Mindestlohn:Der Staat sollte nur Gruppen helfen, die Hilfe brauchen

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Putzen für Niedriglohn: Ist die Verhandlungsmacht der Berufsgruppe zu klein, sollte der Staat regulierend eingreifen. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Die Einführung des Mindestlohns war erfolgreich. Eine zukünftige Regierung könnte sie als Muster für andere soziale Eingriffe nehmen. Einige Pläne müsste sie dann aber überarbeiten.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Was war das für eine Aufregung, als Deutschland vor drei Jahren einen Mindestlohn einführte. Konservative Ökonomen prophezeiten den Verlust Hunderttausender Jobs, falls schnell und ohne Ausnahmen eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro komme. Dann kam schnell und fast ohne Ausnahmen eine Lohnuntergrenze von zunächst 8,50. Und was geschah? Es gingen so gut wie keine Jobs verloren. Stattdessen werden jetzt Millionen Arbeitnehmer besser bezahlt - jene, deren Verhandlungsmacht auf dem freien Markt zu klein war.

Es lässt sich präzise sagen, was die damalige Regierung bei der Einführung richtig machte. Sie startete den Mindestlohn im Aufschwung - also einem Moment, da Unternehmen seltener als im Abschwung Arbeitskräfte abbauen, wenn sie teurer werden. Inzwischen hatten die Firmen Zeit, die zusätzlichen Kosten auf ihre Produkte umzulegen, bevor der Abschwung kommt.

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Zudem begrenzte die Regierung die Kosten, in dem sie eine unabhängige Kommission über die Höhe entscheiden lässt. Das verhindert Wählergeschenke, die Firmen überfordern wie Olaf Scholz' Idee von zwölf Euro Lohnuntergrenze. Unterm Strich ist der Mindestlohn ein Erfolg - und damit ein Modell für die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik einer neuen Regierung, so sie denn zustande kommt.

Aus dem Mindestlohn lässt sich ein Muster für soziale Eingriffe schneidern. Der Staat sollte nur Gruppen helfen, die Hilfe brauchen. Er muss berücksichtigen, wie sich die Gesellschaft verändert. Und er sollte die Firmen, die ja im Wettbewerb stehen, nur maßvoll belasten - genauso wie andere Financiers der Maßnahme.

Vieles im Sondierungspapier passt - manches nicht

Der Mindestlohn erfüllt alle drei. Jene zehn Prozent Arbeitnehmer, die zuvor weniger verdienten, konnten ganz offensichtlich alleine nicht mehr durchsetzen. Auch weil, das ist die gesellschaftliche Veränderung, der Arbeitsmarkt dereguliert wurde und die Gewerkschaften Macht verloren. Die Unternehmen werden nicht übermäßig belastet durch Löhne von unter 2000 Euro im Monat - auch wenn das konservative Ökonomen suggerieren wollten.

Es ist spannend, das Mindestlohn-Muster über die Häkelarbeiten von Union und SPD für eine Regierung zu legen. Dabei zeigt sich: Vieles im Sondierungspapier passt - und manches nicht.

Ein positives Beispiel ist das SPD-Projekt eines Rückkehrrechts in Vollzeit. Das hilft Beschäftigten, die etwa wegen ihrer Kinder vorübergehend kürzer arbeiten wollen - aber sich bisher oft zwischen dauerhaft Vollzeit und dauerhaft Teilzeit entscheiden müssen.

Alleine konnten die Arbeitnehmer ganz offensichtlich in den Firmen das Rückkehrrecht nicht durchsetzen, das durch eine gesellschaftliche Veränderung relevant wird: Immer mehr Frauen wollen Kinder und einen Beruf, der nicht in einer Teilzeitfalle mit Karrieremalus und Rentenminus strandet. Die Firmen schließlich müssen zwar mehr planen und für Ersatz sorgen, ihre Kosten jedoch halten sich im Rahmen.

Die Rentenpläne von Union und SPD belasten die jüngere Generation

Ähnlich gut wie das Rückkehrrecht passen andere Sondierungshäkeleien ins Mindestlohn-Muster. Das gilt etwa für die Idee, Arbeitnehmer über die richtige Weiterbildung für die Ära der Digitalisierung zu beraten, von der sie alleine überfordert sein könnten.

Es gilt für den Vorschlag, Arbeitslose intensiver für Jobs zu qualifizieren, ohne teuer das Arbeitslosengeld zu verlängern. Und es gilt für den (noch vagen) Plan, wegen der brutalen Mieterhöhungen in Städten mehr Wohnungen zu bauen. Das kostet zwar Geld, doch es belastet nicht die Firmen, sondern den Staat, der ja Rekordeinnahmen verzeichnet.

Was schlecht ins Mindestlohn-Raster passt, sind die meisten Rentenwünsche von CSU und SPD. Sowohl der Mütterzuschlag wie auch ein Rentenniveau von 48 Prozent für die nächsten Jahre helfen einer im Regelfall schon gut versorgten Seniorengruppe, die nicht wirklich Hilfe braucht. Und das zulasten der jüngeren Generation, die ohnehin mit höheren Beiträgen und relativ weniger Altersgeld rechnen muss. Hier ignorieren die potenziellen Koalitionäre die gesellschaftliche Veränderung längerer Lebenszeiten. Falls die 48 Prozent über 2025 hinaus bleiben sollen, wird es für Beitrags- und Steuerzahler ohne weitere Reformen wie ein längeres Arbeiten übermäßig teuer.

Diese Rentenpläne zeugen von überkommener Sozialpolitik, die unnötige Geschenke verteilt, weil sie auf die wachsende Wählerschar der Senioren schielt - statt etwa Arbeitnehmer breit von Steuern und Abgaben zu entlasten, wie Union und SPD versprochen hatten. Falls eine neue Große Koalition wirklich Großes leisten will, sollte sie ihre Pläne überarbeiten. Gute Ansätze sind ja da.

© SZ vom 15.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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