Islamischer Staat:In der Niederlage des IS liegt neue Gefahr

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Im Kampf um Mossul stehen Soldaten der irakischen Armee den Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat gegenüber. (Foto: dpa)

Die Islamisten sind in ihrem Kerngebiet unter Druck geraten. Doch wer denkt, sie seien unter Kontrolle, liegt falsch.

Von Paul-Anton Krüger und Arne Perras

Eigentlich wollten die irakischen Regierungstruppen zu Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan die Rückeroberung Mossuls von der Terrormiliz Islamischer Staat verkünden. Daraus ist nichts geworden, aber die Eliteeinheiten kämpfen sich Haus um Haus, Straße um Straße vor.

Teile von zwei weiteren Vierteln um die Altstadt mit ihren engen Gassen haben sie am Wochenende eingenommen. Dort sollen bis zu 200 000 Zivilisten eingeschlossen sein, von den Dschihadisten als Geiseln und menschliche Schutzschilde missbraucht. Scharfschützen schießen auf jeden, der zu fliehen versucht, die Extremisten feuern den Menschen sogar Mörsergranaten hinterher.

Am 12. Juni jährt sich zum dritten Mal der Tag, an dem die zweitgrößte irakische Stadt an den IS gefallen ist. Es ist absehbar, dass das Kalifat, ausgerufen vom selbsternannten Emir Abu Bakr al-Bagdadi in der Nuri-Moschee mit dem berühmten geneigten Minarett in der Altstadt, zumindest als protostaatliches Gebilde dem Ende entgegengeht. In Syrien sollen kurdische und arabisch-sunnitische Milizen unter dem Dach der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in den kommenden Wochen mit einer Offensive auf Raqqa beginnen, die Hauptstadt des IS.

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Mit sechs bis neun Monaten rechnen Diplomaten für diese Operation. Die Führungskader des IS haben sich nach Einschätzung westlicher Geheimdienste inzwischen abgesetzt ins Euphrat-Tal zwischen den Orten al-Mayadin und Abu Kamal nahe der Grenze zum Irak.

Das, was den "Islamischen Staat" einmal ausgezeichnet und unterschieden hat von anderen dschihadistischen Gruppen, funktioniert nicht mehr: eine Verwaltung, die rigoros die mittelalterliche Auslegung des Islam durchsetzt, die aber zugleich der Bevölkerung eine Grundversorgung gewährt, Steuern erhebt und Gehälter zahlt. Die Hisba, die Religionspolizei, patrouilliert nicht mehr in Raqqa, ihre Leute sind zum Militärdienst abkommandiert worden.

Die Kämpfer sind überwiegend auf sich gestellt, bekommen keinen regelmäßigen Sold mehr und organisieren sich in kleineren, lokalen Zellen. Die militärischen Befehlsstrukturen funktionieren nur noch bedingt, etliche Anführer des IS sind tot, umgekommen bei Luftangriffen der von den USA geführten Anti-IS-Koalition, manche auch durch irakische Kräfte, das syrische Militär oder Attacken der russischen Luftwaffe.

In Syrien und im Irak erleben die Islamisten erhebliche Verluste, neue Kämpfer kommen kaum

Der IS versucht allerdings schon länger, sich darauf einzustellen und seine Taktik anzupassen. Seit geraumer Zeit kommen kaum noch neue Kämpfer in die Kerngebiete des IS in Syrien und im Irak, die Verluste sind enorm. Und so hat er seine Anhänger aufgefordert, von der Hijra, der religiös motivierten Auswanderung in die IS-Gebiete, abzusehen - und stattdessen Anschläge in westlichen Ländern zu verüben.

Für den Ramadan haben die IS-Propagandisten dazu aufgerufen, mit Fahrzeugen, Messern und Schusswaffen die Ungläubigen zu attackieren - die Attentäter von London folgten dem offenbar. Unklar ist, ob und wie eng sie an Kommandostrukturen des IS angebunden waren. Dieser jedenfalls hat die Attacke für sich beansprucht.

