Verkehrspolitik:"Anschlag auf das Allgäu"

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Die B12 zwischen Kempten und Buchloe soll autobahngleich ausgebaut werden. Umweltschützer werfen Bund und Freistaat vor, die klimaschädlichen Auswirkungen des Projekts schöngerechnet zu haben. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Wie viel Klimaschutz muss bei Straßenbauprojekten berücksichtigt werden? Eine Klage des Bundes Naturschutz gegen Ausbaupläne der B12 soll diese Frage nun klären. Worum es bei dem Streit geht.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Der Chef des Bundes Naturschutz in Bayern nennt den geplanten Ausbau der B12 zwischen Buchloe und Kempten einen "Anschlag auf das Allgäu". Die Bundesstraße soll autobahngleich ausgebaut werden, mit Fahrbahnen in einer Breite von 28 Metern und 70 neuen Brücken. Laut Richard Mergner ist es eines der schlimmsten, naturzerstörendsten Straßenbauprojekte bundesweit, weshalb die Naturschützer am bayerischen Verwaltungsgerichtshof Klage eingereicht haben. Sie soll als Präzedenzfall dienen, wie viel Klimaschutz bei Straßenbauvorhaben berücksichtigt werden muss.

Die Anwälte kritisierten am Freitag, als sie die Klagebegründung vorstellten, dass sich die für die Planfeststellung verantwortliche Regierung von Schwaben auch mit Blick auf vergleichbare Verfahren ungewöhnlich viele Versäumnisse erlaubt habe - von fehlerhaften bis hin zu fehlenden Unterlagen.

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Die Klage richtet sich gegen den ersten Bauabschnitt zwischen Buchloe und Untergermaringen. Auf der B12 sind laut Behörde je nach Abschnitt im Durchschnitt 10 000 bis 20 000 Fahrzeuge pro Werktag unterwegs, in Zukunft werden es Prognosen der Planungsbehörden zufolge deutlich mehr. Der Bund Naturschutz kritisiert einen massiven Eingriff in die Landschaft, da mit Seitenstreifen und Lärmschutzwänden auf fast 50 Metern Breite "eine Schneise" durch das Allgäu gezogen werden solle. Die Naturschützer gehen von etwa 100 Hektar Flächenverbrauch aus, die Kosten sind mit 500 Millionen Euro veranschlagt.

Sogar der Bauernverband unterstützt die Klage der Naturschützer

Erst kürzlich hat selbst die Oberallgäuer Landrätin Indra Baier-Müller die Dimensionen des Ausbaus in Frage gestellt. Der Widerstand gegen das Projekt ist so groß, dass ungewöhnliche Allianzen entstanden sind: So unterstützt neben vielen Parteien, Verbänden und betroffenen Kommunen auch der Bauernverband die Klage des Bundes Naturschutz.

Dabei ist einer der zentralen Kritikpunkte der vom BN beauftragten Anwaltskanzlei Baumann Rechtsanwälte, dass die prognostizierten Verkehrszahlen fehlerhaft zustande gekommen seien und deutlich vom Landesverkehrsmodell Bayern abwichen. Demnach soll die Regierung von Schwaben Anrainer-Kommunen nach geplanten Gewerbevorhaben abgefragt und darauf basierend Verkehrshochrechnungen angestellt haben - dabei werden viele dieser Projekte nie verwirklicht. "Das ist eine methodische Herangehensweise, die aus unserer Sicht nicht haltbar ist", kritisiert die federführende Rechtsanwältin Franziska Heß.

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Und sie verursacht Streit. Die Wirtschaft unterstützt den Ausbau auf vier Spuren, Naturschützer beklagen Flächenfraß und Massentourismus.

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Ihre Kanzlei erkennt im Planfeststellungsbeschluss weitere schwerwiegende Rechtsmängel: So gebe es im Klimaschutzgesetz ein Berücksichtigungsgebot für Belange des Klimaschutzes, das nicht ausreichend beachtet worden sei. Es gebe keinerlei Ermittlungen zu den Auswirkungen des Ausbaus auf den Klimaschutz. Die für BRD und EU verbindliche Alpenkonvention sehe die Überprüfung von Alternativen zum Straßenbau vor, was nicht geschehen sei. Den Flächenverbrauch abzuwägen sei im Planfeststellungsbeschluss offenbar schlicht vergessen, Probleme für den Grundwasser- und Hochwasserschutz übergangen worden, und ein Fachgutachten zum Artenschutz besage, dass überhaupt keine Datengrundlagen erhoben worden seien. Zudem seien der Behörde Amphibienfunde mitgeteilt worden, die nicht weiterverfolgt worden seien.

"Wir können nicht noch mehr Menschen ins Allgäu schaufeln"

Der Bund Naturschutz befürchtet, dass ein Ausbau der B12 zu noch mehr Verkehr und damit zu noch mehr Tagesbesuchern im Allgäu führen würde. Schon heute diskutiert die Region immer wieder, ob es an den Hotspots nicht bereits zu viele Touristen gebe und damit der Andrang zu groß werde. "Wir können nicht noch mehr Menschen ins Allgäu schaufeln, während man mit Zug und Bus keine Anbindungen hat", kritisiert BN-Landesvorsitzender Mergner. Befürworter des Ausbaus wie die IHK argumentieren mit dem volkswirtschaftlichen Nutzen für die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Allgäu. Ministerpräsident Markus Söder warnte bei einem Besuch im Sommer vor einer Überarbeitung der Pläne, weil sich dann in den nächsten zehn bis 20 Jahren gar nichts tue.

Die Naturschützer dagegen betonen, dass sie gegen kleinere Verbesserungen der bestehenden Bundesstraße gar nichts einzuwenden hätten, etwa um schwere Unfälle auf Abschnitten ohne Überholspur zu vermeiden. "Wir glauben aber nicht, dass ein autobahngleicher Ausbau ohne Tempolimit zu weniger Unfällen führen würde", sagt der BN-Regionalreferent für Schwaben, Thomas Frey. Befürworter des Ausbaus weisen oft auf den angeblichen Unfallschwerpunkt B12 hin. Die Kanzlei Baumann widerspricht: Neuesten Zahlen zufolge gibt es sogar vergleichsweise wenige Unfälle auf der Bundesstraße.

Mit einer Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ist in ein bis zwei Jahren zu rechnen. "Wir appellieren an alle Politiker, die Zeit zu nutzen, um zu anderen politischen Lösungen zu gelangen", sagt Frey. BN-Landesvorsitzender Mergner kündigt an, den B12-Ausbau zum Testfall für die Landtagswahl 2023 machen zu wollen. "Wir werden dafür werben, dass Kandidatinnen und Kandidaten keine Stimme bekommen, die weiter an diesem Dinosauerierprojekt festhalten."

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