Wanderritt zwischen Bayern und Tirol:Nur für Nervenstarke

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Die wilde Region zwischen Bayern und Tirol lässt sich per Pferd erkunden. Dieses ist jedoch weniger am Ausblick als am Grasbüschel interessiert. Der wächst direkt am Abgrund.

Monika Maier-Albang

Ein Blick nach hinten auf die ungeordnete Reitertruppe genügt. "Haltet euch links", mahnt Stefanie. Muss sie das jetzt sagen? Sieht man doch selbst, dass da vorne ein Abhang kommt. Nur das Pferd scheint das nicht zu wissen, zieht plötzlich nach rechts zum frischen Gras.

Es gibt Gegenden, da sieht Österreich aus wie Kanada: Am Achensee steht die bezopfte Anemone, ein Haflinger von langhaariger Abstammung. (Foto: Maier-Albang)

Und schon steht man haarscharf an der Kante, der Warnung der Berittführerin zum Trotz. Wäre peinlich in diesem Augenblick, würde der Moment nicht schon dem Stoßgebet gehören. Spirit heißt das Pferd. Ein Holy dazu wäre jetzt recht.

Aber Spirit ist trittsicher, ein routinierter Berggänger, Haflinger halt, der nun das Maul mal wieder voll hat, und sicher grinsen würde, wenn Pferde grinsen könnten. Weil er doch eigentlich nicht fressen darf mit Trense im Maul, was er weiß, aber wenn die Reiterin nicht aufpasst, nutzt er den Vorteil, Abgrund hin oder her.

Er trabt ja auch problemlos über die klappernde Holzbrücke, selbst wenn das Wasser neben uns tosend den Hang hinabstürzt, wo sonst ein Rinnsal ist. Momentan aber tut es, was es häufig tut in Oberbayern im Frühsommer, im Hochsommer, im Spätsommer, selten allerdings im Herbst: Es regnet.

"Jetzt könntet ihr dort unten den Schliersee sehen", sagt Stefanie Kleemann, nachdem die Gruppe im Nebel die neue Spitzingstraße hinaufgeritten ist, vorbei an den Schmuddelschneeresten des Winters, an tiefgelben Sumpfdotterblumen, Maiglöckchen und Pfützen voller Kaulquappen.

Oben, am Spitzingsee, treibt der Wind den Regen waagerecht ins Gesicht. Für Schönwetterreiter ist die Nordseite der Alpen definitiv ungeeignet. In Au bei Bad Feilnbach geht es los, hinauf über Aurach zum Spitzingsattel, von dort hinüber nach Österreich, vier Tage bis zum Achensee. Ein Grenzritt, an dem die Macher lange getüftelt haben. Denn einfach mal losreiten über die Berge, auf staatlichen Forstwegen, das geht nicht.

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In Österreich ist Reiten nur auf ausgewiesenen Wegen erlaubt; und die Staatsforste sind nicht als Reitwege gekennzeichnet. In Bayern hingegen darf man auf allen öffentlichen Wegen reiten, nur auf privaten kann der Besitzer dies untersagen.

Der Weg von Bayern nach Tirol führt vorbei an steilen Felshängen und rauschenden Bächen. (Foto: Maier-Albang)

So war es mühsam, bis der Verein Pferderegion Oberbayern-Tirol seinen grenzüberschreitenden "Tirolritt" verwirklichen konnte. Der Kompromiss mit Behörden, Kommunen und Bauern sieht so aus, dass der Verein nur geführte Ritte anbieten darf, die von ausgebildeten Berittführerinnen begleitet werden. Und es wird kein detailliertes Kartenmaterial erstellt, damit niemand die Wege zu kommerziellen Zwecken nachreiten kann.

"In den Gemeinderatssitzungen haben wir für das Projekt geworben. Wir sind zu allen Bauern gefahren", erzählt Valerie Konrad. Ihr gehört der Freizeitstall Steinreb in Bad Feilnbach, wo der Ritt beginnt. Valerie Konrad gehören Spirit und Urmel und Anemone, deren Mähne sogar geflochten bis zum Knie reicht.

