Kurden:"Wollt Ihr Deutschen zulassen, dass wir alle sterben?"

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Teilnehmer einer Demonstration protestieren in Köln gegen die türkische Militäroffensive in Nordsyrien. (Foto: dpa)
  • In Köln sind mehr als 20 000 Menschen auf die Straße gegangen.
  • Sie protestierten gegen den Einmarsch der Türkei in kurdische Gebiete Nordsyriens.
  • Weil verbotene PKK-Fahnen geschwenkt wurden, löste die Polizei die Versammlung vorzeitig auf.

Von Christian Wernicke, Köln, und Juri Auel

Gegen zwölf Uhr mittags hat alles seine Ordnung in Köln: Die rechte Fahrbahn auf dem Hansaring gehört dem Protest, auf der Gegenspur läuft die Polizei nebenher. Immer wieder sieht man Ordner der kurdischen Dachorganisation Nav-Dem, die die Demo mitorganisiert hat. Mehr als 20 000 Menschen sind ihrem Aufruf gefolgt, gegen den türkischen Militäreinsatz im Norden Syriens zu demonstrieren. Türkische Truppen waren vor einer Woche in die von der Kurdenmiliz YPG kontrollierte Region Afrin einmarschiert.

Die Nav-Dem steht der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe, die in Europa als Terrororganisation gilt. Auch linke Aktivistinnen und Aktivisten hatten zur Teilnahme an der Demonstration aufgefordert, der kurdische Unabhängigkeitskampf hat in der linken Szene viele Unterstützer.

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Viele Teilnehmer der Demonstration tragen Transparente mit Aufschriften wie "Freiheit für Kurdistan", andere schwenken Fahnen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG).

Die Ordner der Nav-Dem sind erkennbar an ihren orangenen Westen, immer wieder huschen sie in die Menge, um Demonstranten mit Fahnen von Abdullah Öcalan, dem Anführer der PKK, zu ermahnen. "Nimm das Ding runter" oder "Jetzt nicht!", zischen sie. Man hält sich seitens der Veranstalter an die Regeln, die die Behörden vorgegeben haben: keine PKK-Symbole, keine Öcalan-Bilder. Zunächst tut man das jedenfalls.

Dann ändert sich das Bild. Kaum ist der Zug am Friesenplatz Richtung Dom abgebogen, mehren sich die gelb-blauen Fahnen mit den verbotenen Symbolen. Eine Provokation? "Ihr Deutschen versteht das nicht", schimpft ein junger Kurde in Lederjacke und Jeans, "unsere Verwandten werden von Erdoğan abgeschlachtet, da müssen wir zusammenhalten." Und: "Öcalan ist einer von uns, wir müssen das machen." Am Straßenrand nimmt die Polizei zwei Aktivisten fest, die verbotene Fahnen in die Menge reichen. Dreihundert Meter ist Sackgasse, die Polizei hat gegen 13.30 Uhr die Straße abgeriegelt. Hundert, vielleicht 150 verbotene Öcalan-Fahnen wehen im kalten Wind. Würde die Polizei jetzt alle Fahnen einsammeln, würde die Lage eskalieren. Also abwarten.

In der Menge sind Schilder zu sehen. Auf einem Plakat ist Sigmar Gabriel abgebildet, wie er daheim in Goslar dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu Tee einschenkt: "Gabriel serviert, Türkei bombardiert", steht dabei. Daneben ein Foto von einem deutschen Panzer Leopard II, wie sie die türkische Armee bei Afrin einsetzt.

"Die Deutschen erlauben, dass ihre Panzer auf uns zielen, das ist nicht gerecht"

Unter den Demonstranten ist auch Helwahr Jaafar. Die Mutter dreier Kinder ist morgens um 5 Uhr mit ihrem Ehemann Khdr in Saarlouis in den Zug gestiegen, um in Köln dabei zu sein. Beide sind Jesiden, ihr Onkel und seine Familie lebten in Afrin, mehrmals täglich erfährt sie über WhatsApp die neuesten Schreckensnachrichten von türkischen Angriffen auf die syrische Stadt. "Ich bin hier in Köln wegen meiner Leute daheim," sagt sie, während sie den Kinderwagen mit Jody, ihrem zweijährigen Sohn, über den Grünstreifen rollt, "Dass die Deutschen erlauben, dass ihre Panzer auf uns zielen, das ist nicht gerecht." Die Bundesregierung müsse das endlich stoppen.