Das Problem für die Sicherheitsbehörden: Solche Attacken erfordern kaum Logistik oder Steuerung. Anders als etwa die Anschläge in Paris im November 2015 oder auf den Flughafen von Brüssel im März 2016 können Täter ohne militärische Ausbildung sie mit einfachen Mitteln begehen.

Westliche Geheimdienste beobachten mit großer Sorge, dass trotz der militärischen Niederlagen die "virtuelle Marke Islamischer Staat" nach wie vor große Anziehungs- und Inspirationskraft hat - und der IS gezielt in westlichen Ländern für Anschläge dort Menschen rekrutiert. Und zwar am liebsten solche, die nicht in die gängigen Profile der Terrorabwehr passen.

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Zugleich ist die Expansion des IS keinesfalls gestoppt: Versuche, in asiatischen Krisen- und Kriegsgebieten Fuß zu fassen, sind vor allem in Afghanistan, Pakistan und Bangladesch erkennbar. Doch der Arm reicht weiter, bis in die tropische Inselwelt Südostasiens, wo mehr als ein Dutzend islamistische Splittergruppen auf der philippinischen Insel Mindanao der Terrormiliz Gefolgschaft geschworen haben.

In Asien vernetzen sich mehr und mehr Splittergruppen von IS-Anhängern

Anfangs sah es so aus, als wollten die berüchtigten Entführungsnetzwerke rund um die Gruppe Abu Sayyaf die schwarze Flagge vor allem nutzen, um sich als besonders gefährlich in Szene zu setzen oder Lösegeld in die Höhe zu treiben. Es ist umstritten, wie eng die Bande zwischen dem IS und seinem philippinischen Ableger tatsächlich sind. Doch zu beobachten ist, dass sich unter dem Banner des IS extremistische Gruppen über die Grenzen hinweg stärker vernetzen. Die Schlagkraft dieser IS-Verbündeten hat das philippinische Militär offenbar stark unterschätzt.

Schauplatz heftiger Kämpfe ist seit Tagen die Stadt Marawi auf Mindanao, wo die Streitkräfte trotz Luftangriffen die mit dem IS verbündeten Milizen noch nicht besiegen konnten. Die Kämpfer, unter ihnen auch Ausländer, haben sich zwischen Zivilisten verschanzt. Sie sollen viele von ihnen als Geiseln halten. Eine Waffenruhe ist wieder zusammengebrochen, ohne dass es gelungen wäre, die schutzlosen Bewohner in Sicherheit zu bringen. Bis zu 2000 von ihnen sollen noch eingeschlossen sein, bei den Gefechten in den vergangenen zwei Wochen gab es nahezu 180 Tote.

Andernorts gruppieren sich die Kämpfer nach Niederlagen neu: In Libyen haben sie in Sirte den einst wichtigsten Ableger des Kalifats verloren. In den kaum zu kontrollierenden Wüstengebieten im Süden aber entstehen neue IS-Zellen. Der Manchester-Attentäter Salman Abedi soll Kontakt zu IS-Kadern gehabt haben, ebenso wie sein in Tripolis verhafteter Bruder und möglicherweise auch der Vater der beiden.

Im Irak finden sich in der überwiegend sunnitischen Provinz Anbar, um die Stadt Hawija und in anderen Gebieten Schläferzellen. Misshandlungen und Rachemorde an Sunniten bei der Befreiung von Mossul durch schiitische Milizen und selbst die Regierungseinheiten nähren die IS-Propaganda.

Wenn die konfessionellen Konflikte im Irak und in Syrien nicht beigelegt würden, werde es immer eine sunnitische Aufstandsbewegung dort geben, prophezeien Geheimdienstler. Schon einmal, 2008, galt al-Qaida im Irak militärisch als besiegt. Sechs Jahre später überrollte die Nachfolge-Organisation weite Teile des Landes. Es war die Geburtsstunde des "Islamischen Staates", dessen Kader im Verborgenen schon Jahre vorher mit den Vorbereitungen für diesen Coup begonnen hatten.

© SZ vom 06.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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