Autonomes Fahren:Autofahren ist wie ein Spiel mit vielen Spielern

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Der Software-Entwickler Aurora testet auf der Straße die Algorithmen für autonomes Fahren, die sich in einer Simulation bewährt haben. (Foto: Aurora)
  • Fiese Charaktere, die einem übel mitspielen und für Überraschungen sorgen: Autofahren und Computerspiele haben viel gemeinsam.
  • Das nutzen die Autohersteller aus. Mit Technologie aus Videospielen erproben sie in Simulationen das autonome Fahren.
  • "Wer die Simulation beherrscht, wird das vollautonome Fahren beherrschen", sagt ein Experte von BMW.

Von Joachim Becker

Wer sagt, dass Digitalisierung keinen Spaß macht? Die Höhepunkte der 10. Gamescom in Köln waren Computer- und Videospiele, die realer wirkten als das echte Leben. Neuheiten gab es auf dem weltgrößten Gaming-Event wenige, dafür rüsten die Ballerspiele technisch auf. Ob Raumschiffe, Dinosaurier oder historische Kulissen: Die Spieler können sich frei durch fotorealistische Fantasiewelten bewegen. Großes Kino also auf kleinen Privatcomputern. Befeuert wird der Spuk von Grafikkarten, die zehn Mal so leistungsfähig sind wie ihre Vorgänger - und mittlerweile mehr kosten können als der PC selbst.

Während die Traumfabriken der Filmindustrie Stunden oder Tage an einzelnen Bildrahmen arbeiten und erst nach Monaten oder Jahren den fertigen Blockbuster abliefern, rechnen Computerspiele in Echtzeit. Nicht 24 Bilder pro Sekunde wie im Kino, sondern in 4K-Qualität mit einer Wiederholungsrate von 40 oder gar 60 Bildern pro Sekunde. Für immer aufwendigere Animationen werden seit 25 Jahren immer leistungsfähigere Halbleiter produziert.

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Entsprechend groß war der Besucherandrang in Köln, als die Computerfirma Nvidia die nächste Generation von Grafikkarten vorstellte: "Wir haben mehr als zehn Jahre an unserer neuen Raytracing-Technologie gearbeitet - nun kommt RTX zehn Jahre früher als vorhergesagt", sagte Jensen Huang bei seiner Gamescom-Präsentation. Was die "Lichtstrahlenverfolgung" kann, demonstrierten die Kalifornier an Spielsequenzen aus "Battlefield 5": Der Ego-Shooter bewegt sich durch ein Rotterdam der Vierzigerjahre, das so idyllisch wirkt wie eine überkolorierte Kitschpostkarte. Die Hochglanzwelt steht im perfiden Gegensatz zum martialischen Geschehen, das von Pfützen, Fensterscheiben oder Blechkarossen wie in der echten Welt gespiegelt wird.

Vom unersättlichen Leistungshunger der Gamer profitiert auch die Autoindustrie. "Nvidia entwirft keine Computerspiele, aber wir geben den Spieleentwicklern seit vielen Jahren die nötigen Werkzeuge dafür", erklärt Danny Shapiro: "Eine unsere Pionier-Technologien war zum Beispiel die genaue Analyse von Oberflächen: Wie verändern sich Licht und Schatten oder Reflexionen auf verschiedenen Materialien? Dieses Wissen brauchen wir jetzt in den Simulationsumgebungen für das autonome Fahren." Shapiro ist der Entwicklungschef für Nvidias Automobilbereich. Er weiß, dass jeder Teilnehmer im Straßenverkehr - anders als in der Spielewelt - nur ein Leben hat. "Niemand will eine Art Cartoon erschaffen, wenn man ein neuronales Netz auf Cartoons trainiert, dann wird die Erkennungsrate in der realen Welt nicht für Automobilanwendungen ausreichen." Klar ist auch, dass Gaming eine Industrie mit weltweit rund 100 Milliarden Euro Jahresumsatz ist. Die Autoindustrie setzt 35 Mal so viel Geld um und könnte ihre Ergebnisse laut der Unternehmensberatung McKinsey bis 2030 noch verdoppeln.