Fünfzig Meter weiter vorn trottet Mohammad Abdelazin über den Asphalt. Vor drei Jahren ist der 21-jährige Kurde übers Mittelmeer vor dem IS nach Deutschland geflüchtet, am Samstag reiste er per Bus aus Vechta nach Köln. Am Freitag, so erzählt der bärtige Mann in fließendem Deutsch, habe er erfahren, dass daheim bei Afrin einer seiner besten Freunde getötet worden sei - "von einer türkischen Luftbombe". Es seien doch die Kurden gewesen, die die Dschihadisten des Islamischen Staats in Syrien bekämpft hätten. Jetzt aber würde sie alle Welt im Stich lassen, umlagert von türkischer Armee und islamistischen Gotteskriegern. Dann fragt er: "Wollt Ihr Deutschen zulassen, dass wir alle sterben?"

Um 14.39 Uhr löst die Polizei die Demonstration in Köln an diesem Samstag schließlich auf - der verbotenen Fahnen wegen. "Sie haben gegen die Auflagen verstoßen", dröhnt der Lautsprecher auf dem Polizeiwagen, "Sie haben eine sofortige Entfernungspflicht." Die Demonstranten antworten mit Pfiffen und Buhrufen, einige tanzen im Kreis, andere setzen sich trotzig auf den Bürgersteig, essen Kekse. Drei Mädchen machen schnell noch ein Selfie vor den behelmten Polizisten. Von der Ladefläche des alten, roten Lasters, der die Kurden-Demo beim Marsch durch die Domstadt angeführt hatte, skandiert ein bärtiger Mann mit heiserer Stimme ein "Hoch die internationale Solidarität". Das Echo klingt müde.

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Aus einer größeren Gruppe heraus hätten einzelne Demonstranten Steine, Fahnen und Böller geworfen, es sei zu Rangeleien mit der Polizei gekommen, die Pfefferspray eingesetzt habe, sagte ein Polizeisprecher. Drei Wasserwerfer hätten bereit gestanden, seien aber nicht zum Einsatz gekommen. "Wir hatten nach bisherigem Erkenntnisstand mehrere kleinere Auseinandersetzungen im Stadtgebiet zwischen Türken und Kurden", hieß es außerdem. Es habe einen Verletzten gegeben, wobei aber nicht klar sei, ob der Fall mit der Demo zusammenhänge. "Es ist vergleichsweise ruhig geblieben. Größere Ausschreitungen hatten wir nicht."

Schon die ganze Woche protestieren Kurden in verschiedenen Städten, zuletzt am Freitag vor der türkischen Botschaft in Berlin. Auf der Demonstration flogen dem Berliner Tagesspiegel zufolge Flaschen zwischen den Demonstranten und einer Gruppe türkischer Rechtsextremisten. Medienberichten zufolge nehmen gewalttätige Auseinandersetzungen, Prügeleien und Anschläge aufgrundinnertürkischer Konflikte in Deutschland seit einigen Jahren zu, sie werden daher seit gut einem Jahr von den Sicherheitsbehörden extra erfasst.

Gegen halb vier hat auch Abdul K. seine Öcalan-Fahne eingerollt. Seinen vollen Namen mag der Student aus dem Ruhrgebiet nicht preisgeben, "sonst kriege ich vielleicht doch noch Ärger". Jetzt, nach eineinhalb Stunden Stillstand vor einer Polizeikette in der Kölner Innenstadt, legt er die Plastikstange seiner Fahne brav auf den Asphalt der Zeughausstraße. Er friert, will nach Hause: "Aber stolz bin ich doch, dass wir dieses Zeichen gesetzt haben gegen Erdoğan und seinen Vernichtungskrieg in Kurdistan." Abmarsch.

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