Anti-Terror-Krieg:Wie französische Elitesoldaten zum Kampf gegen den IS beitragen

Anti-Terror-Krieg: Irakische Soldaten kämpfen immer noch gegen den Islamischen Staat im Westen von Mossul. Frankreich leistet dabei laut eigener Aussage vor allem Aufklärungsarbeit.

Irakische Soldaten kämpfen immer noch gegen den Islamischen Staat im Westen von Mossul. Frankreich leistet dabei laut eigener Aussage vor allem Aufklärungsarbeit.

(Foto: AFP)

Die Spezialeinheiten arbeiten in Syrien und Irak daran, Terroristen "unschädlich zu machen". Laut Berichten setzen sie irakische Spezialeinheiten gezielt auf französische Staatsbürger an.

Von Paul-Anton Krüger und Christian Wernicke, Kairo/Paris

Rachid Kassim war Frankreichs meistgesuchter Dschihadist. Geboren 1987 im Städtchen Roanne an der Loire als Sohn einer algerischen Mutter und eines jemenitischen Vaters, hatte er sich erst unter dem Pseudonym L'Oranais als Rapper versucht - und sich dann 2015 in Syrien der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen. Über einen Kurznachrichten-Dienst hielt er Kontakt zu Anhängern in Frankreich; er hat etliche Attacken inspiriert, wenn nicht gar geplant oder befohlen.

So den Messerangriff auf ein Polizisten-Paar im Juni 2016 in Magnanville bei Paris; der Täter metzelte die beiden nieder und übertrug die Tat live auf Facebook. Den Mord an einem 84-jährigen Priester in Saint-Etienne-du-Rouvray bei Rouen, dem die Angreifer ebenfalls im Juni 2016 während der Messe die Kehle durchschnitten. Einem gescheiterten Bombenanschlag einer 19-Jährigen auf die Kathedrale Nôtre Dame. Und den Angriff auf den Flughafen von Brüssel mit 32 Toten im März 2016.

Im Februar 2017 wurde Kassim nahe der IS-Hochburg Mossul im Irak durch eine US-Drohne getötet; Frankreich selbst hat keine Kampfdrohnen. Auch andere französische oder frankophone IS-Kämpfer sollen in der Schlacht um die wichtigste Stadt des Kalifats getötet worden sein. Und französische Spezialeinheiten haben daran offenbar großen Anteil: Sie geben Informationen über Dschihadisten an die von den USA geführte Anti-IS-Koalition weiter, die mit ihren Kampfjets (auch französischen Rafale) und Drohnen Angriffe im Irak und in Syrien fliegen. Und auch an irakische Antiterror-Eliteeinheiten wie die Golden Division - dies hat jetzt das Wall Street Journal enthüllt.

Das Ziel in beiden Fällen: Die Terroristen "unschädlich zu machen", wie es der Chef des Auslandsgeheimdienstes Direction Générale de la Sécurité Extérieure (DGSE), Bernard Bajolet, schon bei einer Anhörung im Parlament Ende Mai 2016 formulierte. Das heiße, sie durch "Festnahmen oder andere Mittel zu neutralisieren", präzisierte er. Frankreich liefere Aufklärungsergebnisse an die Anti-IS-Koalition, die dann von Militärgeheimdienst Direction du Renseignement militaire (DRM) "vervollständigt und genutzt" würden. Zudem habe man Rhythmus und Intensität der Operationen gesteigert, vor allem jene des Service Action, einer Spezialeinheit, die auf Kommandooperationen gegen Terroristen spezialisiert ist.

Macron macht so weiter wie sein Vorgänger, der selbsternannte Kriegspräsident

Lässt Frankreich, das vor dreieinhalb Jahrzehnten Guillotine und Todesstrafe abgeschafft hat, im Ausland gezielt eigene Bürger töten? Christophe Castaner, Regierungssprecher unter dem neuen Präsidenten Emmanuel Macron, beantwortete diese Frage nicht direkt. Indirekt ließ er aber sehr wohl durchblicken, dass Paris IS-Kämpfer mit französischem Pass lieber tot im irakischen Staub sieht als lebendig auf der Rückreise in die Heimat. "Ich sage allen Kombattanten, die sich dem IS anschließen und ins Ausland gehen, um Krieg zu führen: Krieg zu führen bedeutet Risiken einzugehen." Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um? Er hoffe, so fügte Castaner hinzu, "dass sie ihre Risiken annehmen".

Damit signalisierte er: Macron macht so weiter wie sein Vorgänger François Hollande, der selbsterklärte Kriegspräsident. "La France est en guerre", hatte Hollande nach den Attentaten vom November 2015 in Paris mit 130 Toten seiner verwundeten Nation zugerufen. Dabei ist die Lizenz zum Töten aus dem Élysée schon älter: Von 2013 bis 2016, so schreibt der investigative Journalist Vincent Nouzille, seien "mindestens 40 HVT im Ausland exekutiert" worden. HVT ist Englisch für High Value Target. Dieses Kürzel benutzen die Spezialeinheiten für feindliche Kämpfer und Terroristen. Auf die Frage, ob Macron die Strategie gezielter Schläge und gezielter Exekutionen fortsetze, antwortete eine Elysée-Sprecherin: "Kein Kommentar."

