Pro: Die Corvette ist ein toller Sportwagen zum günstigen Preis. Deshalb darf sie sich ihren extravaganten Auftritt gönnen, meint Thomas Harloff.
Geht es um die Corvette, geht es meist auch um Klischees. Die einen diffamieren sie als "St.-Pauli-Ferrari", manche trauen ihr geradeaus alles, in Kurven umso weniger zu. Wieder andere stoßen sich an ihrem Design. Außen sei sie zu prollig und innen zu hässlich, lautet der Vorwurf.
Ob im Rotlichtmilieu tatsächlich vorrangig Corvettes als Dienstwagen eingesetzt werden oder doch eher Produkte aus München, Stuttgart oder Maranello, wurde nie statistisch nachgewiesen. Vorurteil Nummer zwei hat einst gestimmt, aber die Corvette-Generationen fünf und - vor allem - sechs haben es längst entkräftet.
Natürlich mag es auch die neue Corvette, die wie schon die zweite und dritte Generation den Beinamen "Stingray" trägt, extrovertiert. Ob man in ihr den namensgebenden Stachelrochen wiedererkennt oder ob der enorme Kühlerschlund, die Kanten in der Karosserie und das mittig platzierte Auspuffrohr-Quartett am Heck einfach zu viel des Guten sind, ist Geschmackssache. Dafür ist das Cockpit nicht nur schicker gestaltet, sondern auch hochwertiger eingerichtet und besser verarbeitet als früher.
Außer Frage steht, dass kein anderes Sportcoupé in dieser Leistungsklasse weniger kostet: 466 PS für 69 990 Euro gibt es sonst nur auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Zieht man die in den USA beliebte "Kosten-pro-PS"-Rechnung heran, zeigt sich, wie günstig die Corvette ist. Bei ihr kostet ein PS 150 Euro - beim preiswertesten Porsche 911 sind es 258 Euro, Audi verlangt beim R8 für eine Pferdestärke mindestens 272 Euro, beim Ferrari 458 Italia und Lamborghini Huracán liegt dieses etwas andere Preis-Leistung-Verhältnis bei weit über 300 Euro. Aber seinen Preis hat man dem Zweisitzer nie zum Vorwurf gemacht. Im Gegenteil: "Günstig" wurde bei ihm mit "billig" verwechselt - ein Attribut, das negativ behaftet sein kann, erst recht bei Sportwagen.
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Wie ein Projektil aus dem Gewehrlauf
So muss sich die Corvette wieder und wieder, Generation für Generation, auf der Straße und der Rennstrecke beweisen. Und der Jahrgang 2014, Nummer sieben in der 1953 etablierten Ahnengalerie, vermag fahrdynamisch noch mehr zu begeistern als sein bereits sehr guter Vorgänger C6. Vorausgesetzt, man hat vor der Fahrt mit dem Drehschalter den "Sport"- oder "Track"-Modus angewählt - "Tour", "Eco" und "Weather" sind langweilig. Aber ist die Amerikanerin erst einmal vorgespannt, schießt sie nicht nur davon wie ein Projektil aus dem Gewehrlauf, sondern giert nach Kurven, als wolle sie alle Vorurteile ein für allemal beiseite wischen.
Ist der Vorderwagen erst einmal auf die Ideallinie eingeschwenkt, was dank der mitteilsamen und direkten Lenkung auch bei forscher Gangart problemlos funktioniert, verlässt die Corvette sie nicht mehr. Sie klinkt sich in die Kurve ein wie eine Achterbahn in ihre Schienen. Unruhiges Heck? Eine solche Kinderei ist etwas für die Viper oder einen hinterradgetriebenen AMG-Mercedes. Die Corvette bleibt selbst dann noch stabil, wenn es die Grenzen der Physik nicht mehr zulassen dürften. Drifts müssen erzwungen werden, aber Kurvendynamik und Fahrspaß bietet das Mädchen aus Kentucky im Überfluss, obwohl es mit seinen 1539 Kilogramm nicht mehr so schlank ist wie früher.
Ihrer fünf voreingestellten Fahrprogramme und modernen technischen Details wie adaptive Stoßdämpfer, variable Ventilsteuerung oder Zylinderabschaltung zum Trotz: Gegenüber Hightech bleibt die Corvette skeptisch eingestellt. Dennoch funktioniert sie bestens. Während andere Sportwagen ein eher digitales Fahrerlebnis bieten - ja, auch der Porsche 911 -, lässt die Vette den Piloten an ihrem Vergnügen ungefiltert teilhaben. Natürlich hat sie auch Schwächen, darunter das manuelle Siebengang-Getriebe, das sich zwar kurz und knackig schalten lässt, aber in den oberen drei Fahrstufen zu lang übersetzt ist. Zudem wäre eine Sperre wünschenswert, die verhindert, direkt vom vierten in den siebten Gang zu schalten zu können. Auf der Landstraße braucht man eh nur den dritten, aber auf der Autobahn ist man bei hohem Tempo manchmal "Lost in Transmission".
Und die mangelnde Alltagstauglichkeit, die für die Innenstadt schwierige Fahrzeugbreite, der schwer erreichbare Kofferraum oder der nicht sozialverträgliche Spritverbrauch? Nimmt man hin, denn die Corvette ist eh kein Auto für jeden Tag. Eher eines für besondere Gelegenheiten - und mit ihr wird jede sonst schnöde Landstraßen-Tour zu einer solchen.