Mit autonomen Autos, Hochleistungs-Chips und perfekten virtuellen Testumgebungen lässt sich künftig das große Geld verdienen. Dass ist der Grund, warum Auto- und Halbleiterbranche auf Tuchfühlung gehen. Anfang des Jahres stand Nvidia-Gründer Huang zusammen mit Herbert Diess auf der Bühne: "Gratulation zu der Power, der Motivation und den Ressourcen, mit denen ihr euch für autonome Autos engagiert. Das Fahren und die Industrie werden sich in den nächsten zehn Jahren total verändern", sagte der VW-Chef auf der Computermesse CES in Las Vegas.

Nicht nur Audi, Porsche und VW, sondern auch die Projektpartner Bosch und Mercedes wollen ihre Roboterautos mit Nvidia-Chips bestücken. BMW ist dagegen eng mit dem Erzrivalen Intel verbandelt: "Für das autonome Fahren brauchen wir Rechenleistung, die es so noch gar nicht gibt," sagte BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich im April diesen Jahres: "Wir brauchen noch zwei Generationen an Chip-Weiterentwicklungen, um den Kofferraum wieder den Koffern zur Verfügung zu stellen und nicht den Rechnern."

Bis vollautonome Serienfahrzeuge in Europas Innenstädte dürfen, wird es noch ein wenig dauern. Zunächst müssen die Testmethoden für hochautomatisiertes Fahren auf der Autobahn bis Tempo 130 entwickelt werden. Pegasus heißt ein deutsches Forschungsprojekt dafür, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit 16,3 Millionen Euro gefördert wird. Weil die etablierten Testverfahren für Assistenzsysteme viel zu aufwendig wären, sind selbst Tech-Giganten wie Google / Waymo und die US-Straßenbehörde NHTSA an den Pegasus-Ergebnissen interessiert.

BMW schätzt, dass 240 Millionen Testkilometer nötig wären, um alle hochautomatisierten Fahrsituationen abzusichern. Dabei geht es nicht nur darum, alle Sensordaten in einem Umfeldmodell richtig zu fusionieren. Wie in einem Computerspiel ist auch eine (künstliche) Intelligenz notwendig, um die Szene zu verstehen und blitzschnell die nächsten Schritte zu planen: "Jedes Mal, wenn ich die Fahrstrategie ändere, hat das einen Effekt auf die Umwelt - und ich muss alle Daten erneut sammeln", berichtet Amnon Shashua, der bei Mobileye / Intel für das autonome Fahren verantwortlich ist: Autofahren sei ein Spiel mit vielen Spielern, die sich nicht unbedingt an die Regeln hielten.

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Fiese Charaktere, die einem übel mitspielen und für Überraschungen sorgen: Das Erfolgsrezept vieler Shooter-Spiele macht hohe Rechenkapazitäten erforderlich. Nicht viel anders sieht es beim autonomen Fahren aus. Roboterautos müssen ein überlegenes Kontextverständnis entwickeln, um in schnell wechselnden Situationen entscheidungsfähig zu bleiben. Die entsprechenden Algorithmen jagen die Autohersteller immer wieder durch virtuelle und gleichzeitig hochpräzise Testszenarien: "Wir rechnen 95 Prozent der Strecke in Simulationen durch", erläutert Elmar Frickenstein, Leiter autonomes Fahren bei BMW, "wer die Simulation beherrscht, wird das vollautonome Fahren beherrschen", ist sich der Experte sicher.

Nvidia-Gründer Jensen Huang präsentiert den passenden Chip "Drive Xavier" auf der Computermesse CES 2018. (Foto: Nvidia)

Nvidia hat eine Simulationslösung entwickelt, die pro Stunde 90 000 Kilometer Fahrstrecke durchspielt. Der Supercomputer DGX kann das gesamte Straßennetz der USA in zwei Tagen abfahren. Ein Computerspiel, bei dem die eine Maschine hochgenauen Sensorinput aus Datenbanken liefert, während der Fahralgorithmus in Echtzeit die richtigen Entscheidungen treffen muss. "Das ist Hardware-In-The-Loop-Testing mit 30 Rückkopplungs-Schleifen in der Sekunde", sagt Shapiro: "Wir glauben, dass autonomes Fahren ein Super-Computing-Problem ist. Je mehr Daten man verarbeiten kann, desto höher ist das Sicherheitslevel."

Noch arbeitet jeder Autohersteller allein an der Absicherung. Die Pegasus-Projektpartner legen aber bereits Szenarien aus ihren Tests in der gemeinsamen Datenbank ab. Ohne die entstehende einheitliche Simulationslandschaft können Behörden das autonome Fahren nicht zulassen. Dann hängt der Fahrroboter in der Endlosschleife.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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