Islamischer Staat:Das IS-Kalifat ist umzingelt

Islamischer Staat: Auch in der selbsternannten Hauptstadt des IS-Kalifats stehen die irakischen Truppen vor einem Sieg

Auch in der selbsternannten Hauptstadt des IS-Kalifats stehen die irakischen Truppen vor einem Sieg

(Foto: AFP)
  • Eine militärische Niederlage des IS im Irak ist absehbar, und zunehmend auch in Syrien.
  • Doch das heißt nicht, dass die Organisation dauerhaft besiegt wäre.
  • Sie wird sich zurückverwandeln in das, was sie war: eine schlagkräftige Terrortruppe, die einen Guerillakrieg zu führen versucht.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Es geschah fast zur selben Zeit: Am Mittwoch begrüßte US-Außenminister Rex Tillerson in Washington Vertreter von 67 Staaten der internationalen Koalition, die gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kämpft. Und nur wenige Stunden zuvor kletterten Soldaten der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) im Norden des kriegszerrissenen Landes in Transporthubschrauber der US-Armee, eine Allianz kurdischer und arabischer Kämpfer. US-Elitesoldaten begleiteten sie als Militärberater. Unter massivem Feuerschutz von Apache-Helikoptern, Kampfjets, Raketenwerfern und Artillerie-Geschützen wurden sie hinter den feindlichen Linien westlich von Raqqa abgesetzt, der selbst erklärten Hauptstadt der Dschihadisten in Syrien. Die ist nun von allen Seiten umringt.

Bald dürfte ihre Rückeroberung beginnen. Doch zuvor soll die Tabqa-Talsperre am Euphrat gesichert werden, 40 Kilometer westlich von Raqqa. Groß ist die Sorge, der IS könne das Wasser als Waffe nutzen und Hunderte Dörfer flussabwärts fluten, um die Offensive aufzuhalten. Viel zu verlieren hat er nicht mehr, knapp drei Jahre nach dem Aufstieg zur mächtigsten und reichsten Terrororganisation der Welt.

In Mossul haben sich irakische Truppen bis auf Sichtweite an die Nuri-Moschee in der Altstadt herangekämpft. Dort hatte Abu Bakr al-Baghdadi im Juni 2014 das Kalifat ausgerufen. Und in Washington prophezeite Außenminister Tillerson, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Baghdadi getötet werde. Der irakische Premier Haidar al-Abadi sekundierte: "Wir stehen an der Schwelle, Daesch komplett auszulöschen, nicht nur ihn einzugrenzen."

War das Kalifat im Jahr 2016 um ein Drittel auf etwa 60 000 Quadratkilometer geschrumpft, viel davon unbewohnte Wüste, haben die Dschihadisten in den vergangenen Monaten noch einmal erheblich an Terrain verloren. Im Irak kontrollieren sie nur noch 40 Prozent der westlichen Hälfte von Mossul, die Gegend um Hawija sowie kleinere Orte in Richtung der Grenze zu Syrien.

Dort haben Regierungstruppen mit Unterstützung der russischen Armee, aber auch von US-Luftangriffen die Wüstenstadt Palmyra zurückerobert. Im Norden verjagten Rebellen mit türkischer Unterstützung den IS aus der Stadt al-Bab. Zuvor hatten sie Dscharabulus befreit und Dabiq, das in der IS-Propaganda als Ort einer apokalyptischen Schlacht der muslimischen Heere gegen ihre Feinde galt. Zudem haben die SDF Gebiete bei Raqqa eingenommen.

Das Kalifat zieht viel weniger Rekruten aus dem Ausland an als früher

In Libyen, lange wichtigstes IS-Standbein außerhalb der Kerngebiete, vertrieben Milizen den IS mithilfe von mehr als 500 US-Luftangriffen aus Sirte und dem Hunderte Kilometer langen Streifen an der Küste des Mittelmeers, den er noch Mitte 2016 kontrollierte.