Contra: Die Corvette steht seit jeher für das Wilde, das Unbezwingbare, ein Auto, das vor Kraft kaum fahren kann. Ein Auto für "Individualisten", wie es im Werbejargon heißt, oder schlicht: für Verrückte. Doch das ist das neue Modell leider nicht, meint Felix Reek.
Subtil geht anders. Die neue Corvette steht in der Tiefgarage. Neongelb, flach, vier Auspuffrohre für ein Hallelujah, jedes dick wie ein Unterschenkel. Kotflügel, die sich aufstellen wie bei einem X-Wing-Kampfjet aus Star Wars. Auch im Inneren fühlt man sich wie in einem Raumschiff. Es ist eng, man presst sich hinein und wird irgendwie eins mit dem Fahrzeug. Dann das erste Problem: Das Dach ist offen. Das hatte der Kollege noch angekündigt und man fragte sich: "Na, und?"
Warum es bei der Corvette dazu eine extra Warnung gibt, zeigt sich kurz darauf. Bei jedem anderen Fahrzeug drückt man einen Knopf und die Sache ist erledigt. In der neuen Corvette sitzt man zunächst. Und sitzt. Und sitzt. Dazwischen heult immer wieder der Motor auf, um mögliche Knöpfe mit Strom zu versorgen. Das sorgt für einen solchen Krach in der Tiefgarage, dass der Pförtner vorbeischaut und fragt, was man da eigentlich macht.
Dem kann man zumindest kurz darauf freudig mitteilen: gefunden! Das Dach liegt im Kofferraum und muss per Hand eingesetzt werden. Laut Betriebsanleitung am besten zu zweit. Ein Glück, dass der Krach des V8-Motors den Pförtner aufgeschreckt hat, da kann er gleich helfen. Liegt das Dach im Kofferraum, ist dieser nicht mehr existent. Ist es dort, wo es hingehört, passt zumindest ein Gepäckstück hinein. Wenn es ziemlich flach ist. Also am besten ein halbes Bügelbrett.
Eine Corvette kauft man aber nicht, um zu Ikea zu fahren. Wer den US-Sportwagen fährt, will auffallen. Das Design ist fast schon obszön. Alles an diesem Auto schreit: "Hier bin ich! Nehmt mich wahr!" Zumindest das funktioniert tadellos. Im Münchner Umland drehen sich überall die Köpfe der Passanten. Einen Porsche sieht man hier jeden Tag, die neue Corvette ist eine Ausnahmeerscheinung.
Nur der Motor wird lauter
So richtig will der Funke aber nicht überspringen. Die Corvette C7 verspricht Kraft pur - man spürt sie allerdings nicht. Die Fahrmodi "Tour", "Eco" und "Weather" sind überflüssig, aber auch in "Sport" und Track" presst es den Fahrer nicht in den Sitz. Man hat fast den Eindruck, nur der Motor wird von Stufe zu Stufe lauter. Rennsportgefühle wie etwa beim circa 100 PS stärkeren Nissan GT-R kommen nicht auf. Zwar schiebt die Corvette nach vorn, das aber eher träge.
Unter 3000 Umdrehungen passiert wenig. Selbst wenn es auf der Landstraße nach vorn geht, bleibt die Corvette immer solide und beherrschbar, diversen Sicherheitssystemen sei Dank. Das ist natürlich vernünftig und erstrebenswert, aber mal im Ernst: Welcher Autofahrer mit einem Funken Vernunft legt sich eine Corvette zu? Man will doch das Wilde, das Unbezwingbare, ein Auto, das vor Kraft kaum fahren kann und bei dem man genau das in jeder Minute spürt. Ein Auto für "Individualisten", wie es im Werbejargon heißt, oder schlicht: für Verrückte.
Nissan GT-R im Test:Beim ersten Mal tut's noch weh
Ein Sportwagen soll Spaß machen. So wie der Nissan GT-R mit 550 PS. Aber wie viel bleibt davon übrig, wenn man auf der Autobahn stundenlang jede Bodenwelle spürt? Ein Selbstversuch.
Zwar kann man jetzt anführen, dass die Materialien im Inneren der Corvette sich endlich nicht mehr vor der Konkurrenz verstecken müssen. Vom Wildlederlenkrad, das sich wie ein Frotteehandtuch anfasst, einmal abgesehen. Aber ist es das, was bei einem Sportwagen zählt? Wer eine Corvette kauft, interessiert sich nicht für innere Werte. Er will brachiale Optik gepaart mit brachialer Urgewalt. Letzteres erfüllt die Corvette bei der ersten Ausfahrt nur bedingt. Das können andere besser. Aber eine zweite Chance bekommt sie noch. Im Herbst steht die Cabrio-Variante zum Test an. Dann klappt es auch mit dem Dach. Das schließt nämlich in 21 Sekunden - vollautomatisch.
Technische Daten Chevrolet Corvette C7 Stingray Coupé:
V8-Benzinmotor mit 6,2 Litern Hubraum; Leistung 343 kW (466 PS); max. Drehmoment: 630 Nm bei 4600/min; Leergewicht: 1539 kg; Kofferraum: 287 l; 0 - 100 km/h: 4,2 s; Vmax: 290 km/h; Testverbrauch: 12,5 l / 100 km (lt. Werk: 12,0; CO2-Ausstoß: 279 g/km); Euro 5; Grundpreis: 69 990 Euro
Das Testfahrzeug wurde vom Hersteller zur Verfügung gestellt.