Las Vegas ist eine Stadt auf Speed. Alles hier hat mit Tempo zu tun. In den Casinos geht es ums schnelle Geld. Und auf der Elektronikmesse CES bandelt quasi jeder mit jedem beim Speed-Dating an: Chiphersteller mit Kartendienstleistern, Autohersteller mit IT-Firmen. BMW, Intel und Mobileye testen von der zweiten Jahreshälfte 2017 an das autonome Fahren auf der Straße. Gleichzeitig kauft der Chiphersteller Intel einen 15-prozentigen Anteil am Kartendienstleister Here, der vor einem Jahr von Audi, BMW und Daimler übernommen wurde. Mercedes bringt Google Home ins Auto, BMW flirtet mit Microsoft Cortana. Und, und, und ...
Eine Branche geht fremd. Die klassischen Zulieferketten in der Autoindustrie sind bis zum Zerreißen gespannt. Technologiefirmen, die oft erst ein paar Jahre alt sind, schieben sich zwischen die Autohersteller und ihre bestehenden Netzwerke. Selbstbewusst steuern sie das unverzichtbare künstliche Bewusstsein fürs autonome und vernetzte Fahren bei. Umdenken ist also gefragt in den Vorstandsetagen.
Bisher war es unvorstellbar, dass ein Autoboss sein Debüt auf einer Computermesse gibt. Doch bei Ola Källenius ist das anders. Er fühlt sich sichtlich wohl auf der CES in Las Vegas. Es mag Zufall sein, dass der frisch gekürte Mercedes-Entwicklungsvorstand hier seine Antrittsrede hält. Das Messejahr beginnt nun mal mit dem Treffen der Unterhaltungselektroniker in Nevada. Doch es ist kein Zufall, dass sich Källenius konsequent ins Zentrum der digitalen Revolution vorgearbeitet hat.
Auf der CES treffen sich die Menschen, denen der Fortschritt nicht schnell genug gehen kann. Menschen wie Källenius, der Teile seiner Karriere im Rennsport verbracht hat. 2003 ging er nach Großbritannien, um mit McLaren Hochleistungsmotoren zu entwickeln. 2009 war er Chef des Mercedes-Werks in Tuscaloosa (Alabama), bevor er 2010 die Leitung der Daimler-Sportwagentochter AMG übernahm.
"Car Guy" einer neuen Generation
Källenius kennt sich also aus mit Speed. Dabei ist der Schwede noch unkomplizierter und unaufgeregter als sein Mentor Dieter Zetsche. Der Daimler-Boss bezeichnete Källenius als "echten Car Guy", der wisse, wie man eine Marke zum Erfolg führe. "Er kennt sowohl unsere Kunden als auch unsere Organisation bestens", lobte Zetsche, als Källenius vor drei Jahren zum Vertriebschef aufstieg. Doch Ola Källenius ist der "Car Guy" einer neuen Generation.
Jetzt hat der 47-Jährige die letzte Stufe vor dem Daimler-Gipfel erreicht. Knapp drei Jahre bleiben ihm noch, bevor Zetsche als Konzernchef abtritt. Källenius werden beste Aussichten auf dessen Nachfolge zugeschrieben. Deshalb hat Thomas Weber das Entwicklungsressort wohl nicht ganz freiwillig abgegeben. Er muss das Feld für einen Jüngeren räumen, der seine Kompetenzen für die Anwartschaft auf den Vorstandsvorsitz vervollständigen soll. Dafür genügt es nicht, die Führung zu verjüngen und internationaler auszurichten. Der Wirtschaftswissenschaftler Källenius muss vor allem die Entwickler im Haus überzeugen: Um "Daimlers Position als Technologieführer zu festigen und weiter auszubauen", wie der offizielle Auftrag lautet, muss er die Traditionstruppe hinter sich bringen. Erst dann kann er sie schnell genug in den digitalen Wandel führen.
Menschen mit Benzin im Blut könnten sich daran stören, dass Källenius kein gelernter Techniker ist. Sein Vorgänger wusste sich als gelernter Werkzeugmacher und studierter Maschinenbauer Respekt zu verschaffen. Zudem hatte Weber mit der autonomen Bertha-Benz-Fahrt 2013 und der futuristischen CES-Studie F 015 vor zwei Jahren Aufsehen erregt. Auch die erfolgreiche Mercedes-Modellpalette spricht für den bisherigen Chefentwickler. Källenius hat als Vertriebschef seinen Anteil daran. Anders als sein Vorgänger ist er aber nicht nur aufmerksamer Beobachter, sondern auch aktiver Treiber des digitalen Wandels. "Vertrieb der Zukunft ist mein Lieblingsfach, da könnte ich zwei Stunden drüber reden", sagt er. "Es steht außer Frage, dass sich der Vertrieb mitten im digitalen Wandel befindet. Wir haben schon Teile des Vertriebsprozesses komplett digitalisiert und werden das weiter tun."
