Chevrolet Corvette:Schneller, stärker, größer

Ein besserer Sportwagen, aber die schlechtere Corvette

(SZ vom 11.01.1997) Eine neue Corvette ist ein Ereignis mit Seltenheitswert. Das '97er-Modell, das jetzt bei der Detroit Motor Show präsentiert wird, markiert nämlich erst die fünfte Auflage des amerikanischen Sportwagentraums, der uns (und unseren Vätern) seit 44 Jahren den Kopf verdreht. Natürlich ist auch die neueste Version wieder besser, stärker, größer, schneller und noch umwerfender. Nicht so recht in die Stafette der Superlative paßt allenfalls das Design, bei dem Chevrolet zu sehr auf Nummer Sicher gegangen ist. Innen hat Dr. Syntheticus seinem Lieblingswerkstoff - mausgraues Plastik - ein ziemliches tristes Denkmal gesetzt. Und auch von außen wirkt der Wagen jetzt so verwechselbar, daß wir nicht sehr überrascht gewesen wären, wenn sich hinter der Plastik-Fassade der Nachfolger des Chevrolet Camaro verborgen hätte.

Rein objektiv gibt es an der Form nicht viel auszusetzen. Im zweisitzigen Cockpit ist von sofort an etwas mehr Platz, das Kofferraumvolumen hat sich fast verdoppelt, der Cw-Wert beträgt glattrasierte 0. 29, die Ausstattung läßt kaum noch Wünsche offen, die Handbremse hat sich vom Türschweller in die Mittelkonsole hochgedient, und das Leergewicht ist trotz der nochmals wuchtigeren Proportionen um 31 auf 1468 Kilogramm zurückgegangen. Das technische Grundrezept wurde unverändert beibehalten, doch das mit Kunststoffteilen beplankte Stahlkorsett ist jetzt deutlich verwindungssteifer als bisher. Außerdem sind der Radstand um 20,3 Zentimeter und die Spur um bis zu 10,9 Zentimeter gewachsen. Zunächst gibt es die Vette nur als Targa-Coupé mit herausnehmbarem Dacheinsatz, aber in Detroit arbeiten sie schon an einem relativ preiswerten Kurzheck-Coupé und an einem bildhübschen Cabrio.

Daß in dieses Auto ein small block V 8 gehört, ist so klar wie es der Michigan See nie mehr sein wird. Aber ein Zweiventiler? Mit tief im Block versteckter Nockenwelle? Obwohl die Maschine komplett neu konstruiert wurde und von Kopf bis Fuß aus Aluminium gefertigt ist? "Dieses Konzept hat Tradition", behauptet der für den Antrieb zuständige Jim Ingle. "Und das Entwicklungspotential kann sich sehen lassen. " Das trifft auch auf die technischen Daten zu. 5,7 Liter Hubraum, 254 kW (345 PS) bei 5600/min und ein maximales Drehmoment von 485 Nm bei 4400/min sind Werte, die auf der Spiel-und-Spaß-Skala ganz weit oben rangieren. Die für Europa vorgesehene Version mit Viergang-Automatik beschleunigt in 5,2 Sekunden von Null auf 100 km/h und ist stramme 275 km/h schnell. Der Verbrauch? Mit rund 15 Liter sollten Sie schon rechnen.

Die imposanten Breitreifen sind an doppelten Querlenkern aufgehängt, die über Gasdruckdämpfer und Querblattfedern aus Kunststoff mit dem Rahmen verbunden sind. Der Kunde kann zwischen drei verschiedenen Fahrwerkabstimmungen wählen: Basis (nicht zu weich, nicht zu hart), F45 (variable Dämpferkennung) und Z51 (nur für Hobbyrennfahrer und Autocrosser). Unser Wagen war mit dem F45-Paket ausgerüstet, daß sich mit Erfolg um einen sauberen Kompromiß bemühte und darüber hinaus unerwünschte Aufbaubewegungen weitgehend unterband. Die Zahnstangenlenkung namens Magnasteer variiert den Kraftaufwand in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit, und sie macht ihre Sache gut, wenn auch das Hineinbremsen in und das rasche Herausbeschleunigen aus Kurven etwas Gewöhnung erfordert. Ein absolutes Highlight sind die Bremsen: vier innenbelüftete Scheiben im XXL-Format verzögern den Zweisitzer derart fix, daß man meinen könnte, die Zeitraffer-Experten von Nintendo hätten die Anlage höchstpersönlich abgestimmt.

An sechs von sieben Tagen gibt sich die neue Corvette lammfromm und narrensicher. Doch wenn uns am siebten Tag der Schalk reitet und wir die Antischlupfregelung ausschalten, dann mutiert der rote Teufel ansatzlos zum Quertreiber, der die Fliegen bevorzugt mit dem Seitenfenstern fängt. Im Gegensatz zu den oft überbereiften und untermotorisierten Europa-Sportwagen darf der Corvette-Pilot das Eigenlenkverhalten in fast jeder Lebenslage mit dem Gasfuß beeinflussen. Daß es für dieses Auto weder ein Navigationssystem noch Sidebags gibt, paßt ins Bild. Der Fortschritt hat in Motown immer noch eine gemächlichere Pulsfrequenz.

In Amerika kostet die neue Corvette knapp 40 000 Dollar (60 000 Mark); hierzulande muß man mehr als 90 000 Mark lockermachen. Für so viel Geld hätten wir gerne eine etwas bessere Verarbeitung, etwas hochwertigere Materialien und etwas freundlichere Interieur-Farben. Die Fahreigenschaften, die Fahrleistungen und die überlegene Art der Kraftentfaltung dürfen dagegen so bleiben, wie sie sind. Der für das Projekt verantwortliche Cheftechniker Dave Hill ist zu Recht mit seiner Arbeit zufrieden: "Wir haben die Ecken und Kanten entschärft und ein ausgewogenes Auto auf die Räder gestellt. Der wesentliche Fortschritt gegenüber dem Vorgänger betrifft die souveränere Richtungsstabilität, die kräftigeren Bremsen und die problemlose Beherrschbarkeit im Grenzbereich. "

Wir würden ein leicht modifiziertes Fazit vorziehen. Das liest sich dann so: Das 97er-Modell ist ein viel besserer Sportwagen, aber eine etwas schlechtere Corvette.

Von Georg Kacher

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