Archäologie:Rätselhafter Luxus im Rittergrab

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Bei Grabungen im Nördlinger Ries haben Archäologen in einem Grab aus dem 6. Jahrhundert diese aus Afrika stammende Schale gefunden. Auf der zerbrochenen Schale ist ein eingraviertes Kreuz zu sehen. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Im Nördlinger Ries sind Archäologen auf Funde aus dem frühen Mittelalter gestoßen, wie sie nördlich der Alpen einmalig sind. Trotzdem wäre es das Beste, man bräuchte viele dieser Schätze gar nicht auszugraben.

Von Hans Kratzer, Deiningen

Natürlich, Schwaben ist von Haus aus ein gesegnetes Land, aber für die Archäologen muss sich diese Region mittlerweile sogar wie eine Art Goldgrube anfühlen. Regelmäßig kommen dort spektakuläre Bodenfunde ans Licht. Erinnert sei etwa an die Überreste des Primaten "Udo" aus dem Allgäu, der bereits vor zwölf Millionen Jahren den aufrechten Gang pflegte. Aufsehen erregte zuletzt auch ein Reitergrab aus dem 7. Jahrhundert im Landkreis Augsburg. Mittlerweile wird das Wort spektakulär in der Bodendenkmalpflege fast inflationär verwendet, es gibt ja kaum noch einen größeren Fund, der nicht mit diesem Attribut versehen wird.

Für die neuesten Funde aus dem Nördlinger Ries ist die Einordnung spektakulär wohl dennoch angebracht. In einem Neubaugebiet der Ortschaft Deiningen kamen nun Gräber aus dem 6. Jahrhundert zum Vorschein, und diese enthielten Gegenstände, die unbedingt aufhorchen lassen. Ganz ungewöhnlich sind ein in einem Rittergrab gefundener Elfenbeinkamm sowie eine Schale, die im damaligen Tunesien angefertigt wurde. Derlei Funde sind bislang nördlich der Alpen einmalig, sagt der Archäologe Johann Tolksdorf vom Landesamt für Denkmalpflege.

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Tolksdorf zieht einen aussagekräftigen Vergleich heran, um die Dimension des Fundes einordnen zu können. Es seien in den vergangenen Jahrzehnten sicherlich mehr Gemälde von großen Meistern auf irgendwelchen Speichern entdeckt worden als ein Elfenbein-Kunstwerk wie jener Kamm, sagt er. Es handle sich dabei eindeutig um ein Kunstobjekt, das sich in dieser Form nur sehr selten erhalten habe. Zum einen, weil im damaligen Italien Grabbeigaben nicht mehr üblich waren, zum anderen, weil das Elfenbein oft umgearbeitet wurde.

Etwa 1500 Jahre alt ist das Grab, in dem ein händchenhaltendes Paar gefunden wurde. (Foto: Archäologiebüro Dr. Woidich GmbH/dpa)

Dazu kommt noch ein Fund, der ganz nach dem Geschmack des Boulevards sein dürfte. Es handelt sich dabei um ein Grab, in dem zwei Skelette nebeneinander lagen, und zwar wie ein Liebespaar. Die Hand des Mannes hatte man seinerzeit in trauter Weise über die Hand der Frau gelegt. Das Paar war nach heutigen Maßstäben relativ jung, nach der damaligen Lebenserwartung von 30 Jahren aber wohl nicht zu früh verstorben.

Wie der Kamm und die afrikanische Keramikschale ins Nördlinger Ries gelangten, das damals von Alemannen besiedelt war, ist nur spekulativ zu beantworten. Tonsdorf sagt, die Schale sei sicherlich nicht im Handel zu kaufen gewesen, sondern durch politische Kontakte oder als Beutestück aus einem Kriegszug in das Ries gelangt. Auch Historiker, deren Fachgebiet das Frühmittelalter ist, legen sich nach dem derzeitigen Sachstand nicht fest. Man könne nur davon ausgehen, dass das Nördlinger Ries nach dem zweiten Sieg Chlodwigs über die Alemannen 506 unter fränkischer Herrschaft stand, sagt die Mittelalterexpertin Irmtraut Heitmeier. Was das für die Funde bedeutet, ist wissenschaftlich betrachtet noch ein unbeackertes Gelände.

Schöne Bescherung: Bei Grabungen im Nördlinger Ries haben Archäologen in einem Grab aus dem 6. Jahrhundert diesen beidseitig mit Tierszenen verzierten Elfenbeinkamm in einer Art frühmittelalterlichem Kulturbeutel gefunden. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege/dpa)

Sicher ist nur, dass 1500 Jahre alte Elfenbeinschnitzereien, wie sie jetzt im Ries gefunden wurden, extrem selten überliefert sind. Es überrascht vielleicht, dass sich der Kamm ausgerechnet in einem Männergrab fand, Gegenstände der Körperpflege werden ja eher in Frauengräbern verortet. Trotzdem legte man damals auch toten Männern Kämme ins Grab, was in diesem Fall darauf schließen lässt, dass der Mann wahrscheinlich lange Haare und einen Bart trug, den er mit Klinge und Kamm pflegte. Außergewöhnlich ist auf jeden Fall, dass der Kamm aus Elfenbein gefertigt ist. Auf der Vorder- und Rückseite sind jeweils Tiere eingeritzt, die offensichtlich vor anderen Tieren fliehen.

In der Regel helfen solche Bodenfunde, Licht ins Dunkel der Frühgeschichte zu bringen. Sie ermöglichen Antworten auf Fragen, die wegen fehlender Schriftquellen bis jetzt offen geblieben sind, etwa wie sich damals Gesellschaft und Kultur entwickelt haben. Schon das Reitergrab in Nordendorf enthielt koptisches Geschirr, das nördlich der Alpen kaum verbreitet war und wohl in Ägypten hergestellt wurde. Das deutet, wie auch die Funde aus Deiningen, auf eine Bevölkerung hin, die an Fernhandelswege angeschlossen war, weitflächige Beziehungen pflegte und auf verschiedenen Wegen Prestigeobjekte erwarb.

Gewiss werden auch künftig ähnliche Funde auftauchen, was dem Umstand geschuldet ist, dass unentwegt Straßen, Leitungen und Siedlungen gebaut werden und die Erde aufgerissen wird. Allzu oft werden dabei auch im Boden schlummernde Relikte zerstört. Und dann droht auch noch die Landplage der Raubgräber, die wie die Hyänen über mögliche Fundorte herfallen. So betrachtet ist es sogar bedauerlich, dass viele Funde als Sensation präsentiert werden müssen, weil sie nicht, was oft das Beste wäre, im Boden liegen bleiben können. Die Archäologen ziehen daraus immerhin den Vorteil, dass sie etwas herzeigen können. Die Historiker finden weniger Gehör, weil sie keine Schriftquellen aus jener Zeit besitzen.

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