Medizinstudium in Bayern:Plötzlich wollen alle raus aufs Land

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Ein Schild an einem Haus weist in der kleinen Gemeinde Saulgrub auf eine Arztpraxis hin. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Zunächst war das Interesse an einem Medizinstudium mit Anschlussverpflichtung gering, die Kritik daran groß. Doch kurz vor Bewerbungsschluss gerät die Landarztquote zum Erfolg - die Zahl der Interessenten wächst erstaunlich.

Von Dietrich Mittler, Thierhaupten

Hausärztin Maria Stich hat eigentlich gar keine Zeit, ans Telefon zu kommen. Das Wartezimmer ist voll, sie wird gebraucht. Gemeinsam mit ihrer Schwägerin Stefanie Berger hat die 41-Jährige im Jahr 2014 im schwäbischen Markt Thierhaupten von einem älteren Kollegen eine große Landarztpraxis mit gut 2000 Patienten übernommen. Die beiden Ärztinnen wissen nie, was ihnen der Tag bringt, sie haben offene Sprechstunden. Aber genau das macht offenbar den Reiz aus. "Es ist mein Traumberuf", sagt Stich ohne lange überlegen zu müssen, "es wird nie langweilig, wir haben vom Baby bis zum Opa alles." Praxis-Partnerin Stefanie Berger kann dem nur zustimmen. "Und was in meiner Zeit in der Klinik nie möglich gewesen wäre, geht jetzt problemlos. Ich kann zum Beispiel mit meinen Kindern gemeinsam mittagessen", sagt die 38-Jährige. Gerade für Frauen sei es reizvoll, sich als Hausärztin auf dem Land niederzulassen.

Aber wenn dieser Beruf so schön ist, wozu braucht es dann eine Landarztquote, die zwar einerseits jungen Leuten ohne Einser-Abitur einen Zugang zum Medizinstudium ermöglicht, sie aber andererseits dazu verpflichtet, mindestens zehn Jahre lang dort als Hausärztin oder Hausarzt tätig zu sein, wo eine Unterversorgung besteht oder droht? Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) könnte da viele Argumente vorbringen, die für ihre Landarztquote sprechen - etwa jenes, das sie an junge Menschen richtet: "Sie können damit einen wichtigen Beitrag leisten, auch in Zukunft eine flächendeckende, wohnortnahe hausärztliche Versorgung in ganz Bayern sicherzustellen." Maria Stich muss etwas länger überlegen. Die Landarztquote, so sagt sie, brauche es allein schon deshalb, weil das bisherige Medizinstudium eher darauf ausgerichtet sei, Fachärzte hervorzubringen.

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Noch vor kurzem musste das Gesundheitsministerium feststellen, dass sich zwei Wochen nach Beginn der Bewerbungsfrist erst 62 Interessenten für die 110 über die Landarztquote zugänglichen Studienplätze angemeldet hatten. Die Landtagsopposition sah sich angesichts dieser Zahl prompt bestätigt. "Die Landarztquote mit Verpflichtungscharakter ist nicht der richtige Weg, um junge Menschen für den Beruf zu begeistern", sagte etwa Christina Haubrich, die gesundheitspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen.

Angesichts der aktuellen Zahl, die das Gesundheitsministerium nun am Donnerstag herausgab, wirkt Haubrichs Schlussfolgerung allerdings etwas voreilig. Demnach liegen mittlerweile - kurz vor Torschluss am 28. Februar - insgesamt 722 Bewerbungen für das Medizinstudium gemäß den Voraussetzungen der Landarztquote vor. Dass viele junge Leute zunächst zögerten, das Angebot der Landarztquote aufzugreifen, verstehen die Hausärztinnen Stich und Berger aber auch - trotz der eigenen Begeisterung für ihren Beruf. "Für viele junge Leute mag der Schritt in die Selbständigkeit auf den ersten Blick abschreckend wirken", sagt Stich. Überdies bestehe oft auch die Sorge, als Landarzt jeden Tag erst spät aus der Praxis rauszukommen, die Hausbesuche gar nicht eingerechnet.

Politischen Gegenwind gegen die Landarztquote hatte es bereits früh gegeben, schon kurz nachdem Gesundheitsministerin Huml verkündet hatte, dass in Bayern erstmalig zum Wintersemester 2020/2021 Studienplätze im Rahmen einer Landarztquote vergeben werden können. Einer der Hauptkritikpunkte dabei: die Vertragsstrafe in Höhe von 250 000 Euro für all jene, die nach absolviertem Medizinstudium dann doch nicht als Landarzt arbeiten wollen. Darüber hatten sich Bayerns Linke bereits Ende vergangenen Jahres aufgeregt. Es könne doch nicht angehen, "junge Menschen mit dem Versprechen eines Studienplatzes zu einem Deal zu überreden, der für Reiche mal wieder nicht bindend ist, weil sie sich aus dem Vertrag rauskaufen können". Christina Haubrich von den Grünen griff diese Kritik vergangene Woche ebenfalls auf.

Bayerns Gesundheitsministerin tritt nach Vorliegen der jüngsten Bewerberzahl indes gestärkt an die Öffentlichkeit. "Das Interesse an der Landarztquote ist erfreulich hoch", erklärte sie. Allen Zweiflern, die vor kurzem noch betont hatten, es sei unrealistisch zu glauben, dass sich junge Leute auf eine zehnjährige Landarzttätigkeit festlegen lassen, hielt Huml nun entgegen: "Es ist zu erwarten, dass viele dabei eine enge Bindung an ihren Arbeitsort aufbauen - und auch nach den zehn Jahren dortbleiben werden." Den Bayerischen Hausärzteverband weiß die Ministerin ohnehin hinter sich. "Jede Maßnahme, die dazu beiträgt, die wohnortnahe hausärztliche Versorgung auch in strukturschwachen Gebieten zu sichern, ist aus unserer Sicht zu begrüßen", ließ der Verband wissen.

Geregelt sind die Modalitäten der Landarztquote im Land- und Amtsarztgesetz, das zu Beginn dieses Jahres in Kraft trat. Für die Bewerber sieht es als Auswahlkriterien unter anderem vor, dass sie bereits einen fachspezifischen Studieneignungstest bestanden haben. Oder auch, dass sie eine Berufsausbildung in einem Gesundheitsberuf vorweisen können. Chancen können sich zudem Bewerber ausrechnen, die zum Beispiel ehrenamtlich einer Tätigkeit als Sanitäter nachgingen. "Für junge Abiturienten, die bis Ende Mai 2019 noch voll von den Prüfungen vereinnahmt waren, wird es schwierig, solche Kriterien zu erfüllen", sagte allerdings ein Vater, dessen Tochter Interesse an der Landarztquote hat.

© SZ vom 28.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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