Sturm auf Mossul:Der IS ist geschlagen - nicht besiegt

Sturm auf Mossul: Anwohner nahe der nun zerstörten al-Nuri Moschee in Mossul, Irak.

Anwohner nahe der nun zerstörten al-Nuri Moschee in Mossul, Irak.

(Foto: Maya Alleruzzo/AP)
  • Die Sprengung der Al-Nuri-Moschee ist ein Signal des "Islamischen Staats": Es soll keinen Frieden geben im Irak.
  • Der Untergang des Kalifats als staatsähnliches Gebilde bedeutet aber nicht, dass der Terror des IS am Ende ist.
  • Die Dschihadisten suchen sich neue Wege. Sie erobern Territorien auf den Philippinen, in den instabilen Regionen des Sahel und in Zentralasien.
  • Und: Sie werden den Terror vermehrt in den Westen tragen.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Irakische Soldaten steigen auf das berühmte schiefe Minarett der Al-Nuri-Moschee in Mossul. Sie reißen das schwarze Banner der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) herunter und hissen die irakische Flagge: rot, weiß, schwarz. Allahu akbar steht, in grüner Schrift, darauf. Gott ist der Größte.

Als ein Geschenk Gottes im heiligen Fastenmonat Ramadan hätten die allermeisten Iraker diese Szene empfunden, ob Sunniten oder Schiiten, Christen oder Kurden. Wie das berühmte Bild vom Rotarmisten, der 1945 die sowjetische Fahne über dem Reichstag in Berlin aufzog, wäre diese Aufnahme zum Fanal der Befreiung geworden; und zum Symbol für das Ende des Terror-Kalifats, zumindest als staatsähnliches Gebilde im Irak.

Es sind solche Bilder, die der IS verhindern wollte, als er in einem weiteren unerträglichen Akt des Kulturfrevels die mehr als 800 Jahre alte Moschee sprengte. Von deren Kanzel aus hatte Abu Bakr al-Bagdadi vor nicht ganz drei Jahren das Kalifat ausgerufen. Der IS weiß, wie keine Terrororganisation zuvor, um die Wirkung von Bildern, wie man sie für Propaganda nutzt, um Menschen zu manipulieren. Die Sprengung ist ein Fanal des IS: Frieden im Irak soll es nicht geben, bis in den Tod unversöhnlich kämpfen die Dschihadisten und reißen alles in den Untergang, was von Wert und Bedeutung ist.

Die Terrormiliz IS verliert ihr Gebiet - doch nicht ihre Kraft

Die Nuri-Moschee war Mossuls Wahrzeichen, Symbol einer Stadt, die wie keine andere im Irak für das Zusammenleben der Religionen und Ethnien stand, für die Befruchtung und den Reichtum, den Kulturen nur im Austausch erreichen.

Der IS ist absolut in seinem Willen, alles Leben zu vernichten, das sich nicht seiner religiös bemäntelten totalitären Ideologie unterwirft. Das haben die Christen zwischen Mossul und Erbil erleben müssen; ihre Dörfer hat der IS gebrandschatzt, die Türme der Kirchen gesprengt. Er teilt die Menschen in Rechtgläubige und Ungläubige und hat es sich auf die Fahnen geschrieben, die "Grauzone" der Koexistenz zu "eliminieren". Das zielt darauf ab, Gesellschaften zu spalten und in Bürgerkriege zu stürzen: Sunniten gegen Schiiten, Muslime gegen den Westen.

Der Untergang des Kalifats als Protostaat bedeutet nicht, dass diese Strategie nun nicht mehr funktioniert. Sie wird sogar noch befeuert, wenn schiitische Milizen und sogar Regierungstruppen willkürlich Menschen foltern und ermorden. Und wenn in Syrien von Iran ausgebildete und bezahlte Söldner ganze Landstriche verheeren im Glauben, die Niederlage von Imam Ali in der Schlacht von Kerbela aus dem Jahr 680 zu rächen.

Wenn es nicht gelingt, den Irak und Syrien zu befrieden, wird der IS, der noch mehr als 15 000 Kämpfer zählt, in den Wüsten der beiden Länder überleben. Schon einmal galt al-Qaida im Irak, die Vorläufer-Organisation, als militärisch besiegt. Sie war groß geworden durch die mit Lügen begründete US-Invasion und die atemberaubende Inkompetenz des Besatzungsregimes.

Der "Islamische Staat" hat sich vorbereitet

Nach dem Abzug der USA malträtierte dann die schiitisch dominierte Regierung von Nuri Maliki die Sunniten, die im Irak bis zum Sturz des Diktators Saddam Hussein dominierend gewesen waren. Sie wurden in einen Aufstand getrieben. Der IS nutzte ihn, um große Teile des Iraks und Syriens zu überrennen. Der "Islamische Staat" hat sich auf die absehbare Niederlage in seinem "Kalifat" vorbereitet, ideologisch wie organisatorisch.

Er sucht neue Gebiete, um seine Strategie umzusetzen, und findet sie auf den Philippinen, vielleicht bald wieder in Libyen, in den instabilen Regionen des Sahel, am Horn von Afrika, in Zentralasien. Und er versucht es im Westen, in Europa, den USA. Es sind überwiegend nicht mehr heimgekehrte Kämpfer, militärisch ausgebildet und verroht, die nun die Anschläge dort verüben; viele von ihnen sind tot oder werden dieser Tage getötet. Vielmehr beobachten die Geheimdienste seit Monaten verstärkte Versuche des IS, Attentäter direkt im Westen anzuwerben, auch in Deutschland.

Dabei spricht er labile Menschen an, die nicht im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen, auch Frauen und Minderjährige. Noch immer entfaltet das virtuelle Kalifat mit seinen einfachen Antworten große Anziehungskraft. Nur fordert der IS seine Adepten nicht mehr auf, in den Kampf ums Kalifat zu ziehen. Wertvoller sei es, die Kreuzfahrer in deren Heimat zu attackieren.

Dafür braucht es keine Kampferfahrung, keine Trainer oder lange Radikalisierungsprozesse, nur einen Mietwagen, ein Messer, einen gestohlenen Lastwagen. Wenn dann ein Muslim-Hasser vor einer Moschee in die Menschen rast, wähnt sich der IS der apokalyptischen Schlacht zwischen Gläubigen und Ungläubigen näher, mit der er das Ende der Tage heraufbeschwören will - auch wenn das Terror-Kalifat bald Geschichte ist.

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