Um die Autobranche zu erneuern, geht Källenius über alte Grenzen hinaus. Als Vertriebsvorstand hat er die Handelsorganisation fit für die Zukunft gemacht. Er baute die digitale Kundenplattform "Mercedes me" auf, stieß viele Mercedes-Niederlassungen ab. Die konzerneigenen Autohäuser waren lange das Aushängeschild der Marke. Doch zuletzt produzierten viele von ihnen rote Zahlen. Die Ankündigung des Umbaus löste zunächst Widerstand beim Betriebsrat aus. Schließlich konnte Källenius die Filialen durch einen finanziellen Ausgleich für die Mitarbeiter relativ geräuschlos abwickeln. Sein konsequenter und zugleich sozial verträglicher Führungsstil brachte ihm viel Ansehen ein.
Autokauf per Smartphone
Künftig soll der Kundenkontakt vor allem digital stattfinden. Zum Beispiel per Lifestyle-Konfigurator, der mit wenigen Klicks zum "perfekten mobilen Partner" führt. Für solche Bausteine haben die Stuttgarter gerade eine Einheit mit 100 neuen Stellen allein im Vertrieb geschaffen. "Das bedeutet für eine Premium- und Luxusmarke aber nicht das Ende des physischen Vertriebs", beteuert Källenius. Es ändere sich aber, was im Handel passiere. Der Kaufprozess könne in wenigen Minuten komplett über ein Smartphone abgewickelt werden, betont der lang gewachsene Schwede. Entsprechend solle sich der Handel stärker um das kümmern, was Källenius "Celebration of the Product" nennt: das einzigartige Produkterlebnis, das alle Sinne anspreche. Zusammen mit einem hoch individualisierten und digitalisierten Service könne das Auto als ultimatives "Mobile Device" selbst die Technologiefirmen mit ihren kleinen Endgeräten schlagen.
Källenius will das Auto zur dreidimensionalen digitalen Erlebniswelt machen, daran lässt er in Las Vegas keinen Zweifel. Es geht nicht um vordergründige elektronische Effekte. Viel wichtiger ist ihm die umfassende Kundenbetreuung, die nur eine Luxusmarke bieten kann. Nicht zuletzt bei Mercedes-AMG hat Källenius gelernt, jeden Käufer mit seinen speziellen Wünschen in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür braucht es nicht nur noble Konsumtempel in den Hauptstädten. Mindestens genauso wichtig sind neue Geschäftsmodelle und Partnerschaften. "Heute muss man sich neue individuelle Mobilitätsangebote noch zusammenstückeln, um ohne eigenes Auto bequem über die Stadtgrenzen hinaus mobil zu bleiben", sagt Källenius. "Künftig haben Sie vielleicht nur noch einen Mercedes-me-Account für Ihre gesamte nahtlose Mobilität."
Källenius zeigt sich offen für neue Partnerschaften
Das ist der (Alb-)Traum der Branche: Dank neuer digitaler Mobilitätsplattformen und einer höheren Automatisierung des Fahrens steigen immer mehr Kunden vom Autokaufen aufs Autoteilen um. "In den nächsten fünf bis zehn Jahren sehe ich da ein sehr großes Angebot", sagt Källenius. Die Frage ist nur, wie man mit solchen neuen Geschäftsmodellen so viel Geld verdient wie mit dem Verkauf von Luxuslimousinen. "Man muss das eigene Ökosystem mit anderen Ökosystemen verknüpfen", zeigt er sich offen für neue Partnerschaften: Eine echte Luxusmarke könne vom besseren Service für seine Kunden nur profitieren. Warum also nicht zusammen mit dem Fahrdienstvermittler Uber Luxuslimousinen mit eigenem Chauffeur anbieten? Man müsse "open minded" sein für solche Anbieter, sagt Källenius.
Er weiß, dass er sich für neue Partnerschaften öffnen muss. Gleichzeitig darf er bei diesen gefährlichen Liebschaften die Traditionsmarke nicht beschädigen. Wie gut er den Tango mit den Technologiefirmen tanzen kann - daran wird man ihn in einigen Jahren messen.