Die Iraker bestreiten, gezielte Tötungen zu vollziehen

Die Vorgehensweise bei einer "opération homo" (homo für homocide, Tötung) hat im Sommer 2015 General Christophe Gomart erläutert, damals Chef des Militärgeheimdienstes DRM. Bei einem Lehrgang beschrieb er, wie seine Spezialisten "Ziele von Interesse" (cibles d'intérêt) - also Anführer von Terrorgruppen - elektronisch erst identifizieren, dann lokalisieren, schließlich attackieren. Wieder gehorchen Frankreichs Operationen einer englischen Formel: "Find, fix, finish, exploit" (finden, festsetzen, erledigen, auswerten). Die meisten dieser "hochwertigen Zielpersonen" wurden bisher im Sahel, am Hindukusch oder am Horn von Afrika getötet. Syrien und Irak sind dagegen vergleichsweise neues Terrain für Frankreichs Sonderkommandos.

Südlich von Mossul feuern französische CAESAR-Haubitzen 155-Millimeter-Artilleriegranaten auf Ziele im teils noch vom IS kontrollierten Westen der Stadt, von einer Zufahrtsstraße gut sichtbar. Ein Sprecher des Generalstabs bestätigt, dass "französische Spezialkräfte in Mossul die Mission haben, irakische Streitkräfte zu beraten und zu unterstützen". Dabei, so erläutert Colonel Patrick Steiger, leisteten sie vor allem "Aufklärungsarbeit". Ein Team des Senders France 2 durfte sie begleiten. Zu sehen in dem Film ist moderne Aufklärungsausrüstung: taktische Drohnen mit hochauflösenden Kameras, Nachtsichtgeräte. Die Mission der 200 Mann: Informationen beschaffen, auswerten und bei der Identifizierung von Zielen zu helfen.

Laut Wall Street Journal übergaben die Franzosen aber auch eine regelmäßig aktualisierte Liste mit Namen und Bildern französischer Dschihadisten an die Iraker. Abgefangene Kommunikation und andere Informationen helfen, sie zu lokalisieren und den Irakern Tipps zu geben; nach den Angriffen würden Fingerabdrücke und DNA mit Datenbanken abgeglichen. Die Iraker bestreiten, gezielte Tötungen zu vollziehen. Die IS-Kämpfer sind auf dem Schlachtfeld Kombattanten und damit legitime militärische Ziele. Die ausländischen Dschihadisten kämpfen ohnehin bis zum Tod, wenn sie gestellt werden. Denn sie wissen, dass eine Gefangennahme dasselbe Schicksal bedeutet: Auf die Mitgliedschaft beim IS steht im Irak die Todesstrafe.

Das Außenministerium erklärt, alles geschehe im "Respekt für internationales Recht"

Zu Details des Einsatzes gibt der Sprecher von Verteidigungsministerin Sylvie Goulard "keinen spezifischen Kommentar", auch wenn das Wall Street Journal schreibt, die Franzosen unternähmen in Mossul eigene Suchaktionen und seien teils - illegal - in irakischen Uniformen und Fahrzeugen unterwegs. Immerhin, die Ministerin räumte vorige Woche ein, was jeder weiß: Dass Spezialtruppen in Syrien und im Irak sind und "punktuelle Operationen" durchführen. Nicht bestätigen wollte Paris, dass die Elitesoldaten bevorzugt eigene Landsleute jagen. "Die irakischen Kräfte bekämpfen dschihadistische Gruppen verschiedenster Nationalitäten", so Colonel Steiger, "die stehen unter Feuer - dabei die eine Gruppe von der anderen zu unterscheiden, das ist doch einfach unmöglich."

Das Außenministerium ergänzt, Frankreichs Anti-Terror-Krieg vollziehe sich "im Respekt für das internationale Recht". Unter Hollande hatte Paris stets auf das in Artikel 51 der UN-Charta verbriefte "Recht zu Selbstverteidigung" gepocht. Es war Macrons früherer Dienstherr, der Frankreichs geheimen Krieg nach Syrien und in den Irak trug. Allem voran der gescheiterte Anschlag am 21. August 2015 schreckte Hollande auf: Der Attentäter Ayoub el-Khazzani, der im Hochgeschwindigkeitszug TGV von Brüssel nach Paris ein Blutbad anrichten wollte, war von IS-Hintermännern aus Syrien gesteuert worden. Sechs Tage später offenbarte Hollande zwei Journalisten von Le Monde einen Sinneswandel: Falls sich beweisen lasse, dass ein schwerer Terroranschlag aus dem Ausland gesteuert worden sei, so sinnierte er, dann genügten keine Luftschläge mehr: "Dann heißt es: 'Jetzt müssen wir uns rächen.' Mit Bodentruppen, mit allen Konsequenzen".

Frankreichs Geheimdienste hatten damals Alarm geschlagen: Ein IS-Kämpfer belgischer Herkunft wolle aus Syrien zurückkehren und plane Anschläge in Europa, mutmaßlich in Frankreich. Hollande genehmigte Anfang September 2015 Erkundungsflüge über dem Land, ließ heimlich Marineverbände in der Region auffahren. Doch Geheimdienste und Spezialkräfte spürten den Terror-Drahtzieher nicht auf.

Am 13. November fielen in Paris 130 Menschen dem Terror zum Opfer. Der Chef des Kommandos, inzwischen als Abdelhamid Abaooud identifiziert, hatte es aus Syrien bis in die Hauptstadt geschafft. Er starb am 18. November im Vorort Saint-Denis im Kugelhagel der Polizei. So weit, das haben sich Frankreichs Generäle geschworen, soll niemand wieder kommen. Niemals.

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