Zehn Wanderreitbetriebe haben sich der "Pferderegion" inzwischen angeschlossen; 70 Betriebe sind es insgesamt - vom Pferdehof, der Waldarbeit für gestresste Manager anbietet, bis hin zur Ranch mit "indianischer Philosophie".

Der Tirolritt ist der längste, den der Verein anbietet. Und der steilste. Es geht hinauf bis 1100 Meter.

Die Pferde, gedopt mit Sonnenblumenöl, das ihnen ins Futter gegeben wird, schaffen das spielend im Trab. Die einzigen, die schnaubend oben ankommen, sind die Reiter. Vom Spitzingsattel aus führt der Weg entlang der rauschenden Roten Valepp zur Erzherzog-Johann-Klause, wo früher nur die ledigen Männer die Stämme zur Holztrift am Ufer schichten durften - zu gefährlich war die Arbeit für die verheirateten.

Ein Blick hinab in die Klamm, zur Grundache, und die Zügel sitzen, wo sie hingehören. In der Klause übernachten Ross und Reiter, die Reiter im warmen Bett. Dafür nimmt man gern in Kauf, dass in der Stube Andreas Gabalier, der "Volks-Rock'n'-Roller" aus der Steiermark, via Lautsprecher schmachtet: "I hob a Engal gsehn üwa die Stroßn gehn."

Die Pferde bekommen den Eselpferch, mit Rutsche und Ausblick auf grüngescheckte Hänge, dunkel die Fichten, grellgrün das frische Buchenlaub.

Die "Rosserer", das sind hier wir. Reiter, Pferdenärrische, das, was die Bauern früher nicht kannten. Rösser waren Arbeitstiere, für die Kutsche, fürs Holz. Menschen, die in ihrer Freizeit durch die Berge reiten, begegnete man hier anfangs mit Skepsis.

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Das aber habe sich geändert, sagt Robert Huber, der ziegenbärtige Wirt vom Waldhäusl in Steinberg am Rofan. Bei ihm sind die Pferde zur Mittagsrast angebunden, an einer Slackline, die er zwischen zwei Stempen gespannt hat. Die Nachbarn gehen ans Fenster, zum Rösserschauen, als die Gruppe über den Asphalt heranklappert. "Inzwischen kommen bei den Bauern die positiven Emotionen hoch", sagt Huber. Und ein bisschen Geld ist mit den Rosserern ja auch verdient.

In der Erzherzog-Johann-Klause gibt es warme Betten, eine Außentoilette, einen Esel, den die Pferde skeptisch beäugen - und viel Ruhe. Ist der Himmel verhangen, hat man von hier aus nicht mal über das Satellitentelefon Kontakt zur Außenwelt. (Foto: Maier-Albang)

Die letzte Etappe führt an den Achensee. Das Wetter ist wieder gut, der Weg ist es nicht mehr. Von links dröhnt Motorenlärm aus dem Tunnel, rechts zu reiten, ist dennoch die schlechtere Alternative. Das Ufer ist steil.

Die Mauer würde das Pferd vielleicht abfangen, nicht aber den erhöht sitzenden Reiter. Die MS Tirol sendet vom Wasser aus einen Gruß, der zwischen Karwendel und Rofan widerhallt. Hier ein nervenschwaches Pferd, und der Reiter liegt im türkisblauen See.

Spirit und seine Gefährten aber nehmen den Lärm gelassen. Sie wissen: In Pertisau wartet zuerst das Heu, dann kommt der Transporter, der sie nach Hause bringt.

Informationen

Reisearrangements: Die nächsten Tirolritte vom Inntal an den Achensee finden im September und Oktober statt. Geritten wird vier Tage, der fünfte ist ein Wellness-Tag im Hotel Wiesenhof, wiesenhof.at. Kosten inkl. vier Übernachtungen, Leihpferd, Gala-Menue und Wellness: 855 Euro.

Buchung: Freizeitstall Steinreb, Tel.: 0151/46 65 55 10, pferdegenuss-grenzenlos.de/steinreb-achensee.html; alternative Übernachtung in Reiters Posthotel Achenkirch gegen Aufpreis, posthotel.at

© SZ vom 24.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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