler Datenträger in Kulmbach und im Kreis Miesbach. Führen die Äußerungen demnächst auch zur Beobachtung der gesamten Partei durch den Verfassungsschutz?

Von Johann Osel, München

Nach radikalen Äußerungen von Politikern der bayerischen AfD in einem internen Telegram-Chat haben Ermittler zwei Wohnungen in Kulmbach und im Landkreis Miesbach durchsucht. Dabei wurden bereits am Freitag Handys und Datenträger beschlagnahmt. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München bestätigte das am Dienstag. Vor drei Wochen waren Inhalte der Gruppe mit Hunderten Mitgliedern publik geworden, der SZ liegen die Chats aus vier Jahren vor - wenige Tage entsprechen oft Hunderten Druckseiten. Im Fokus stehen Sätze, die Umsturz und Bürgerkrieg heraufbeschwören, augenscheinlich dazu aufrufen oder über die "Systemfrage" schwadronieren. In der inzwischen gelöschten Gruppe war der Großteil der bayerischen Mitglieder des Landtags und Bundestags sowie des Landesvorstands hinzugefügt.

Anfang Dezember hatte die Generalstaatsanwaltschaft mitgeteilt, sie werde die Äußerungen prüfen - über die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET). Das sei aber nicht gleichbedeutend mit einem Ermittlungsverfahren. Die Schwelle ist nun genommen: Die Ermittlungen von ZET und Landeskriminalamt richten sich gegen zwei Beschuldigte wegen der mutmaßlichen öffentlichen Aufforderung zu Straftaten im Dezember 2020. "Ob sich der Verdacht erhärtet, kann frühestens nach Auswertung der sichergestellten Beweismittel beurteilt werden", hieß es. "Sodann kann auch beurteilt werden, ob sich gegebenenfalls weitere Personen strafbar gemacht haben."

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Bei der Durchsuchung in Miesbach handelt es sich offenbar um einen Mann, der inzwischen die AfD verlassen hat. Der damalige Kreisfunktionär wollte nicht mehr nur mit Wahlen gegen die "regierenden Verbrecher" kämpfen, sondern durch "die totale Revolution. Anzünden müsste man diese ganze Politik". In Kulmbach rückten die Ermittler bei Georg Hock an, Mitglied im Landesvorstand und Kreisrat. Er hatte Bürgerkriegsfantasien der Landtagsabgeordneten Anne Cyron "absolute Zustimmung" erteilt. Cyron sagte, sie habe nur in Sorge davor gewarnt. Hock sagte der SZ Anfang Dezember: "Die Gedanken sind frei." Selbst wenn er die "Systemfrage" erörtere, wolle er die Demokratie erhalten. Nun sagte er dem Nordbayerischen Kurier, Sätze würden aus dem Kontext gerissen, es kursierten Aussagen, die er "nie getroffen" habe.

Liefern die Chats den Anlass für eine Beobachtung der ganzen Partei?

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte nach Bekanntwerden der Chats gesagt, dies habe "eine völlig neue Qualität" und könnte Anlass zur Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz sein. Derzeit werden in Bayern der Parteinachwuchs und der völkische "Flügel" als "gesichert rechtsextremistisch" beobachtet. Dessen Protagonisten verorten das Land dem Landesamt zufolge in einer "Umsturzzeit". Liefern die Chats nun Material für eine Beobachtung der ganzen Partei? Die Arbeit des Verfassungsschutzes dürfte konkret schwieriger sein als strafrechtliche Ermittlungen gegen Einzelpersonen.

Eine Leitfrage ist dabei wohl, ob die inkriminierten Äußerungen in dieser Parteiöffentlichkeit ohne Widerspruch blieben. Abgeordnete betonten im Gespräch mit der SZ einerseits den "Stammtisch"-Charakter des Chats, auch mit Sympathisanten ohne Parteibuch. Andererseits sei es unmöglich gewesen, die riesige Masse an Beiträgen zu lesen oder gar darauf zu antworten. Analysen des Chats durch die SZ legen nahe, dass bei den bereits bekannten Umsturzpassagen keine Zurechtweisungen anderer Teilnehmer kamen. An anderer Stelle aber durchaus, zum Beispiel bei Antisemitismus. Als im November 2021 ein Chat-Mitglied über "jüdische Pseudowissenschaften" fabulierte, deren Vorstellungen "dem menschlichen Zusammenhalt nicht dienlich" seien, regte sich rasch Unmut, auch von Abgeordneten. Was das bitte solle? Ob Einstein, Hertz oder Ehrlich auch Pseudowissenschaftler seien? Ein Stadtrat aus Oberbayern schrieb: "Dass es Antisemitismus gibt, ist belegt. Ihre Aussage ist ein weiterer Beleg dafür." Die Überprüfung der Chats beim Verfassungsschutz dürfte Zeit in Anspruch nehmen. Zur Frage der Einstufung der Partei auf Bundesebene steht indes auch noch eine Gerichtsentscheidung aus.

Die AfD will die Corona-Proteste für sich nutzen

Jener November 2021 liefert derweil Einblick, wie sich die aktuelle Corona-Strategie der bayerischen AfD formte: die mögliche Impfpflicht als Chance für die Partei. Am Sonntag, als 10 000 Leute in Nürnberg gegen Maßnahmen und Impfpflicht demonstrierten, hielt die AfD eine eigene Großkundgebung ab - mit Prominenz aus dem Bund wie Tino Chrupalla und Alice Weidel. Das lief auch über den Landesvorstand. Lange hatte man in der Pandemie darauf gesetzt, sich bestehenden Corona-Protesten anzuschließen und dabei möglichst Parteiutensilien zu zeigen. So gab es nur im Rahmen des Bundestagswahlkampfs größere eigene Corona-Formate. "Über Straße läuft 0,0. Warum sollten die Leute jetzt auf einmal gegen irgendetwas protestieren, was sie vor zwei Monaten erst gewählt haben?", beklagte noch kürzlich ein AfD-Stadtrat aus Schwaben.

Das hat sich mit der aufkeimenden Frage der Impfpflicht radikal geändert. Schon bei der ersten Debatte dazu in Österreich mobilisierte die AfD recht spontan zu einer Demo am Konsulat Wiens in München - als "Startschuss", wie es öffentlich hieß. Das beflügelte Mitglieder im Chat: "Jetzt ist die Zeit des Widerstands gekommen", frohlockte ein Kreisrat. Ein EU-Abgeordneter merkte an: "Das Volk muss seinen Herren den Weg zeigen zur Tür. Leider ist der deutsche Michel Masochist." Gefordert wurde mehr Augenmerk auf das Potenzial der Ungeimpften - also nicht die "70 Prozent Lemminge". Zur Impfpflicht schrieb ein AfD-Bezirksrat: "Ich denke und fürchte, dass es bald zum Widerstand - und dann zum Aufstand kommen wird."

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