Islamischer Staat: SZ-Grafik; Quelle: IHS Conflict Monitor

SZ-Grafik; Quelle: IHS Conflict Monitor

Mit dem Territorium schwinden die Einnahmen der Dschihadisten, die sich durch erbeutetes Vermögen, Steuern, Schutzgelder und Ölverkäufe finanzieren. Wurde ihr Budget 2014 noch auf bis zu 1,9 Milliarden Dollar geschätzt, sind die Einnahmen 2016 auf "520 bis höchstens 870 Millionen Dollar" gesunken, wie eine Studie des Londoner International Centre for the Study of Radicalisation ergeben hat. Der IS hat wichtige Ölquellen in Syrien verloren und fast alle Bevölkerungszentren, die er kontrollierte. Seine Verwaltung kollabiert - und damit das Kalifat. Zog der scheinbar unaufhaltsame Vormarsch des IS 2014 und 2015 noch Zehntausende ausländische Rekruten an, ist ihr Zustrom inzwischen laut der US-Regierung um 90 Prozent zurückgegangen. Tausende IS-Kämpfer sind getötet worden oder desertiert. Die Hochglanz-Propaganda funktioniert nur noch bedingt.

Eine militärische Niederlage des IS im Irak ist absehbar, und zunehmend auch in Syrien. Doch das heißt nicht, dass die Organisation dauerhaft besiegt wäre. Sie wird sich zurückverwandeln in das, was sie war: eine schlagkräftige Terrortruppe, die einen Guerillakrieg zu führen versucht. Baghdadi hat seine Anhänger ideologisch eingestimmt auf den Rückzug in die Wüste - der sei keine Niederlage, sondern nur eine weitere Prüfung Gottes auf dem Weg zum Sieg. Die Fähigkeit des IS, seine Strategie immer wieder anzupassen, macht es so schwierig, ihn wirksam zu bekämpfen, sagen westlichen Geheimdienstler - auch mit Blick auf die sich wandelnden Attacken im Westen.

Al-Qaida im Irak war 2009 für besiegt erklärt worden - und kehrte machtvoller zurück

Denn die Dschihadisten versuchen, mit immer neuen Anschlägen und Methoden ihre Bedeutung zu wahren, auch im Wettstreit mit al-Qaida. Der IS hat die Attacke von London für sich beansprucht, auch wenn nicht klar ist, ob der Täter tatsächlich direkte Verbindungen zum Kalifat hatte. Zumindest aber folgte er Handlungsanweisungen des IS, wie es auch die Attentäter von Berlin oder Nizza taten, die Lastwagen in Menschenmengen steuerten. Baghdadi hat seine Sympathisanten im Westen aufgerufen, nicht mehr in den Irak oder nach Syrien zu kommen - sondern die Ungläubigen zu attackieren, wo immer es gehe. Und wenn ein Attentäter sich auf den IS beruft oder dessen Anleitungen zum Terror folgt, sagt der IS, er sei ein "Soldat des Kalifats".

Auch im Irak und in Syrien ist offen, wie endgültig die Niederlage sein wird. Schon einmal war die Vorgänger-Organisation al-Qaida im Irak 2009 für besiegt erklärt worden, 2014 kehrte sie umso machtvoller zurück. Entscheidender Faktor dafür war, dass der damalige Premier Nuri al-Maliki die Sunniten im Irak systematisch unterdrückte. Einen Plan für die künftige politische Ordnung in der Provinz Ninive, deren Hauptstadt Mossul ist, gibt es bislang nicht, ebenso wenig einen, mit dem der Bürgerkrieg in Syrien beendet werden könnte. Im Westen Mossuls sind die Kämpfe extrem hart, Hunderttausende sind geflohen, 400 000 sind wie Geiseln im IS-Gebiet eingeschlossen. Immer mehr Zivilisten werden getötet oder verletzt, vor allem vom IS, aber auch von irakischen Einheiten und bei Luftangriffen der Koalition. In Raqqa dürfte der IS ebenfalls bis zum Ende kämpfen, schon jetzt werden auch dort immer wieder Zivilisten Opfer von Bombardements.

Kaum jemand bringt dem IS noch Sympathie entgegen. Doch der Preis für die Befreiung ist hoch: In Ramadi oder Kobanê blieb kaum ein Haus unbeschädigt. Die Kosten für den Wiederaufbau allein in Ninive und der Provinz Anbar hat der irakische Premier Abadi auf 50 Milliarden Dollar taxiert. Die mühsamste Phase im Kampf gegen den IS steht damit noch bevor.

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